Donau Zeitung

Das Gedächtnis der Stadt vergisst nichts

Archiv Wertingen verfügt über viele Schätze aus der Vergangenh­eit. Diese werden für die Zukunft aufbereite­t

- VON HERTHA STAUCH

Wertingen Ein gut geführtes Archiv vergisst nichts. Auch keine schlechten Noten, die Schüler anno dazumal geschriebe­n haben. Also aufgepasst! Wer wissen will, ob der Großvater im Rechnen gut oder schlecht war, oder wie sich die Oma im Handarbeit­en anstellte, der findet das in den Jahresschu­lnotenverz­eichnissen der Volksschul­e Wertingen. Die liegen derzeit alle aufgestape­lt im Stadtarchi­v in den ehrwürdige­n Räumen des ehemaligen Amtsgerich­ts.

Anton Stehle, seit November ehrenamtli­cher Mitarbeite­r des Archivs, arbeitet sich durch die Verzeichni­sse, die in Wertingen von 1825 bis 1962 geführt wurden – Listen von Schülern, ihren Noten und den Tagen, an denen sie im Unterricht gefehlt haben. Im Jahr 1825 gab es Noten von 0 bis 4. „Null bedeutete ‘vorzüglich‘ und vier gering‘ “, weiß Anton Stehle inzwischen. Später hat sich das geändert. 1850 kam eine Note hinzu – von 0 bis 5 reichte die Bewertungs­skala.

Akribisch entziffert Stehle die Aufzeichnu­ngen der damaligen Lehrer – allein drei verschiede­ne altdeutsch­e Schriften sind in den Schulbüche­rn handgeschr­ieben vorzufinde­n. Wer also im Archiv arbeitet, der muss über viele Fachkenntn­isse verfügen. Dr. Johannes Mordstein, studierter Historiker, arbeitet seit 2009 hauptamtli­ch als Archivpfle­ger der Stadt Wertingen und betreut als solcher auch das Archiv der Gemeinde Buttenwies­en mit. Mordstein hat das Amt von einem überaus engagierte­n Vorgänger, dem früh verstorben­en Jürgen Fiedler übernommen, der begonnen hatte, das Wertinger Archiv aufzuarbei­ten. Und doch liegt vor Mordstein und den anderen ehrenamtli­chen Mitarbeite­rn Alfred Sigg und Wolfram Stadler noch ein riesiger von Akten und Sammlungen, die gesichtet, inventaris­iert, neu geordnet, nummeriert und im Computer erfasst werden müssen.

Ziel ist immer, schnelle Antworten auf eine Frage, also eine Aktennumme­r im Computer zu finden, unter der dann in den Schränken nachgescha­ut und in alten Unterlagen geblättert werden kann. „Wir werden in absehbarer Zeit im Computer eine eigene Datenbank einführen, in der wir auf die Eingabe eines Stichworts die Aktennumme­rn bekommen“, erklärt Dr. Mordstein, der gerade dabei ist, das Archiv der ehemals selbststän­digen Gemeinde Gottmannsh­ofen zu sichten.

„Archive existieren, seit es Verwaltung­en gibt,“berichtet MordBerg stein. Denn in jeder Verwaltung tauche die Frage auf, was mit den abgeschlos­senen Vorgängen zu tun ist. Viele müssen von Amts wegen aufbewahrt werden, Protokolle, Vereinbaru­ngen und Verträge geben unter Umständen über Jahrhunder­te hinweg Aufschlüss­e über rechtliche Fragen. Das Archiv sei deshalb nicht nur ein Eldorado für Heimatfors­cher und Geschichts­interessie­rte, sondern Grundlage für Verwaltung­shandlunge­n. Alte Karten, Pläne oder Skizzen müssen hervorgeho­lt werden, wenn Gebäude umgebaut, Brücken renoviert oder neue Gebiete erschlosse­n werden. „Das Archiv ist das Gedächtnis der Stadt. Es gilt, heute das Gestern für das Morgen zu bewahren“, sagen Mordstein und Stehle unisono.

Dr. Mordstein holt eines der ältesten Stücke im Stadtarchi­v Wertingen aus einem Karton hervor, der es vor Zerschleiß schützen soll. Es ist die Gerichtsor­dnung von 1568, in der die Zuständigk­eiten des Gerichts aufgeführt sind. Handgeschr­ieben werden hier Fragen erörtert, was zum Beispiel bei Meineid zu tun ist. Das seltene Stück hat besondere Bedeutung, zumal viele Dokumente aus früher Zeit nicht mehr existieren. Während des 30-jährigen Krieges (1618 bis 1648) wurde das Wertinger Rathaus verwüstet, brannte ab und mit ihm alle Unterlagen der damaligen Zeit. So weist das Archiv eine große Lücke auf. Jürgen Fiedler war es, der Anfang der 90er Jahre begann, die noch vorhandene­n Unterlagen in den Archivschr­änken im Rathaus zu ordnen. „Fiedler leistete enorme Arbeit“, zollen Mordstein und Stehle ihrem Vorgänger großes Lob.

Unter anderem dieser Arbeit ist es zu verdanken, dass das Wertinger Archiv sich zu einem reichen Schatz entwickelt­e, sodass die Stadt als eine von wenigen Kommunen dieser Größenordn­ung mit Dr. Mordstein einen hauptamtli­chen Stadtarchi­vpfleger mit akademisch­er Ausbildung einstellte. Auf Anregung von Bezirksrat und Stadtrat Dr. Johann Popp soll das Wertinger Archiv nun für überörtlic­he Fortbildun­gen genutzt werden. Ein schwäbisch­es Zentrum für ehrenamtli­che Archivpfle­ger – bereits im Juli soll es eine entspreche­nde Veranstalt­ung geben. Dies zu organisier­en, wird Aufgabe von Anton Stehle sein. Wertingen bekommt also beim Thema Archiv einen besonderen Stellenwer­t.

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Fotos: Hertha Stauch Berge von alten Schulakten werden im Stadtarchi­v Wertingen derzeit aufgearbei­tet: (von links) Wolfram Stadler, Dr. Johannes Mordstein, Anton Stehle und Alfred Sigg.
 ??  ?? Vorher – nachher: Jede Menge alter Verwaltung­sakten lagern noch in den Schränken des Stadtarchi­vs Wertingen. Sie werden ge sichtet, geordnet, in Kartons verpackt, beschrifte­t. Ein „Findbuch“an der Schranktür­e weist auf den Inhalt der Kartons hin.
Vorher – nachher: Jede Menge alter Verwaltung­sakten lagern noch in den Schränken des Stadtarchi­vs Wertingen. Sie werden ge sichtet, geordnet, in Kartons verpackt, beschrifte­t. Ein „Findbuch“an der Schranktür­e weist auf den Inhalt der Kartons hin.
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