Was bedeuten die neuen Regeln der Pflegeversicherung?
Lesertelefon Seit Jahresbeginn gibt es viele wichtige Veränderungen: Aus drei Pflegestufen wurden jetzt fünf neue Pflegegrade. Vielen Menschen stehen mit der Reform erstmals Leistungen zu. Was gilt im Einzelfall? Wann gibt es Geld? Wo gibt es Hilfe? Exper
ist jetzt neu in der Pflege? Worauf muss man achten? Auf Fragen zu den wichtigsten Neuerungen der seit Jahresbeginn geltenden Pflegereform und allgemein zu den Leistungen der Pflegeversicherung antworteten an unserem Lesertelefon die Experten Wolfgang Jaumann, Pflegeberater bei der AOK Bayern, Kundry Stern von der bundesweiten Compass-Pflegeberatung und Ingrid Ostermann, Pflegegutachterin vom MDK Bayern.
2016 hatte unser Vater „Pflegestufe I mit Demenz“und bekam 316 Euro Pflegegeld. Wie viel Pflegegeld bekommt er jetzt?
Eigentlich müssten Unterlagen der Pflegekasse bei Ihrem Vater eingegangen sein, aus der die Veränderungen hervorgehen. Die Pflegestufe I mit Demenz wurde automatisch in den Pflegegrad 3 umgewandelt. Das bedeutet, dass Ihr Vater jetzt monatlich 545 Euro Pflegegeld statt der bisher 316 Euro auf sein Konto bekommt.
Mein Mann hatte bisher die Pflegestufe II, die in den Grad 4 umgewandelt worden ist. Wir haben seit vier Jahren Sachleistungen eines Pflegedienstes beansprucht. Der hat uns jetzt einen neuen Kostenvoranschlag geschickt, mit neuen Komponenten. Muss man das so annehmen?
Nein, Sie schauen, was Ihr Mann benötigt. Es kann sein, dass ihr bisheriger Pflegedienst weitere Angebote gemacht hat, um Sie zu entlasten. Grundlage dafür ist wahrscheinlich, dass Ihrem Mann ja in Pflegegrad 4 jetzt statt der bisher 1298 Euro monatlich nun 1612 Euro im Monat zur Abrechnung mit dem Dienst zur Verfügung stehen. Daher werden weitere Leistungskomponenten angeboten. Sie müssen das Angebot jedoch nicht annehmen.
Was macht man jetzt, wenn der Antrag auf eine Pflegestufe Ende des Jahres 2016 abgelehnt worden ist?
Sie können innerhalb der geltenden Vier-Wochen-Frist einen Widerspruch einlegen. Dann erfolgt eine erneute Begutachtung – jedoch nach den alten Regeln. Wenn die Ablehnung erfolgte, weil der Zeitaufwand beispielsweise in der Grundpflege nicht ausreichte, kann diese alte Begutachtungsvariante durchaus wieder zur Ablehnung führen. Es kann sinnvoller sein, einen neuen Antrag zu stellen. Mit dem neuen Begutachtungssystem fallen nämlich noch weitere Bereiche des Lebens als bisher in die Bewertung, was durchaus zur Anerkennung der Pflegebedürftigkeit führen kann.
Ich beziehe Grundsicherung. Jetzt möchte ich einen Antrag auf Pflegebedürftigkeit stellen. Wenn ich Pflegegeld erhalten sollte, wird das dann auf die Grundsicherung angerechnet?
Nein, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Die Grundsicherung dient dazu, Ihren Lebensunterhalt sicherzustellen. Leistungen der Pflegeversicherung gibt es, um im Fall der Pflegebedürftigkeit eine optimale Betreuung gewährleisten zu können.
Kann man aufgrund psychischer Probleme allein schon einen Pflegegrad bekommen?
Ja, wenn dadurch die Selbstständigkeit im Alltag in schwerstem Maße beeinträchtigt ist.
Wo stelle ich den Antrag zur Begutachtung, wenn ich etwas von der Pflegeversicherung bekommen möchte? Ich bin bei der Barmer versichert.
Einen Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung stellt man wie bisher bei seiner Pflegekasse, die an die eigene Krankenversicherung angegliedert ist. In Ihrem Fall wäre das bei der Pflegekasse der Barmer.
Welche medizinischen Unterlagen braucht mein Mann, wenn er einen Antrag auf einen Pflegegrad stellen möchte. Muss unser Arzt zustimmen?
