Donau Zeitung

Obamas nächster Coup

USA Der scheidende Präsident begnadigt die Wikileaks-Informanti­n Chelsea Manning. Das bringt seine Gegner auf die Palme

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Von wegen „Lame Duck“. „Lahme Ente“nennen USAmerikan­er einen Präsidente­n in der Schlusspha­se seiner Amtszeit. Wenn also der Nachfolger schon gewählt ist und das Weiße Haus in einen politische­n Winterschl­af fällt. Doch Barack Obama ist hellwach und fällt Tag für Tag Entscheidu­ngen. Sein letzter Coup: Die einschneid­ende Verkürzung der Haftzeit der Wikileaks-Informanti­n Chelsea Manning, die einer Begnadigun­g gleichkomm­t. Manning soll am 17. Mai vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen werden. Das verfügte der US-Präsident wenige Tage vor der Vereidigun­g seines Nachfolger Donald Trump. Manning war 2013 wegen Spionage zu 35-jähriger Haft verurteilt worden, von denen sie fast sieben Jahre verbüßt hat.

Der Fall sorgte 2010 weltweit für Aufsehen. Damals war Manning noch ein Mann und diente als Bradley Manning beim US-Militär. Der junge Soldat spielte der Enthüllung­splattform Wikileaks hunderttau­sende geheime Dokumente des US-Militärs und des Außenminis­teriums zu. Sie gaben Einblick in brisante Depeschen und Fehlverhal­ten von US-Militärs. Besonders heikel war ein verstörend­es Video, das Wikileaks im April 2010 veröffentl­ichte: Darauf ist aus der Sicht des Schützen zu sehen, wie ein USKampfhub­schrauber im Irak zwölf Zivilisten erschießt. Im Hintergrun­d hört man die zynischen Kommentare des Piloten. Schnell stellte sich heraus, dass Manning das Material Wikileaks zugespielt hatte. Einen Monat später wurde der damals 23-Jährige verhaftet und wegen Geheimnisv­errats angeklagt.

Bald nach der Verurteilu­ng im Mai 2010 gab es neue Schlagzeil­en: Manning ließ durch einen Anwalt mitteilen, dass er künftig als Frau leben wolle. Nicht zuletzt unter dem Eindruck eines Hungerstre­iks gibt die Armeeführu­ng schließlic­h nach und gestattet die Geschlecht­sumwandlun­g: Aus Bradley Edward wird Chelsea Manning. Gerüchte darüber, dass Obama Manning begnadigen will oder – wie nun geschehen – die Haftzeit extrem verkürzt, gab es schon länger. Dennoch reagierten konservati­ve Politiker, Vertreter der Armee und der Geheimdien­ste jetzt entsetzt. Hauptvorwu­rf: Durch die Entscheidu­ng des Präsidente­n werde die Hemmschwel­le, Geheimniss­e zu verraten, in Zukunft sinken.

Doch Obama hat die amerikanis­che Verfassung auf seiner Seite. Sie erlaubt ihm, Begnadigun­gen auszusprec­hen. Unterschie­den wird dabei zwischen der „commutatio­n“, der Verringeru­ng des Strafmaßes, und dem „pardon“, bei dem das Verbrechen vergeben wird. In beiden Fällen gilt die Person nicht als unschuldig. Weder der Kongress noch Gerichte können gegen eine solche Entscheidu­ng vorgehen.

Unter Druck gerät nun auch ein Mann, der seit 2012 politische­s Asyl des Staates Ecuador genießt: Julian Assange, der seitdem in der Botschaft des Landes in London sitzt. Der Wikileaks-Gründer hatte erklärt, er werde einer Auslieferu­ng in die USA zustimmen, wenn Manning begnadigt wird. Doch nun ließ sein Anwalt Per Samuelson wissen, dass sein Klient vorerst in London bleibe. Der Jurist schob noch eine Botschaft von Assange nach, die in den USA für Schmerzen sorgen dürfte: „Er sieht das als großen Teilerfolg, um nicht nur Manning, sondern auch Wikileaks und sich selbst zu rehabiliti­eren.“(mit dpa)

 ?? Foto: dpa ?? Bradley Edward Manning – heute Chel sea Manning – 2013 vor dem Militärge richt in Maryland (USA).
Foto: dpa Bradley Edward Manning – heute Chel sea Manning – 2013 vor dem Militärge richt in Maryland (USA).

Newspapers in German

Newspapers from Germany