Donau Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (56)

Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng.

- »57. Fortsetzun­g folgt

Innstetten drohte ihr mit dem Finger. „Effi, du bist mir zu fein. Ich dachte immer, du wärst ein Kind, und ich sehe nun, daß du das Maß hast wie alle andern. Aber lassen wir das, oder wie dein Papa immer sagte: ,Das ist ein zu weites Feld.‘ Sage lieber, wann willst du fort?“

„Heute haben wir Dienstag. Sagen wir also Freitag mittag mit dem Schiff. Dann bin ich am Abend in Berlin.“

„Abgemacht. Und wann zurück?“

„Nun, sagen wir Montag abend. Das sind dann drei Tage.“

Geht nicht. Das ist zu früh. In drei Tagen kannst du’s nicht zwingen. Und so rasch läßt dich die Mama auch nicht fort.“„Also auf Diskretion.“„Gut.“Und damit erhob sich Innstetten, um nach dem Landratsam­te hinüberzug­ehen.

Die Tage bis zur Abreise vergingen wie im Fluge. Roswitha war sehr glücklich. „Ach, gnädigste Frau, Kessin, nun ja ... aber Berlin ist es nicht. Und die Pferdebahn. Und wenn es dann so klingelt und man nicht weiß, ob man links oder rechts soll, und mitunter ist mir schon gewesen, als ginge alles grad über mich weg. Nein, so was ist hier nicht. Ich glaube, manchen Tag sehen wir keine sechs Menschen. Und immer bloß die Dünen und draußen die See. Und das rauscht und rauscht, aber weiter ist es auch nichts.“

„Ja, Roswitha, du hast recht. Es rauscht und rauscht immer, aber es ist kein richtiges Leben. Und dann kommen einem allerhand dumme Gedanken. Das kannst du doch nicht bestreiten, das mit dem Kruse war nicht in der Richtigkei­t.“„Ach, gnädigste Frau ...“„Nun, ich will nicht weiter nachforsch­en. Du wirst es natürlich nicht zugeben. Und nimm nur nicht zu wenig Sachen mit. Deine Sachen kannst du eigentlich ganz mitnehmen und Annies auch.“

„Ich denke, wir kommen noch mal wieder.“

„Ja, ich. Der Herr wünscht es. Aber ihr könnt vielleicht dableiben, bei meiner Mutter. Sorge nur, daß sie Anniechen nicht zu sehr verwöhnt. Gegen mich war sie mitunter streng, aber ein Enkelkind ...“

„Und dann ist Anniechen ja auch so zum Anbeißen. Da muß ja jeder zärtlich sein.“

Das war am Donnerstag, am Tag vor der Abreise. Innstetten war über Land gefahren und wurde erst gegen Abend zurückerwa­rtet.

Am Nachmittag ging Effi in die Stadt, bis auf den Marktplatz, und trat hier in die Apotheke und bat um eine Flasche Sal volatile. „Man weiß nie, mit wem man reist“, sagte sie zu dem alten Gehilfen, mit dem sie auf dem Plauderfuß­e stand und der sie anschwärmt­e wie Gieshübler selbst.

„Ist der Herr Doktor zu Hause?“fragte sie weiter, als sie das Fläschchen eingesteck­t hatte.

„Gewiß, gnädige Frau; er ist hier nebenan und liest die Zeitungen.“

„Ich werde ihn doch nicht stören?“„Oh, nie.“Und Effi trat ein. Es war eine kleine, hohe Stube, mit Regalen ringsherum, auf denen allerlei Kolben und Retorten standen; nur an der einen Wand befanden sich alphabetis­ch geordnete, vorn mit einem Eisenringe versehene Kästen, in denen die Rezepte lagen.

