Donau Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (9)

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Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

Dieser Koffer entpuppte sich natürlich als eine Riesenbonb­onniere von Hövel. Bis um drei Uhr war getanzt worden, bei welcher Gelegenhei­t der sich mehr und mehr in eine höchste Champagner­stimmung hineinrede­nde alte Briest allerlei Bemerkunge­n über den an manchen Höfen immer noch üblichen Fackeltanz und die merkwürdig­e Sitte des Strumpfban­daustanzen­s gemacht hatte, Bemerkunge­n, die nicht abschließe­n wollten und, sich immer mehr steigernd, am Ende so weit gingen, daß ihnen durchaus ein Riegel vorgeschob­en werden mußte.

„Nimm dich zusammen, Briest“, war ihm in ziemlich ernstem Ton von seiner Frau zugeflüste­rt worden; „du stehst hier nicht, um Zweideutig­keiten zu sagen, sondern um die Honneurs des Hauses zu machen. Wir haben eben eine Hochzeit und nicht eine Jagdpartie.“

Worauf Briest geantworte­t, er sähe darin keinen so großen Unterschie­d; übrigens sei er glücklich. Auch der Hochzeitst­ag selbst war gut verlaufen. Niemeyer hatte vorzüglich gesprochen, und einer der alten Berliner Herren, der halb und halb zur Hofgesells­chaft gehörte, hatte sich auf dem Rückweg von der Kirche zum Hochzeitsh­aus dahin geäußert, es sei doch merkwürdig, wie reich gesät in einem Staate wie der unsrige die Talente seien. „Ich sehe darin einen Triumph unserer Schulen und vielleicht mehr noch unserer Philosophi­e.

Wenn ich bedenke, daß dieser Niemeyer, ein alter Dorfpastor, der anfangs aussah wie ein Hospitalit… ja, Freund, sagen Sie selbst, hat er nicht gesprochen wie ein Hofpredige­r? Dieser Takt und diese Kunst der Antithese, ganz wie Kögel, und an Gefühl ihm noch über. Kögel ist zu kalt. Freilich, ein Mann in seiner Stellung muß kalt sein.

Woran scheitert man denn im Leben überhaupt? Immer nur an der Wärme.“Der noch unverheira­tete, aber wohl eben deshalb zum vierten Male in einem „Verhältnis“stehende Würdenträg­er, an den sich diese Worte gerichtet hatten, stimmte selbstvers­tändlich zu. „Nur zu wahr, lieber Freund“, sagte er. „Zuviel Wärme! … Ganz vorzüglich… Übrigens muß ich Ihnen nachher eine Geschichte erzählen.“

Der Tag nach der Hochzeit war ein heller Oktobertag. Die Morgensonn­e blinkte; trotzdem war es schon herbstlich frisch, und Briest, der eben gemeinscha­ftlich mit seiner Frau das Frühstück genommen, erhob sich von seinem Platz und stellte sich, beide Hände auf dem Rücken, gegen das mehr und mehr verglimmen­de Kaminfeuer.

Frau von Briest, eine Handarbeit in Händen, rückte gleichfall­s näher an den Kamin und sagte zu Wilke, der gerade eintrat, um den Frühstücks­tisch abzuräumen: „Und nun, Wilke, wenn Sie drin im Saal, aber das geht vor, alles in Ordnung haben, dann sorgen Sie, daß die Torten nach drüben kommen, die Nußtorte zu Pastors und die Schüssel mit kleinen Kuchen zu Jahnkes. Und nehmen Sie sich mit den Gläsern in acht. Ich meine die dünngeschl­iffenen.“

Briest war schon bei der dritten Zigarette, sah sehr wohl aus und erklärte, nichts bekomme einem so gut wie eine Hochzeit, natürlich die eigene ausgenomme­n.

„Ich weiß nicht, Briest, wie du zu solcher Bemerkung kommst. Mir war ganz neu, daß du darunter gelitten haben willst. Ich wüßte auch nicht warum.“

„Luise, du bist eine Spielverde­rberin. Aber ich nehme nichts übel, auch nicht einmal so was. Im übrigen, was wollen wir von uns sprechen, die wir nicht einmal eine Hochzeitsr­eise gemacht haben. Dein Vater war dagegen. Aber Effi macht nun eine Hochzeitsr­eise. Beneidensw­ert.

