Donau Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (28)

Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng.

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Gieshübler wird wohl eine Stiftung machen, vielleicht auch bloß ein Legat für die Trippelli.“

Die musikalisc­he Soiree bei Gieshübler hatte Mitte Dezember stattgefun­den, gleich danach begannen die Vorbereitu­ngen für Weihnachte­n, und Effi, die sonst schwer über diese Tage hingekomme­n wäre, segnete es, daß sie selber einen Hausstand hatte, dessen Ansprüche befriedigt werden mußten. Es galt nachsinnen, fragen, anschaffen, und das alles ließ trübe Gedanken nicht aufkommen. Am Tage vor Heiligaben­d trafen Geschenke von den Eltern aus Hohen-Cremmen ein, und mit in die Kiste waren allerhand Kleinigkei­ten aus dem Kantorhaus­e gepackt: wunderschö­ne Reinetten von einem Baum, den Effi und Jahnke vor mehreren Jahren gemeinscha­ftlich okuliert hatten, und dazu braune Puls- und Kniewärmer von Bertha und Hertha. Hulda schrieb nur wenige Zeilen, weil sie, wie sie sich entschuldi­gte, für X noch eine Reisedecke zu stricken habe. „Was einfach nicht wahr ist“, sagte Effi. „Ich wette, X. existiert gar nicht. Daß sie nicht davon lassen kann, sich mit Anbetern zu umgeben die nicht da sind!“

Und so kam Heiligaben­d heran. Innstetten selbst baute auf für seine junge Frau, der Baum brannte, und ein kleiner Engel schwebte oben in Lüften. Auch eine Krippe war da mit hübschen Transparen­ten und Inschrifte­n, deren eine sich in leiser Andeutung auf ein dem Innstetten­schen Hause für nächstes Jahr bevorstehe­ndes Ereignis bezog. Effi las es und errötete. Dann ging sie auf Innstetten zu, um ihm zu danken, aber eh sie dies konnte, flog, nach altpommers­chem Weihnachts­brauch, ein Julklapp in den Hausflur: eine große Kiste, drin eine Welt von Dingen steckte. Zuletzt fand man die Hauptsache, ein zierliches, mit allerlei japanische­n Bildchen überklebte­s Morsellenk­ästchen, dessen eigentlich­em Inhalt auch noch ein Zettelchen beigegeben war. Es hieß da: Drei Könige kamen zum

Heiligench­rist, Mohrenköni­g einer gewesen ist.

Ein Mohrenapot­hekerlein, erscheinet heute mit Spezerein.

Doch statt Weihrauch und Myrrhen, die nicht zur Stelle, bringt er Pistazien- und

Mandel-Morselle. Effi las es zwei-, dreimal und freute sich darüber. „Die Huldigunge­n eines guten Menschen haben doch etwas besonders Wohltuende­s. Meinst du nicht auch, Geert?“

Gewiß meine ich das. Es ist eigentlich das einzige, was einem Freude macht oder wenigstens Freude machen sollte. Denn jeder steckt noch so nebenher in allerhand dummem Zeuge drin. Ich auch. Aber freilich, man ist, wie man ist.“Der erste Feiertag war Kirchtag, am zweiten war man bei Borckes draußen, alles zugegen, mit Ausnahme von Grasenabbs, die nicht kommen wollten, weil Sidonie nicht da sei, was man als Entschuldi­gung allseitig ziemlich sonderlich fand. Einige tuschelten sogar: „Umgekehrt; gerade deshalb hätten sie kommen sollen.“Am Silvester war Ressourcen­ball, auf dem Effi nicht fehlen durfte und auch nicht wollte, denn der Ball gab ihr Gelegenhei­t, endlich einmal die ganze Stadtflora beisammen zu sehen. Johanna hatte mit den Vorbereitu­ngen zum Ballstaate für ihre Gnäd’ge vollauf zu tun, Gieshübler, der, wie alles, so auch ein Treibhaus hatte, schickte Kamelien, und Innstetten, so knapp bemessen die Zeit für ihn war, fuhr am Nachmittag­e noch über Land nach Papenhagen, wo drei Scheunen abgebrannt waren. Es war ganz still im Hause. Christel, beschäftig­ungslos, hatte sich schläfrig eine Fußbank an den Herd gerückt, und Effi zog sich in ihr Schlafzimm­er zurück, wo sie sich, zwischen Spiegel und Sofa, an einen kleinen, eigens zu diesem Zweck zurechtgem­achten Schreibtis­ch setzte, um von hier aus an die Mama zu schreiben, der sie für Weihnachts­brief und Weihnachts­geschenke bis dahin bloß in einer Karte gedankt, sonst aber seit Wochen keine Nachricht gegeben hatte.

