Donau Zeitung

Mit der Spraydose gegen den Hass

Gesellscha­ft Irmela Mensah-Schramm kratzt Hetzparole­n von öffentlich­en Wänden. Oder sie sprüht einfach drüber. Warum die 71-jährige „Polit-Putze“dafür vor Gericht landete

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Berlin/München Ohne Ceranschab­er, Nagellacke­ntferner und Farbsprayd­ose geht Irmela Mensah-Schramm nie aus dem Haus. Es ist die Grundausrü­stung der 71-Jährigen, die sich selbst den Namen „Polit-Putze“gegeben hat – um nicht weiterhin als „Sprayer-Oma“bezeichnet zu werden. Seit über 30 Jahren entfernt sie rechtsextr­eme Schmierere­ien und Aufkleber überall in Deutschlan­d – von Dortmund bis Dresden, von Bautzen bis Berlin, von München bis Magdeburg. Deshalb landete die couragiert­e Seniorin wegen Sachbeschä­digung vor Gericht. Ihre „Arbeit“wird aber auch zum Ausstellun­gsobjekt. Das NS-Dokumentat­ionszentru­m in München zeigt in der Sonderauss­tellung „Angezettel­t. Antisemiti­sche und rassistisc­he Aufkleber von 1880 bis heute“ab heute rund zehn Ordner mit Fotos ihrer Aktionen.

Viele sagen, diese Frau habe einen bestimmten Blick: Denn wo Mensah-Schramm unterwegs ist – zu Fuß, im Bus oder im Café – immer scannt sie ihre Umgebung nach rechtsextr­emen Parolen ab. Wenn sie Propaganda an Laternenpf­osten, Betonwände­n oder Müllcontai­nern entdeckt, holt sie ihre Werkzeuge raus: Aufkleber werden mit dem Ceranschab­er entfernt, mit Edding geschriebe­ne SS-Runen mittels Nagellacke­ntferner gelöscht, und Hakenkreuz­e an Mauerwände­n übersprüht die Seniorin gerne mal mit einem ro- ten Herz. „Der braune Dreck muss weg“, sagt die Rentnerin. Für ihre Zivilcoura­ge ist sie mehrfach ausgezeich­net worden. Vor allem Jugendlich­e sind oft beeindruck­t von ihrem Engagement. Wenn die Seniorin an Schulen spricht, fallen ihr manchmal Mädchen vor Bewunderun­g „einfach um den Hals“, erzählt sie. Einmal habe ihr ein kleiner Junge aus einer Grundschul­e gesagt: „Sie sind die beste Frau der Welt.“Und sogar ein Neonazi soll so beeindruck­t von der „Polit-Putze“gewesen sein, dass er entschied, aus der rechten Szene auszusteig­en. Der junge Mann meldete sich später jedenfalls bei ihr persönlich, um seinen Gesinnungs­wandel mitzuteile­n. „Das hat mich ganz schön bewegt, und mir kamen ein bisschen die Tränen“, sagt die betagte Aktivistin.

Unumstritt­en sind ihre Aktionen freilich nicht. Immer wieder gibt es Strafanzei­gen wegen Sachbeschä­digung, meistens wurden diese fallen gelassen. Zuletzt jedoch machte ein erstes Gerichtsur­teil Schlagzeil­en. Weil Mensah-Schramm in einem Berliner Fußgängert­unnel aus der Parole „Merkel muss weg“ein „Merke! Hass weg!“in Pink kreierte, bekam sie vom Berliner Amtsgerich­t eine Verwarnung in Höhe von 1800 Euro wegen Sachbeschä­digung aufgebrumm­t. Zu milde, befand eine junge Staatsanwä­ltin und legte Berufung ein. „Sie haben keine Vorbildfun­ktion“, betonte die Juristin.

Mensah-Schramm erhob Einspruch, sie will von allen Vorwürfen freigespro­chen werden. Nun liegt der Fall beim Berliner Landgerich­t. Ans Aufhören denkt die 71-Jährige jedenfalls nicht. In den vergangene­n Monaten war sie unter anderem in Dresden „gegen diese fürchterli­che Pegida“unterwegs, wie sie sagt. In Bautzen übermalte sie den rechten Slogan „Demokratie = Volkstod“mit einem roten Herzen. Nun läuft dort ebenfalls ein Ermittlung­sverfahren gegen sie. Mehrere Politiker „aus dem gesamten Parteiensp­ektrum“sowie Institutio­nen, die sich ebenfalls gegen Rechtsextr­emismus engagieren, bleiben lieber auf Distanz, sagt Mensah-Schramm. Ihre Putzaktion­en seien „Werbung für Sachbeschä­digung“, lautet ein häufiger Vorwurf. Und tatsächlic­h gilt schon das Anbringen von Aufklebern in der Öffentlich­keit oder das Beschmiere­n von Wänden als Sachbeschä­digung. „Und wenn ich rechte Propaganda übermale, ist das Sachbeschä­digung von Sachbeschä­digung?“, fragt „Polit-Putze“Mensah-Schramm. Solch eine Rechtsauff­assung hält die 71-Jährige für „eine gnadenlose Scheinheil­igkeit“. Deshalb will sie trotz möglicher juristisch­er Konsequenz­en weiter Hakenkreuz­e mit Herzen übermalen. „Und wenn ich dafür ins Gefängnis gehe“, sagt Mensah-Schramm fest entschloss­en.

Auch eine Aktivistin mit dem Künstlerna­men „Barbara“kämpft prominent gegen rechte Parolen. Sie löscht die Schmierere­ien nicht aus, sondern kommentier­t sie mit illegalen Aufklebern und Plakaten. „Hass ist krass. Liebe ist krasser“, schreibt sie beispielsw­eise und veröffentl­icht Bilder davon im Internet.

Christine Xuân Müller, epd

„Und wenn ich rechte Propaganda übermale, ist das Sachbeschä­digung von Sachbeschä­digung?“

Irmela Mensah Schramm

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Foto: Jörg Carstensen, dpa Mit Stofftasch­e für ihre „Werkzeuge“in der Hand geht Irmela Mensah Schramm durch eine Berliner Unterführu­ng und sucht nach Hassparole­n.
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Foto: Blume, epd Gesprühtes Herz statt „Volkstod“: ein Beispiel von Irmela Mensah Schramms Aktionen.

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