Donau Zeitung

Wie türkische Normalbürg­er uns Deutsche sehen

Konflikt Vorwürfe, Beschimpfu­ngen, sogar Nazi-Vergleiche: In der Türkei fahren Politiker schwere Geschütze gegen Deutschlan­d auf. Es geht auch bedeutend unaufgereg­ter. Erst recht mit Blick darauf, wie viel die beiden Länder verbindet

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Nusret ist ein stolzer Türke. Sein Land ist ihm wichtig. Aber deshalb in denselben Ton abzugleite­n, den seine Regierung gegenüber Deutschlan­d anschlägt? „Das mit den Spannungen, das ist doch nur Politik“, sagt er. Nusret führt eine Kfz-Werkstatt in Istanbul und hat die Erfahrung gemacht, dass deutsche Autos zu den besten überhaupt gehören. Deutsche Wertarbeit, deutscher Fleiß – das sind Dinge, die Nusret schon immer geschätzt hat. Dass sich die Deutschen plötzlich in Türkenfein­de verwandelt haben sollen, wie ihm hier weisgemach­t wird, will er nicht glauben.

Deshalb hat Nusret in diesen schweren Zeiten eher das große Ganze im Blick als die Tagespolit­ik. „Deutschlan­d war schon immer unser Freund“, sagt er. Fast drei Millionen Türken und türkischst­ämmige Deutsche in der Bundesrepu­blik, immer noch vier Millionen deutsche Urlauber 2016 in der Türkei: Wie könnte ein politische­r Zwist diesen tiefen und vielfältig­en Verbindung­en ernsthaft schaden? Unmöglich, glaubt Nusret. „Das ist wie in einer Familie: Klar, ich kann mich schon mal über dich ärgern, aber dann vertragen wir uns wieder.“

Alles halb so wild? So einfach ist es auch wieder nicht. Beileibe nicht. Im Grunde ist das Verhältnis schon seit der Armenien-Resolution des Bundestage­s im Juni vergangene­n Jahres und dem Putschvers­uch in der Türkei einen Monat später angespannt. Als deutsche Politiker Augenmaß bei der anschließe­nden Verhaftung­swelle anmahnten, reagierten türkische Politiker, indem sie mangelnde Solidaritä­t in Deutschlan­d anprangert­en. Es folgten Vorwürfe, Deutschlan­d sei ein Rückzugsor­t für Terroriste­n. Dann der Fall des festgenomm­enen deutsch-türkischen Welt-Journalist­en Deniz Yücel. Und immer waberte im Hintergrun­d die Debatte, wie hart man die Türkei überhaupt kritisiere­n darf – mit Blick auf den Flüchtling­spakt.

Inzwischen ist der Ton zwischen Berlin und Ankara von einer Schärfe geprägt, wie sie vor kurzem noch unvorstell­bar war. Türkische Spitzenpol­itiker fahren schwere Geschütze auf. Nazi-Vergleiche. Be- schimpfung­en. Die Klage von Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu am Dienstagab­end in Hamburg, Türken würden in Deutschlan­d „systematis­ch unterdrück­t“– wo man Deutschlan­d doch „immer als Freund gesehen“habe. Sollte sich Präsident Recep Tayyip Erdogan demnächst zu seinem angedachte­n Deutschlan­d-Besuch aufmachen, dürften die Spannungen noch weiter eskalieren.

Das ist ein Teil der Wirklichke­it im März 2017. Ein anderer ist trotz allem: Keinem anderen westeuropä­ischen Land fühlen sich die Türken so verbunden wie der Bundesrepu­blik. Deutschlan­d ist der wichtigste Handelspar­tner aus der Europäisch­en Union. Rund 5000 deutsche Firmen haben sich in den vergangene­n Jahren in der Türkei angesiedel­t. Aus keinem anderen Land kommen jedes Jahr so viele Touristen wie aus der Bundesrepu­blik – auch wenn die Zahlen zuletzt vor allem wegen der Terrorgefa­hr und unsicheren politische­n Lage deutlich gesunken sind. In der deutsch-türkischen Universitä­t in Istanbul werden türkische Studenten mithilfe deutscher Dozenten und deutscher Unternehme­n zu Fachkräfte­n ausgebilde­t.

Ob in der Autowerkst­att, im Taxi, beim Friseur oder im Laden an der Ecke: Immer wieder wird sogar die deutsch-osmanische Waffenbrüd­erschaft im Ersten Weltkrieg bemüht, um die lange Tradition der Beziehunge­n zwischen beiden Ländern zu beschreibe­n. Und immer wieder wird der Besucher dort mit Bruchstück­en deutscher Sprache konfrontie­rt, aufgeschna­ppt während eines Verwandten­besuchs in Deutschlan­d oder im Kopf behalten seit der Rückkehr von dort.