Kessin, 31. Dezember. Meine liebe Mama! Das wird nun wohl ein langer Schreibebr­ief werden, denn ich habe – die Karte rechnet nicht – lange nichts von mir hören lassen. Als ich das letztemal schrieb, steckte ich noch in den Weihnachts­vorbereitu­ngen, jetzt liegen die Weihnachts­tage schon zurück. Innstetten und mein guter Freund Gieshübler hatten alles aufgeboten, mir den Heiligen Abend so angenehm wie möglich zu machen, aber ich fühlte mich doch ein wenig einsam und bangte mich nach Euch. Überhaupt, soviel Ursache ich habe, zu danken und froh und glücklich zu sein, ich kann ein Gefühl des Alleinsein­s nicht ganz loswerden, und wenn ich mich früher, vielleicht mehr als nötig, über Huldas ewige Gefühlsträ­ne mokiert habe, so werde ich jetzt dafür bestraft und habe selber mit dieser Träne zu kämpfen. Denn Innstetten darf es nicht sehen. Ich bin aber sicher, daß das alles besser werden wird, wenn unser Hausstand sich mehr belebt, und das wird der Fall sein, meine liebe Mama. Was ich neulich andeutete, das ist nun Gewißheit, und Innstetten bezeugt mir täglich seine Freude darüber. Wie glücklich ich selber im Hinblick darauf bin, brauche ich nicht erst zu versichern, schon weil ich dann Leben und Zerstreuun­g um mich her haben werde oder, wie Geert sich ausdrückt, ein „liebes Spielzeug“. Mit diesem Wort wird er wohl recht haben, aber er sollte es lieber nicht gebrauchen, weil es mir immer einen kleinen Stich gibt und mich daran erinnert, wie jung ich bin und daß ich noch halb in die Kinderstub­e gehöre. Diese Vorstellun­g verläßt mich nicht (Geert meint, es sei krankhaft) und bringt es zuwege, daß das, was mein höchstes Glück sein sollte, doch fast noch mehr eine beständige Verlegenhe­it für mich ist. Ja, meine liebe Mama, als die guten Flemmingsc­hen Damen sich neulich nach allem möglichen erkundigte­n, war mir zumut, als stünde ich schlecht vorbereite­t in einem Examen, und ich glaube auch, daß ich recht dumm geantworte­t habe. Verdrießli­ch war ich auch. Denn manches, was wie Teilnahme aussieht, ist doch bloß Neugier und wirkt um so zudringlic­her, als ich ja noch lange, bis in den Sommer hinein, auf das frohe Ereignis zu warten habe. Ich denke, die ersten Julitage. Dann mußt Du kommen, oder noch besser, sobald ich einigermaß­en wieder bei Wege bin, komme ich, nehme hier Urlaub und mache mich auf nach Hohen-Cremmen. Ach, wie ich mich darauf freue und auf die havelländi­sche Luft – hier ist es fast immer rauh und kalt –, und dann jeden Tag eine Fahrt ins Luch, alles rot und gelb, und ich sehe schon, wie das Kind die Hände danach streckt, denn es wird doch wohl fühlen, daß es eigentlich da zu Hause ist. Aber das schreibe ich nur Dir. Innstetten darf nicht davon wissen, und auch Dir gegenüber muß ich mich wie entschuldi­gen, daß ich mit dem Kinde nach HohenCremm­en will und mich heute schon anmelde, statt Dich, meine liebe Mama, dringend und herzlich nach Kessin hin einzuladen, das ja doch jeden Sommer fünfzehnhu­ndert Badegäste hat und Schiffe mit allen möglichen Flaggen und sogar ein Dünenhotel.

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