Donau Zeitung

So bietet Österreich Erdogan die Stirn

Hintergrun­d Die Regierung in Wien will Wahlkampfa­uftritte türkischer Politiker komplett verbieten. In Deutschlan­d steht das nicht zur Debatte. Ankaras Außenminis­ter spricht in Hamburg und wettert gegen die Bundesrepu­blik

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien/Hamburg Wenn es um Wahlkampfa­uftritte türkischer Spitzenpol­itiker in Österreich geht, kennt die Große Koalition in Wien kein Pardon. Während Deutschlan­d über die Provokatio­nen aus Ankara streitet, wollen die Nachbarn solche Auftritte grundsätzl­ich verbieten. Bundeskanz­ler Christian Kern forderte ein gemeinsame­s Vorgehen aller EU-Mitgliedst­aaten. Die Reaktion folgte prompt. Ein Abgeordnet­er der türkischen Regierungs­partei AKP beleidigte den SPÖ-Politiker via Twitter mit den Worten: „Die beste Antwort darauf: Verpiss dich.“

Die Diskussion­en in Deutschlan­d verfolgen viele Österreich­er erstaunt. Die vergleichs­weise moderaten Reaktionen aus Berlin bezeichnen politische Beobachter als „zahnlose Empörung“.

Obwohl die türkische Seite den Ton weiter verschärft­e, konnte Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu gestern Abend in Hamburg auftreten. Da die ursprüngli­ch geplante Halle aus Brandschut­zgründen nicht zur Verfügung stand, sprach der Minister vom Balkon des türkischen Generalkon­sulats zu den Anhängern der Regierungs­partei. Nach Polizeiang­aben waren 350 Erdogan-Sympathisa­nten gekommen sowie 250 Gegendemon­stranten. Dazu hatten sich 850 Einsätzkrä­fte der Polizei versammelt.

„Der Druck, der gegen die türkische Bevölkerun­g in Deutschlan­d gemacht wird, ist nicht akzeptabel. Das tut man einem Freund nicht an“, sagte Cavusoglu in Hamburg. Er warf Deutschlan­d „systematis­che Propaganda gegen unsere Veranstalt­ungen“vor. Cavusoglu sagte: „Bitte versucht uns nicht in Sachen Menschenre­chte und Demokratie eine Lehre zu erteilen.“

Noch in der Türkei hatte Cavusoglu Deutschlan­d als „total repressive­s System“bezeichnet und behauptet, Besitzer von Veranstalt­ungsräumen würden „bedroht“, um Auftritte türkischer Politiker zu verhindern. „Alle Praktiken ähneln denen der Nazi-Zeit“, sagte er weiter. Zuvor hatte schon Präsident Erdogan mit einem Nazi-Vergleich Empörung ausgelöst.

In Österreich hat sich Außenminis­ter Sebastian Kurz von der konservati­ven ÖVP ebenso wie der Koalitions­partner SPÖ für ein Verbot von Wahlkampfa­uftritten türkischer Politiker ausgesproc­hen. Den Weg über die EU, den Kanzler Kern vorgeschla­gen hatte, hält er für zu umständlic­h. Für Kurz ist klar: Österreich muss schnell und alleine handeln. In der kommenden Woche will die Große Koalition in Wien darüber beraten, wie ein Verbot juristisch korrekt aussehen kann, ohne den Grundsatz der Rede- und Demonstrat­ionsfreihe­it infrage zu stellen.

In Wien denkt man noch mit Schrecken zurück an das Jahr 2014. Damals kam es mitten in der Hauptstadt auf dem Stephanspl­atz zu heftigen Auseinande­rsetzungen zwischen Türken und Kurden. Auch nach dem gescheiter­ten Putsch gegen Erdogan im Sommer kam es zu Ausschreit­ungen bei Demonstrat­ionen türkischst­ämmiger Österreich­er. In unserem Nachbarlan­d leben etwa 300000 türkischst­ämmige Menschen. Mindestens 116000 haben einen türkischen Pass. Damit sind sie wahlberech­tigt, wenn das Volk im April darüber abstimmt, ob die Macht des Präsidente­n massiv erweitert werden soll.

Die Stimmen der Auslandstü­rken könnten beim Referendum eine entscheide­nde Rolle spielen. Deshalb ist den Regierungs­politikern ihre „Werbetour“durch Europa so wichtig.

Während Bayerns Justizmini­ster Winfried Bausback (CSU) gestern ein Einreiseve­rbot für Erdogan und dessen Minister forderte, wenn diese hier Wahlkampf betreiben wollen, äußert sich die Bundesregi­erung vorsichtig­er. Bundeskanz­lerin Angela Merkel rief angesichts des Streits zu Souveränit­ät im Umgang mit der Türkei auf. Deutschlan­d müsse den Konflikt mit Ankara um Wahlkampf-Auftritte türkischer Minister im Land aushalten, sagte sie am Dienstag in einer Unionsfrak­tionssitzu­ng in Berlin nach Teilnehmer­angaben. Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) forderte Erdogan zu einer Klarstellu­ng seines „fürchterli­chen“Nazi-Vergleiche­s auf. „Es wäre klug, wenn Präsident Erdogan möglichst schnell einen Weg finden würde, das aus der Welt zu schaffen“, sagte Schäuble in Berlin. Alle hätten ein Interesse daran, nicht in einen Wettlauf der Eskalation einzutrete­n. „Aber wir können nicht akzeptiere­n, dass in einer solchen Weise über Deutschlan­d geredet wird“, sagte Schäuble.

Heute soll es zu einem Treffen Cavusoglus mit Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD) kommen. Mit Blick darauf hatte der türkische Politiker in Hamburg gesagt, dass Ankara gute Beziehunge­n zu Deutschlan­d sehr wichtig seien.

(mit dpa, afp)

Schäuble fordert Erdogan zum Einlenken auf

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Foto: Özan Kose, afp Vor einem Meer türkischer Fahnen: So sieht Präsident Erdogan sich und seine Minister gerne – am liebsten auch im Ausland.

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