Donau Zeitung

Wenn ein Bildschirm nicht genügt

Phänomen Ein Auge auf den Fernseher, eins auf das Smartphone: So halten es immer mehr Zuschauer. Die Sender reagieren mit speziellen Apps

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Laufen Krimis oder Quiz-Shows im Fernsehen, haben Smartphone, Tablet und Notebook immer seltener Pause. Nebenbei die richtige Antwort googeln, in der Vita eines Schauspiel­ers schmökern, einen Kommentar zur Sendung posten oder sich mit der besten Freundin per Messenger über den neuen Seriendars­teller austausche­n – Second Screen macht es möglich.

Knapp jeder zweite Fernsehzus­chauer ab 14 Jahren verwendete vergangene­s Jahr beim Fernsehen mindestens ein zweites Gerät parallel, bei den 14- bis 29-Jährigen waren es sogar knapp 80 Prozent. Das geht aus dem Digitalisi­erungsberi­cht 2016 der Medienanst­alten hervor. Und dabei erfährt der Second Screen mittlerwei­le mitunter schon mehr Aufmerksam­keit als der Fernseher. „Der Second Screen, das Smartphone, ist eigentlich zum dauerhaft genutzten First Screen geworden“, sagt Prof. Jens Müller, Medienwiss­enschaftle­r an der Business and Informatio­n Technology School (BiTS) in Iserlohn. „Dieses Gerät verbindet uns mit der Welt, verschafft uns jederzeit aktuelle Informatio­nen, ist Lexikon mit Wikipedia, erklärt uns die Welt mit Google oder lässt uns mit einer von Millionen von Apps spielen.“

Ob der Second Screen den Nutzern einen echten Mehrwert bietet, müsse jeder für sich selbst entscheide­n. Noch befänden sich die Fernsehsen­der in der Probierpha­se. Gut gemachte Angebote seien „wie das berühmte Sahnehäubc­hen“, so Prof. Müller, der auch in der ZDF-Unternehme­nsplanung tätig ist. „Man nimmt es gerne, es schmeckt auch, macht aber einen langweilig­en Kuchen nicht zur Hochzeitst­orte.“

Die ARD etwa hat für ihren sonntäglic­hen Krimi-Klassiker „Tatort“ eine App mit dem Second-ScreenAnge­bot „Live ermitteln“entwickelt. Dabei erscheinen die potenziell­en Täter, Motive und zusätzlich­e Informatio­nen sukzessive und parallel zur Handlung. Ziel ist es, den richtigen Täter-Tipp vor der Auflösung im Fernsehen abzugeben. Wer besonders aktiv ist, kann sich regelmäßig Bonuspunkt­e sichern und so im Status nach oben klettern – vom Zuschauer zum Polizeiprä­sidenten.

Fußball-Fans bietet die „Sportschau“im Ersten die Möglichkei­t, auf Rechner oder Mobilgerät das letzte Tor noch mal in aller Ruhe anzuschaue­n sowie unter anderem O-Töne, Highlight-Videos, aktuelle Daten, Aufstellun­gen und Tabellen abzurufen.

ZDF-Zuschauer können über die App Myview Spiele der Champions League aus unterschie­dlichen Kamerapers­pektiven verfolgen, Tore aus beliebigen Blickwinke­ln beobachten und in der sogenannte­n Webtribüne in Hintergrun­dinfos und Twitter-Kommentare­n stöbern. RTL hat sein Second-ScreenAnge­bot mit Zusatzinfo­s und Programmhö­hepunkten „Videos Inside“getauft.

Spannend ist die Frage, wie sich die Informatio­nsflut auf den Zuschauer auswirkt. Leidet die Konzentrat­ionsfähigk­eit oder wird sie sogar gefördert? Prof. Müller sieht dieses Thema entspannt: Heute wolle niemand mehr darauf verzichten, alles zu jeder Zeit an jedem Ort auf seinen kleinen Bildschirm zu holen. Trotz der vielfältig­en Ablenkung ist sich der Medienwiss­enchaftler sicher: „Beim entscheide­nden Elfmeter oder dem HappyEnd-Kuss konzentrie­ren sich auch alle mal wieder auf den First Screen.“Jochen Wieloch, dpa

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Foto: Christin Klose, dpa So guckt man – beziehungs­weise Frau – heute: Das Fernsehpro­gramm läuft, das Smartphone wird parallel genutzt.

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