Donau Zeitung

Ein kleiner Gemüsegart­en und ein Dutzend Hühner

Schicksal Die Brüder Abood, Oqba und Ismael flüchteten aus Syrien, um dort nicht als Soldaten kämpfen zu müssen. Heute leben sie glücklich in Haunsheim. Was sie aber vermissen

- VON LARISSA TORRES DE MEDEIROS

Haunsheim Mit dem Begriff „Integratio­n“verbinden die meisten wohl vor allem Probleme mit der deutschen Sprache. Sie stellt sicher das größte Hindernis dar. Dabei sind die kulturelle­n Unterschie­de nicht weniger relevant und für Flüchtling­e aus fremden Kulturen oftmals schwer zu überwinden. Wie schwer, erleben die drei Brüder Abood, Oqba und Ismael aus Syrien immer wieder am eigenen Leib. Seit sie nach ihrer Flucht vor über einem Jahr in Haunsheim gestrandet sind, gab es einige überrasche­nde Momente, die sie stutzig machten. Dreißig Minuten später zu einem vereinbart­en Termin beispielsw­eise zu erscheinen, bedeutet bei Syrern so viel wie pünktlich zu sein. Dass in Deutschlan­d die Uhren anders ticken, haben die Brüder aber schnell gelernt.

Auch wie die Mülltrennu­ng vonstatten­geht, gehört zu den jüngsten Erfahrunge­n im neuen Land. War es anfangs noch komplizier­t, die unterschie­dlichen Tonnen auseinande­rzuhalten, wissen die jungen Männer heute Bescheid über Glascontai­ner, gelbe Säcke und graue und braune Tonnen. „Wir wissen inzwischen, wie vieles hier funktionie­rt, und ha- uns ganz gut eingelebt.“Von der medizinisc­hen Versorgung und dem ärztlichen Know-how auf dem Land sind sie begeistert. „Die ist hier um einiges besser als bei uns zu Hause.“An eine Krankenver­sicherung, die den Arztbesuch ermöglicht, mussten sie sich ebenfalls erst gewöhnen, denn in Syrien gibt es überhaupt keine. Wie ein Dschungel kommt den jungen Flüchtling­en das deutsche Steuersyst­em vor: „In Syrien bezahlen alle gleich viel Abgaben, egal, ob sie viel oder wenig verdienen.“Dabei sei der Steuersatz im Gegensatz zu Deutschand sehr gering.

Ein anderer Punkt ist, dass in vielen Gegenden Syriens, in denen der Islam vorherrsch­t, während der Fastenzeit Ramadan das Leben – privat, während der Arbeit und in der Schule – untertags einen völlig anderen Rhythmus annimmt. In Haunsheim begegneten die syrischen Brüder vielen Menschen, die die Ausübung des islamische­n Glaubens tolerieren. „Ich war sehr glücklich zu sehen, dass unsere Religion und unsere Kultur respektier­t wird. Die Deutschen sind über unsere Kultur gut informiert“, erzählt Oqba. Deir ez-Zor heißt die Stadt, aus der sie stammen. Die Universitä­tsstadt liegt im Osten Syriens an der irakischen Grenze und ist reich an Erdölvorko­mmen. Bevor der Krieg 2011 ausbrach, sollen hier mehr als 300000 Menschen gelebt haben – drei Mal so viele wie heute. Deir ez-Zor bildet seit drei Jahren eine Enklave in einem Gebiet, das vom IS beherrscht wird. Die Versorgung der Bevölkerun­g hing bisher vom Militärflu­ghafen ab. Jetzt droht Versorgung­snot, denn ISMilizen bereiten offenbar der syrischen Armee ernsthafte Schwierigk­eit. Erst vor wenigen Tagen soll sie von der IS eingekesse­lt worden sein.

Die Brüder ahnten, dass sich die Lage verschärfe­n würde. Deshalb hatte Abood seinen Bruder Oqba, 27, überredet, mit ihm zu fliehen. Der jüngste Bruder Ismael, 17, folgte ihnen später allein. Nach dem 16. Versuch, von der Türkei nach Griechenla­nd übers Mittelmeer zu gelangen. Sie wollten vermeiden, als Kämpfer rekrutiert zu werden.

Seither versuchen die Männer, ein Leben abseits von Krieg und Gewalt zu führen – ein Spagat: Auf der einen Seite freuen sie sich, hier zu sein. Auf der anderen steht die Sorge um die große Familie, die sich imben mer noch in der IS-Hochburg befindet und die Stadt nicht verlassen kann. Die Gefahr, getötet zu werden, ist derzeit groß.

Etwas Normalität in ihr Leben zu bringen, das treibt die jungen Syrer in Haunsheim an: Dazu gehören ein kleiner Gemüsegart­en und ein Dutzend Hühner. Dazu gehören auch der tägliche Deutschunt­erricht, der Integratio­nskurs und die Teilzeitar­beit bei einer Gärtnerin. Die Arbeit dort macht Abood, dem Ältesten, so viel Spaß, dass er sich vorstellen kann, den Beruf einmal zu erlernen. Daran, dass seine Chefin eine Frau ist, hat sich der 29-Jährige inzwischen gewöhnt, und das stellt für ihn kein Problem mehr dar.

Die jungen Männer zeigen sich offen, und sie wollen vorurteils­frei auftreten: In der Vergangenh­eit hätten sie immer wie Brüder mit anderen Freunden aus verschiede­nen Religionen gelebt. „Wir respektier­en die Lebensweis­e eines jeden“, sagt Oqba. Das Wichtige sei ein Leben in Frieden – da sind sie sich einig. Nur die große Gastfreund­schaft, wie sie in ihrem Heimatland üblich ist, vermissen sie von Zeit zu Zeit. (mit bäs) Bei der Übersetzun­g halfen Saker Elmelhelm und Katharina Hillenbran­d vom Asylhelfer­kreis Buttenwies­en.

Auf der Flucht

 ?? Foto: Torres de Medeiros ?? Die Brüder Abood Alshhada (29), Ismael Alshhada (17) und Oqba Alshhada (26) (von links) flüchteten aus ihrer Heimat Syrien, um dort nicht als Soldaten kämpfen zu müssen. Heute wohnen sie in Haunsheim und halten dort auch ein paar Hühner. Mit den...
Foto: Torres de Medeiros Die Brüder Abood Alshhada (29), Ismael Alshhada (17) und Oqba Alshhada (26) (von links) flüchteten aus ihrer Heimat Syrien, um dort nicht als Soldaten kämpfen zu müssen. Heute wohnen sie in Haunsheim und halten dort auch ein paar Hühner. Mit den...

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