Sie benötigen keine medizinischen Unterlagen und auch nicht die Meinung Ihres Hausarztes. Bei der Zuerkennung eines Pflegegrades geht es nicht um Krankheit oder Alter, sondern darum, inwieweit Ihr Mann in seiner Selbstständigkeit im Alltagsleben eingeschränkt ist. Mit dem neuen Begutachtungssystem werden verschiedene andere Lebensbereiche betrachtet. So wird beispielsweise auch der Umgang mit krankheitsbedingten beziehungsweise therapiebedingten Anforderungen erfasst.
Unter welchen Voraussetzungen zahlt die Pflegekasse Rentenversicherungsbeiträge für mich als Pflegeperson? Ich pflege meinen Mann seit zwei Jahren allein zu Hause.
Es müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: Sie pflegen Ihren Mann zehn Stunden an mindestens zwei Tagen in der Woche nicht erwerbsmäßig und sind selbst nicht mehr als 30 Stunden erwerbstätig. Dann kann Ihr Mann bei seiner Pflegekasse einen Antrag auf Zahlung von Beiträgen an Ihren Rentenversicherungsträger stellen.
Ich pflege meine Mutter mit Pflegegrad 3. Sie ist dement. Kann meine Freundin für mich einspringen, wenn ich zur Physiotherapie gehe? Gibt es dafür Geld?
Ja. Für diese stundenweise Verhinderung der Person, die üblicherweise betreut, gibt es die Leistung der Verhinderungspflege. Das sind 1612 Euro im Jahr. Sie können Ihrer Freundin Ihren Betreuungseinsatz vergüten, lassen sich das quittieren und reichen diese Belege bei der Pflegekasse Ihrer Mutter zur Erstattung ein. Sie müssen diese Leistung bei der Pflegekasse beantragen. Den Betrag können Sie sogar noch aufstocken um die Hälfte der nicht beanspruchten Mittel aus der KurzWas zeitpflege, auf maximal 2418 Euro im Jahr.
Seit letztem Jahr ist meine Mutter in einer vollstationären Einrichtung. Sie erhielt jetzt statt der alten Pflegestufe I den neuen Pflegegrad 2. Ich habe gelesen, da soll es jetzt von der Pflegekasse nur noch 770 Euro Zuschuss geben. Wer muss die Differenz zahlen?
In den neuen Pflegegraden 2 und 3 gibt es bei stationärer Pflege jetzt geringere Zuschüsse als in den bisherigen Pflegestufen I und II. Das gilt aber nicht für Ihre Mutter, die ja schon im Heim lebt, sondern nur für jene, die jetzt erstmals in ein Heim ziehen. Wer wie Ihre Mutter schon 2016 Heimbewohner war, erhält von der Pflegekasse die Differenz im Rahmen einer Besitzstandsregelung erstattet. Diese Zuschüsse zur stationären Pflege werden ab Pflegegrad 2 gezahlt. Ihre Mutter muss sich also nicht sorgen.
Wie geht es weiter nach der Schnelleinstufung meiner Frau? Der Sozialdienst hatte in der Reha eine Einstufung auf den Weg gebracht.
Eine sogenannte Schnelleinstufung basiert in der Regel auf Aktenlage. Nach der Entlassung folgt eine persönliche Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen zu Hause. Sie erhalten sicher demnächst ein Terminangebot. Dann kommt der Gutachter zu Ihnen und schaut, wie selbstständig Ihre Frau den Alltag noch bewältigen kann, welche Beeinträchtigungen zu einem Leistungsanspruch führen.
Mein Vater wird in ein Heim ziehen müssen. Wir fürchten, seine eigenen Mittel reichen nicht aus, um es zu bezahlen. Gibt es nach der Pflegereform jetzt andere Kriterien für die Hilfe zur Pflege?
Es gilt nach wie vor, reichen die Leistung der Pflegeversicherung, das eigene Alterseinkommen und eigene Vermögen nicht aus, um den Heimplatz zu finanzieren, springt das Sozialamt mit Hilfe zur Pflege ein. Ihr Vater müsste dann einen entsprechenden Antrag beim zuständigen Sozialhilfeträger stellen. Der prüft allerdings, ob und inwieweit eventuell Sie als Angehörige ersten Grades sich an den Heimkosten beteiligen müssten.
Unsere Tochter ist geistig und körperlich behindert und hat einen Pflegegrad. Wir möchten für Sie das Bad umbauen. Können wir den Zuschuss dafür von der Pflegekasse bekommen trotz Umwandlung der Pflegestufen?
