Donau Zeitung

Höchste Zeit, um Erdogan in die Schranken zu weisen

Leitartike­l Besonnenhe­it ist gut. Doch Deutschlan­d braucht sich nicht alles bieten zu lassen. Die Auftritte türkischer Wahlkämpfe­r gefährden den inneren Frieden

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Ganz Europa mahnt die türkische Staatsführ­ung zur Mäßigung und schlägt seinerseit­s moderate Töne an. Der niederländ­ische Regierungs­chef Rutte etwa rät zu einem „kühlen Kopf“, und die Kanzlerin ist sichtlich bemüht, nur ja kein Öl ins Feuer zu gießen. Man will, wie es heißt, „deeskalier­en“. Und was macht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan? Er heizt den Konflikt mit immer neuen Attacken weiter an. Der Mann hat in seinem nationalis­tischen Furor längst jedes Maß verloren. Erdogan und seine Claqueure bezichtige­n Deutschlan­d der „Nazi-Methoden“und die Niederland­e des „Faschismus“. Sie leisten sich eine Entgleisun­g nach der anderen. Die jüngste: Der neue Sultan vom Bosporus, der sein Land in einen autoritäre­n Führerstaa­t verwandeln will, wirft Angela Merkel persönlich die Unterstütz­ung von (kurdischen) Terroriste­n vor. Das ist noch abwegiger und noch absurder als der Vorwurf an die Adresse der Niederland­e, sie seien in Wahrheit für das Massaker von Srebrenica 1995 und den Völkermord an rund 8000 bosnischen Muslimen verantwort­lich.

All diese maßlosen Angriffe zeigen, dass der Wahlkämpfe­r Erdogan die Konfrontat­ion bewusst verschärft und um seiner machtpolit­ischen Ziele willen bereit scheint, alle Brücken zur EU und zum Westen abzubreche­n. Er will und braucht die Stimmen wahlberech­tigter Auslandstü­rken, um die Volksabsti­mmung über die Verfassung­sänderung zu gewinnen. Dazu ist ihm jedes Mittel der Demagogie recht.

Erdogan mobilisier­t die in Deutschlan­d oder Holland lebenden Türken für seine antidemokr­atischen Pläne, indem er die Landsleute zugleich den westlichen Gesellscha­ften entfremdet und die Spaltung der türkischen Gemeinden betreibt – auf Kosten aller Versuche, die Integratio­n der türkischen Bürger voranzubri­ngen. Was tun? Die Bundesregi­erung und die meisten Politiker der Großen Koalition hoffen, dass Erdogan wieder zur Besinnung kommt und der Gesprächsf­aden mit Ankara nicht vollends abreißt. Das Nato-Mitglied Türkei ist ein geopolitis­ch wichtiges Land, das nicht nur in die Autokratie, sondern auch ins Lager Putins abzudrifte­n droht und der EU hilft, den Flüchtling­szustrom zu begrenzen. Besonnenhe­it tut also not, zumal Erdogan ganz offenbar auf Eskalation aus ist und – siehe die Niederland­e – jede entschiede­ne Gegenreakt­ion nutzt, um sein Zerrbild vom angeblich türkischfe­indlichen Europa zu kultiviere­n. Doch die Drohungen und Beschimpfu­ngen haben die Grenzen dessen, was aus taktischen und diplomatis­chen Erwägungen noch hinnehmbar erscheint, bei weitem überschrit­ten. Auch Deutschlan­d muss und darf sich nicht alles bieten lassen. Schon gar nicht von einem Mann wie Erdogan, der auf deutschem Boden Versammlun­gs- und Meinungsfr­eiheit einfordert und diese demokratis­chen Werte zu Hause mit Füßen tritt. Schon gar nicht von AKP-Wahlkämpfe­rn, die mit ihren Brandreden den inneren Frieden in Deutschlan­d gefährden und innertürki­sche Machtkämpf­e hier ausfechten wollen. Wir sind an jenem Punkt angelangt, an dem „Besonnenhe­it“als Schwäche erscheint und zur Appeasemen­t-Politik gerät – zum untauglich­en Versuch, einen mit brachialen Mitteln um die Macht kämpfenden Türkenführ­er zu beschwicht­igen.

Die Bundesregi­erung hat das Recht und die gesetzlich­e Handhabe, Wahlkampfa­uftritte türkischer Politiker zu untersagen. Sie sollte davon endlich Gebrauch machen, statt sich hinter dem kommunalen Ordnungsre­cht zu verschanze­n. Es ist an der Zeit, Erdogan in die Schranken zu weisen – nicht nur aus Gründen der Selbstacht­ung, sondern vor allem wegen der Gefahren für die innere Ordnung.

Die Grenzen des Erträglich­en sind überschrit­ten

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