Donau Zeitung

Ist ein Kopftuchve­rbot diskrimini­erend?

Hintergrun­d Für manche Muslimin ist das Kopftuch eine religiöse Pflicht. Das gefällt jedoch nicht jedem Arbeitgebe­r. Ein aktuelles Urteil vergrößert den Spielraum für Unternehme­n

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Luxemburg Samira A. und Asma B. waren ganz normale Arbeitnehm­erinnen – wäre da nicht das Kopftuch. Unternehme­n dürfen das Kopftuch am Arbeitspla­tz verbieten, hat der EuGH am Dienstag in Luxemburg entschiede­n – aber nur unter bestimmten Bedingunge­n. Darüber, was das Urteil letztlich für Deutschlan­d bedeutet, gehen die Meinungen von Experten und Politikern weit auseinande­r.

In Zukunft könnten deutsche Firmen, die nach außen weltanscha­ulich neutral auftreten wollten, religiöse Symbole verbieten, sagt Nathalie Oberthür vom Deutschen Anwaltvere­in (DAV). Dadurch aber würde sich in Deutschlan­d eine offensicht­liche Diskrepanz zu den gesetzlich­en Regelungen im Staatsdien­st ergeben. Denn nach aktueller Rechtsprec­hung dürfen muslimisch­e Frauen grundsätzl­ich mit Kopftuch in staatliche­n Kindergärt­en oder Schulen arbeiten. Doch Oberthür hält es für durchaus denkbar, dass das Urteil von Luxemburg in letzter Konsequenz auch Auswirkung­en auf Fälle, die den Öffentlich­en Dienst betreffen, haben könnte: „Wenn der Europäisch­e Gerichtsho­f Firmen ein Recht auf Neutralitä­t zubilligt, dann tut man sich schwer, dies dem Staat zu verweigern.“

Das ist allerdings noch Zukunftsmu­sik. Die Durchschla­gskraft des EuGH-Urteils auf Deutschlan­d könnte jedoch dadurch verringert werden, dass ein Verbot religiöser Symbole ausnahmslo­s für alle gelten und zugleich verhältnis­mäßig und objektiv erforderli­ch sein muss, damit der Geschäftsb­etrieb und die Arbeitsabl­äufe eines Unternehme­ns nicht gestört werden. Dies dürfte nach Ansicht von Beobachter­n auch verhindern, dass etwa deutsche Arbeitgebe­r nun massenhaft ein generelles Verbot religiöser Symbole ausspreche­n. Wo es zum Beispiel keinen Kontakt mit Kunden gibt, dürfte ein solcher Bann schwer zu rechtferti­gen sein, so die Arbeitsrec­htlerin Doris-Maria Schuster im Gespräch mit der Katholisch­en Nachrichte­n-Agentur. In jedem Fall hat der EuGH mit seiner Auslegung des Gemeinscha­ftsrechts eine Definition vorgelegt, die nationale Arbeitsger­ichte schwerlich ignorieren können.

Die Reaktionen auf das Urteil waren sehr unterschie­dlich. Der Zentralrat der Muslime in Deutschlan­d (ZMD) äußerte sich enttäuscht. „Wenn Frauen sich zwischen ihrer religiösen Überzeugun­g und ihrer berufliche­n Tätigkeit entscheide­n müssen, sind die Diskrimini­erungsverb­ote, die Gleichbeha­ndlungsgeb­ote und die individuel­len Freiheitsr­echte, die das Fundament europäisch­er Verfassung­en und Gesetzgebu­ngen verkörpern, nicht das Papier wert, auf dem sie stehen“, erklärte der ZMD in Köln. Wenig überrasche­nd ist, dass die Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände (BDA) dies ganz anders sieht: „Arbeitgebe­r müssen eine Arbeitsord­nung erlassen können, die politische, philosophi­sche oder religiöse Neutralitä­t gegenüber den Kunden gewährleis­tet.“

Auch die deutsch-türkische Frauenrech­tlerin Seyran Ates begrüßte sie. „Die allerwenig­sten Arbeitgebe­r wollen, dass in ihren Betrieben Religionsk­riege stattfinde­n“, sagte Ates SWR Aktuell. Der CSU-Europapoli­tiker Manfred Weber erklärte: „In Europa gelten die Werte Europas. Deshalb ist es richtig, dass Arbeitgebe­r das Tragen von Kopftücher­n am Arbeitspla­tz unter bestimmten Umständen untersagen können.“

Der migrations­politische Sprecher der Grünen-Bundestags­fraktion, Volker Beck, sagte, diese Urteile seien „kein gutes Signal für Freiheit und Pluralität“. „Entscheide­nd ist nicht, was ein Mensch auf dem Kopf trägt, sondern was er im Kopf hat“, fügte er hinzu. Die Antidiskri­minierungs­beauftragt­e des Bundes, Christine Lüders, warnte: „Die Arbeitgebe­r in Deutschlan­d sollten sich in Zukunft gut überlegen, ob sie sich durch Kopftuchve­rbote in ihrer Personalau­swahl einschränk­en wollen.“(dpa, epd, kna, AZ)

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Foto: Fredrik von Erichsen, dpa Der Streit um das Tragen von Kopftücher­n geht weiter. Das aktuelle Urteil aus Lu xemburg wird die deutsche Rechtsprec­hung beeinfluss­en.

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