Ein kleiner Gemüsegarten und ein Dutzend Hühner
Schicksal Die Brüder Abood, Oqba und Ismael flüchteten aus Syrien, um dort nicht als Soldaten kämpfen zu müssen. Heute leben sie glücklich in Haunsheim. Was sie aber vermissen
Haunsheim Mit dem Begriff „Integration“verbinden die meisten wohl vor allem Probleme mit der deutschen Sprache. Sie stellt sicher das größte Hindernis dar. Dabei sind die kulturellen Unterschiede nicht weniger relevant und für Flüchtlinge aus fremden Kulturen oftmals schwer zu überwinden. Wie schwer, erleben die drei Brüder Abood, Oqba und Ismael aus Syrien immer wieder am eigenen Leib. Seit sie nach ihrer Flucht vor über einem Jahr in Haunsheim gestrandet sind, gab es einige überraschende Momente, die sie stutzig machten. Dreißig Minuten später zu einem vereinbarten Termin beispielsweise zu erscheinen, bedeutet bei Syrern so viel wie pünktlich zu sein. Dass in Deutschland die Uhren anders ticken, haben die Brüder aber schnell gelernt.
Auch wie die Mülltrennung vonstattengeht, gehört zu den jüngsten Erfahrungen im neuen Land. War es anfangs noch kompliziert, die unterschiedlichen Tonnen auseinanderzuhalten, wissen die jungen Männer heute Bescheid über Glascontainer, gelbe Säcke und graue und braune Tonnen. „Wir wissen inzwischen, wie vieles hier funktioniert, und ha- uns ganz gut eingelebt.“Von der medizinischen Versorgung und dem ärztlichen Know-how auf dem Land sind sie begeistert. „Die ist hier um einiges besser als bei uns zu Hause.“An eine Krankenversicherung, die den Arztbesuch ermöglicht, mussten sie sich ebenfalls erst gewöhnen, denn in Syrien gibt es überhaupt keine. Wie ein Dschungel kommt den jungen Flüchtlingen das deutsche Steuersystem vor: „In Syrien bezahlen alle gleich viel Abgaben, egal, ob sie viel oder wenig verdienen.“Dabei sei der Steuersatz im Gegensatz zu Deutschand sehr gering.
Ein anderer Punkt ist, dass in vielen Gegenden Syriens, in denen der Islam vorherrscht, während der Fastenzeit Ramadan das Leben – privat, während der Arbeit und in der Schule – untertags einen völlig anderen Rhythmus annimmt. In Haunsheim begegneten die syrischen Brüder vielen Menschen, die die Ausübung des islamischen Glaubens tolerieren. „Ich war sehr glücklich zu sehen, dass unsere Religion und unsere Kultur respektiert wird. Die Deutschen sind über unsere Kultur gut informiert“, erzählt Oqba. Deir ez-Zor heißt die Stadt, aus der sie stammen. Die Universitätsstadt liegt im Osten Syriens an der irakischen Grenze und ist reich an Erdölvorkommen. Bevor der Krieg 2011 ausbrach, sollen hier mehr als 300000 Menschen gelebt haben – drei Mal so viele wie heute. Deir ez-Zor bildet seit drei Jahren eine Enklave in einem Gebiet, das vom IS beherrscht wird. Die Versorgung der Bevölkerung hing bisher vom Militärflughafen ab. Jetzt droht Versorgungsnot, denn ISMilizen bereiten offenbar der syrischen Armee ernsthafte Schwierigkeit. Erst vor wenigen Tagen soll sie von der IS eingekesselt worden sein.
Die Brüder ahnten, dass sich die Lage verschärfen würde. Deshalb hatte Abood seinen Bruder Oqba, 27, überredet, mit ihm zu fliehen. Der jüngste Bruder Ismael, 17, folgte ihnen später allein. Nach dem 16. Versuch, von der Türkei nach Griechenland übers Mittelmeer zu gelangen. Sie wollten vermeiden, als Kämpfer rekrutiert zu werden.
Seither versuchen die Männer, ein Leben abseits von Krieg und Gewalt zu führen – ein Spagat: Auf der einen Seite freuen sie sich, hier zu sein. Auf der anderen steht die Sorge um die große Familie, die sich imben mer noch in der IS-Hochburg befindet und die Stadt nicht verlassen kann. Die Gefahr, getötet zu werden, ist derzeit groß.
Etwas Normalität in ihr Leben zu bringen, das treibt die jungen Syrer in Haunsheim an: Dazu gehören ein kleiner Gemüsegarten und ein Dutzend Hühner. Dazu gehören auch der tägliche Deutschunterricht, der Integrationskurs und die Teilzeitarbeit bei einer Gärtnerin. Die Arbeit dort macht Abood, dem Ältesten, so viel Spaß, dass er sich vorstellen kann, den Beruf einmal zu erlernen. Daran, dass seine Chefin eine Frau ist, hat sich der 29-Jährige inzwischen gewöhnt, und das stellt für ihn kein Problem mehr dar.
Die jungen Männer zeigen sich offen, und sie wollen vorurteilsfrei auftreten: In der Vergangenheit hätten sie immer wie Brüder mit anderen Freunden aus verschiedenen Religionen gelebt. „Wir respektieren die Lebensweise eines jeden“, sagt Oqba. Das Wichtige sei ein Leben in Frieden – da sind sie sich einig. Nur die große Gastfreundschaft, wie sie in ihrem Heimatland üblich ist, vermissen sie von Zeit zu Zeit. (mit bäs) Bei der Übersetzung halfen Saker Elmelhelm und Katharina Hillenbrand vom Asylhelferkreis Buttenwiesen.
Auf der Flucht