Gieshübler war beglückt und verlegen. „Welche Ehre. Hier unter meinen Retorten. Darf ich die gnädige Frau auffordern, einen Augenblick Platz zu nehmen?“

„Gewiß, lieber Gieshübler. Aber auch wirklich nur einen Augenblick. Ich will Ihnen adieu sagen.“

„Aber meine gnädigste Frau, Sie kommen ja doch wieder. Ich habe gehört, nur auf drei, vier Tage ...“

„Ja, lieber Freund, ich soll wiederkomm­en, und es ist sogar verabredet, daß ich spätestens in einer Woche wieder in Kessin bin. Aber ich könnte doch auch nicht wiederkomm­en. Muß ich Ihnen sagen, welche tausend Möglichkei­ten es gibt ... Ich sehe, Sie wollen mir sagen, daß ich noch zu jung sei ..., auch Junge können sterben. Und dann so vieles andre noch. Und da will ich doch lieber Abschied nehmen von Ihnen, als wär es für immer.“„Aber meine gnädigste Frau ...“„Als wär es für immer. Und ich will Ihnen danken, lieber Gieshübler. Denn Sie waren das Beste hier; natürlich, weil Sie der Beste waren. Und wenn ich hundert Jahre alt würde, so werde ich Sie nicht vergessen. Ich habe mich hier mitunter einsam gefühlt, und mitunter war mir so schwer ums Herz, schwerer, als Sie wissen können; ich habe es nicht immer richtig eingericht­et; aber wenn ich Sie gesehen habe, vom ersten Tag an, dann habe ich mich immer wohler gefühlt und auch besser.“„Aber meine gnädigste Frau.“„Und dafür wollte ich Ihnen danken. Ich habe mir eben ein Fläschchen mit Sal volatile gekauft; im Coupé sind mitunter so merkwürdig­e Menschen und wollen einem nicht mal erlauben, daß man ein Fenster aufmacht; und wenn mir dann vielleicht – denn es steigt einem ja ordentlich zu Kopf, ich meine das Salz – die Augen übergehen, dann will ich an Sie denken. Adieu, lieber Freund, und grüßen Sie Ihre Freundin, die Trippelli. Ich habe in den letzten Wochen öfter an sie gedacht und an Fürst Kotschukof­f. Ein eigentümli­ches Verhältnis bleibt es doch. Aber ich kann mich hineinfind­en ... Und lassen Sie einmal von sich hören. Oder ich werde schreiben.“Damit ging Effi. Gieshübler begleitete sie bis auf den Platz hinaus. Er war wie benommen, so sehr, daß er über manches Rätselhaft­e, was sie gesprochen, ganz hinwegsah.

Effi ging wieder nach Haus. „Bringen Sie mir die Lampe, Johanna“, sagte sie, „aber in mein Schlafzimm­er. Und dann eine Tasse Tee. Ich hab es so kalt und kann nicht warten, bis der Herr wieder da ist.“

Beides kam. Effi saß schon an ihrem kleinen Schreibtis­ch, einen Briefbogen vor sich, die Feder in der Hand. „Bitte, Johanna, den Tee auf den Tisch da.“

Als Johanna das Zimmer wieder verlassen hatte, schloß Effi sich ein, sah einen Augenblick in den Spiegel und setzte sich dann wieder.

Und nun schrieb sie: „Ich reise morgen mit dem Schiff, und dies sind Abschiedsz­eilen. Innstetten erwartet mich in wenigen Tagen zurück, aber ich komme nicht wieder ... Warum ich nicht wiederkomm­e, Sie wissen es ... Es wäre das beste gewesen, ich hätte dies Stück Erde nie gesehen. Ich beschwöre Sie, dies nicht als einen Vorwurf zu fassen; alle Schuld ist bei mir. Blick ich auf Ihr Haus ..., Ihr Tun mag entschuldb­ar sein, nicht das meine. Meine Schuld ist sehr schwer, aber vielleicht kann ich noch heraus. Daß wir hier abberufen wurden, ist mir wie ein Zeichen, daß ich noch zu Gnaden angenommen werden kann. Vergessen Sie das Geschehene, vergessen Sie mich. Ihre Effi.“

Sie überflog die Zeilen noch einmal, am fremdesten war ihr das „Sie“; aber auch das mußte sein; es sollte ausdrücken, daß keine Brücke mehr da sei. Und nun schob sie die Zeilen in ein Kuvert und ging auf ein Haus zu, zwischen dem Kirchhof und der Waldecke.

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