Ja. Ab Pflegegrad 1 kommt der Zuschuss für sogenannte wohnumfeldverbessernde Maßnahmen infrage. Das sind bis zu 4000 Euro pro Maßnahme. Sie stellen den Antrag bei der Pflegekasse Ihrer Tochter und legen am besten gleich einen Kostenvoranschlag bei. Beginnen Sie erst mit dem Umbau, wenn Sie den Bewilligungsbescheid haben. Und denken Sie bitte beim Badumbau auch an den Eingang zum Bad. Dass die Tür beispielsweise breit genug und nach außen öffnend ist und die Bewegungsflächen vor den Sanitärgegenständen groß genug sind. Es kann ein neuer Anspruch entstehen, wenn sich die Pflegesituation verändert und ein neuer Anpassungsbedarf entsteht.
Bei mir war der Pflegezeitaufwand entscheidend, dass ich eine Pflegestufe erhalten habe. Wie läuft das mit dem neuen System, wenn auch mein Mann pflegebedürftig wird?
Stimmt, bisher hing die Pflegestufe davon ab, wie viel Zeit an Unterstützung bei Hauswirtschaft und Grundpflege benötigt wurde. Jetzt wird beurteilt, in welchem Maße die Selbstständigkeit beeinträchtigt ist. Das wird jetzt in sechs Modulen berücksichtigt. Dahinter verbergen sich Mobilität, Einschränkungen aufgrund Demenz, psychische Auffälligkeiten, Probleme bei der Selbstversorgung, Umgang mit medizinischen Leistungen und die Bewerkstelligung des Alltags.
Wir möchten, bevor wir den Antrag auf Pflegeleistungen für meine Mutter stellen, gern eine Beratung in Anspruch nehmen. Geht das?
Ja. Jedem Bürger steht per Gesetz und kostenfrei eine Pflegeberatung zu – auf Wunsch in der Wohnung des Pflegebedürftigen. Zuständig ist die Pflegekasse des Betreffenden. Bei privat Versicherten ist es die bundesweite Compass-Pflegeberatung. Letztere berät auch gesetzlich Versicherte telefonisch. Die Beratung können Sie als Angehörige erhalten, ohne dass die Pflegebedürftige dabei ist. Neben der Information über das Begutachtungsverfahren und die Leistungen können Listen der regionalen Pflegeanbieter angefordert werden.
Lohnt bei abgelehnten alten Fällen jetzt ein neuer Antrag?
Wir hatten für meinen Mann zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen. Gibt es die mit den neuen Pflegegraden weiter?
Ja, diese Leistung gibt es weiter. Der Betrag für zusätzliche Betreuung
Wann muss man selbst eine Pflichtberatung beantragen?
und Entlastung – etwa eine Haushaltshilfe – steigt von 104 auf 125 Euro monatlich. Dies gilt für alle Pflegegrade. Für jemanden, dem aufgrund eines erhöhten Bedarfs bisher 208 Euro zur Verfügung standen, sind das jetzt auch nur 125 Euro. Diese Absenkung gilt als vertretbar, da sich alle anderen Leistungen der Pflegeversicherung erhöht haben. Außerdem können Sie Leistungen, die 2015 und 2016 nicht geltend gemacht worden sind, bis 2018 noch in Anspruch nehmen.
Meine Schwiegereltern sind 84 Jahre alt und müssen oft zum Arzt. Zählt dieser hohe Zeitaufwand irgendwie für die Pflegebedürftigkeit?
Leider nicht. Der Zeitaufwand für Arztbesuche allein reicht nicht aus, um Pflegebedürftigkeit zu begründen. Ebenso spielt auch der hauswirtschaftliche Versorgungsbedarf beim Pflegegrad keine Rolle.
Stimmt es, dass ich einen Beratungseinsatz selbst beantragen muss, um immer Pflegegeld zu bekommen?
Ja, ab Pflegegrad 2 sind die Pflegebedürftigen verpflichtet, halbjährlich eine Beratung in Anspruch zu nehmen. Dabei geht es in erster Linie darum, vor allem die Pflegesituation optimaler zu gestalten und Hilfestellungen zu geben. Das gilt auch für den Pflegegrad 3. Für die Grade 4 und 5 ist ein vierteljährlicher Beratungseinsatz festgelegt. Ihre Pflegekasse kann Ihnen bei der Anforderung einer solchen Beratung behilflich sein. Sie fordert Sie in der Regel vor Ablauf der Halbjahresfrist auch schriftlich dazu auf. Das alles kostet Sie nichts.