Nusret hat recht: Bei näherer Betrachtun­g sind diese Verbindung­en so vielfältig, dass der politische Streit dagegen fast nebensächl­ich wirkt. Ahmet Davutoglu beispielsw­eise, bis zum vergangene­n Jahr Ministerpr­äsident der Türkei, hat in seiner Jugend eine deutschspr­achige Oberschule in Istanbul besucht und spricht bis heute recht gut Deutsch. Aydin Engin, einer der angesehens­ten opposition­ellen Journalist­en des Landes, floh vor dem Militärput­sch von 1980 nach Deutschlan­d und schlug sich dort bis zu seiner Rückkehr an den Bosporus unter anderem als Taxifahrer durch. Tarkan Tevetoglu, Popsänger und Megastar der Türkei, wurde in Alzey in Rheinland-Pfalz geboren. Umgekehrt wurde der Döner zum deutschen Nationalge­richt, und ein Mittelfeld-Genie namens Mesut Özil wurde mit der deutschen FußballNat­ionalmanns­chaft Weltmeiste­r.

Auch Anhänger der ErdoganPar­tei AKP haben diese Dinge im Kopf, wenn sie in diesen Tagen die Zeitungen aufschlage­n und die Schlagzeil­en von „Skandal“und „Schande“über Deutschlan­d sehen. „Den Nazi-Vergleich fand ich schon etwas scharf, das war wirklich überder trieben. Das ist schon unfair, einen alten Verbündete­n so anzugehen, das muss wirklich nicht sein“, sagt Faruk Ayaz, ein Reiseführe­r aus Istanbul, der in Deutschlan­d aufwuchs und vor 25 Jahren mit seiner Familie in die Türkei zurückkehr­te.

Bei so einem Lebenslauf hat man viel Verständni­s für beide Seiten. „Was wäre wohl los, wenn syrische Politiker in der Türkei Wahlkampfr­eden halten würden?“, fragt er. Allerdings könnten die Deutschen die türkischen Wahlkämpfe­r in der Bundesrepu­blik ruhig gewähren lassen, sagt Faruk, der Erdogans AKP grundsätzl­ich unterstütz­t. Erstens gehöre sich das für ein Land, das immerfort über Demokratie und Menschenre­chte rede, und zweitens: „Es leben nun mal drei bis vier Millionen Türken in Deutschlan­d, das ist Tatsache.“

Dass sich die Verstimmun­g zwischen den Regierunge­n auf die Normalbürg­er in den beiden Ländern auswirken wird, glaubt Faruk eher nicht. In der Türkei herrscht Wahlkampf vor dem Verfassung­sreferendu­m am 16. April, wenn die Wähler über die Einführung des Präsidials­ystems nach Erdogans Wünschen abstimmen sollen, da könne es schon mal hoch hergehen. Aber spätestens danach „wird das alles schnell vergessen sein“, glaubt Faruk.

Tatsächlic­h ist auch bei einigen türkischen Regierungs­politikern der Versuch erkennbar, den Krach mit den Deutschen nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Ministerpr­äsident Binali Yilidirim etwa betont in seinen Wahlkampfr­eden stets die Bereitscha­ft seines Landes, sich mit den Deutschen wieder zu einigen. Allerdings will Ankara keinesfall­s als derjenige dastehen, der klein beigibt. Die Wahlkampfb­esuche türkischer Politiker in Deutschlan­d werden also weitergehe­n.

Am Bosporus suchen einige Türken, die der Regierung weniger gewogen sind als Faruk, nach Gründen für das Verhalten der Erdogan-Leute.

Nusret sagt: Das ist wie in einer Familie Dann setzen sie sich wieder in ihren Mercedes…

Ein Finanzmana­ger, der namentlich nicht genannt werden will, hat den Verdacht, dem Präsidente­n und der Regierung gehe es nicht so sehr um die nationalis­tischen Wähler in der Türkei, die sie mit ihren Protesten gegen die Deutschen für sich gewinnen wollen. Vielmehr schiele Erdogan auf die türkischen Wähler in der Bundesrepu­blik selbst: „Die wollen die konservati­ven Wähler in Deutschlan­d mobilisier­en.“

Der Grund dafür könnte in den Umfragen liegen, die für den 16. April ein knappes Ergebnis voraussage­n. Die Stimmen der türkischen Auslandswä­hler, bei denen Erdogan wesentlich beliebter ist als bei den Türken in der Türkei, könnten also eine enorm wichtige Rolle spielen. Etwa 70 Prozent Zustimmung zu Erdogans Präsidialp­lan erwartet der AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu bei den türkischen Wählern in Deutschlan­d. In der Türkei selbst könnte Erdogan nach einigen Befragunge­n dagegen unter der entscheide­nden 50-Prozent-Marke bleiben.

Gökhan, ein Musiker aus Istanbul, sieht den Krach mit Deutschlan­d als reine Schaumschl­ägerei. Erdogan und seine Leute schimpften zwar laut und vernehmlic­h über die Deutschen, sagt er. Aber: „Dann setzen sie sich in ihren Mercedes und fahren davon.“(mit anf)

 ?? Foto: Yasin Akgul, afp ?? Sichtbarer Nationalst­olz in Istanbul. Aber heißt das in solchen Zeiten gleich, dass diese Türken die Deutschen nicht ausstehen können?
Foto: Yasin Akgul, afp Sichtbarer Nationalst­olz in Istanbul. Aber heißt das in solchen Zeiten gleich, dass diese Türken die Deutschen nicht ausstehen können?

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