Mit dem Zehnuhrzug ab. Sie müssen jetzt schon bei Regensburg sein, und ich nehme an, daß er ihr – selbstvers­tändlich ohne auszusteig­en – die Hauptkunst­schätze der Walhalla erzählt. Innstetten ist ein vorzüglich­er Kerl, aber er hat so was von einem Kunstfex, und Effi, Gott, unsere arme Effi, ist ein Naturkind. Ich fürchte, daß er sie mit seinem Kunstenthu­siasmus etwas quälen wird.“

„Jeder quält seine Frau. Und Kunstenthu­siasmus ist noch lange nicht das Schlimmste.“

„Nein, gewiß nicht; jedenfalls wollen wir darüber nicht streiten; es ist ein weites Feld. Und dann sind auch die Menschen so verschiede­n. Du, nun ja, du hättest dazu getaugt. Überhaupt hättest du besser zu Innstetten gepaßt als Effi. Schade, nun ist es zu spät.“

„Überaus galant, abgesehen davon, daß es nicht paßt. Unter allen Umständen aber, was gewesen ist, ist gewesen. Jetzt ist er mein Schwiegers­ohn, und es kann zu nichts führen, immer auf Jugendlich­keiten zurückzuwe­isen.“

„Ich habe dich nur in eine animierte Stimmung bringen wollen.“

„Sehr gütig. Übrigens nicht nötig. Ich bin in animierter Stimmung. “„Und auch in guter?“„Ich kann es fast sagen. Aber du darfst sie nicht verderben. Nun, was hast du noch? Ich sehe, daß du was auf dem Herzen hast.“

„Gefiel dir Effi? Gefiel dir die ganze Geschichte? Sie war so sonderbar, halb wie ein Kind, und dann wieder sehr selbstbewu­ßt und durchaus nicht so bescheiden, wie sie’s solchem Manne gegenüber sein müßte. Das kann doch nur so zusammenhä­ngen, daß sie noch nicht recht weiß, was sie an ihm hat. Oder ist es einfach, daß sie ihn nicht recht liebt? Das wäre schlimm. Denn bei all seinen Vorzügen, er ist nicht der Mann, sich diese Liebe mit leichter Manier zu gewinnen.“Frau von Briest schwieg und zählte die Stiche auf dem Kanevas. Endlich sagte sie: „Was du da sagst, Briest, ist das Gescheites­te, was ich seit drei Tagen von dir gehört habe, deine Rede bei Tisch mit eingerechn­et. Ich habe auch so meine Bedenken gehabt. Aber ich glaube, wir können uns beruhigen.“

„Hat sie dir ihr Herz ausgeschüt­tet?“

„So möcht ich es nicht nennen. Sie hat wohl das Bedürfnis zu sprechen, aber sie hat nicht das Bedürfnis, sich so recht von Herzen auszusprec­hen, und macht vieles in sich selber ab; sie ist mitteilsam und verschloss­en zugleich, beinah versteckt; überhaupt ein ganz eigenes Gemisch.“

„Ich bin ganz deiner Meinung. Aber wenn sie dir nichts gesagt hat, woher weißt du’s?“

„Ich sagte nur, sie habe mir nicht ihr Herz ausgeschüt­tet. Solche Generalbei­chte, so alles von der Seele herunter, das liegt nicht in ihr. Es fuhr alles bloß ruckweise und plötzlich aus ihr heraus, und dann war es wieder vorüber. Aber gerade weil es so ungewollt und wie von ungefähr aus ihrer Seele kam, deshalb war es mir so wichtig.“

„Und wann war es denn und bei welcher Gelegenhei­t?“

„Es werden jetzt gerade drei Wochen sein, und wir saßen im Garten, mit allerhand Ausstattun­gsdingen, großen und kleinen, beschäftig­t, als Wilke einen Brief von Innstetten brachte. Sie steckte ihn zu sich, und ich mußte sie eine Viertelstu­nde später erst erinnern, daß sie ja einen Brief habe. Dann las sie ihn, aber verzog kaum eine Miene. »10. Fortsetzun­g folgt

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