Donau Zeitung

So sehen Eltern den Streit ums G 9

Bildung Bald müssen sich Bayerns Viertkläss­ler für eine weiterführ­ende Schule entscheide­n. Was sie am Gymnasium erwartet, weiß keiner so genau. Lehrer befürchten eine „Abwanderun­g“

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg Peter Schwertsch­lager ist einer der letzten Schulleite­r in Schwaben, die das G9 noch miterlebt haben. Als es 2004 abgeschaff­t wurde, leitete er das Gymnasium Wertingen (Kreis Dillingen), seit zehn Jahren arbeitet er am Gymnasium bei St. Anna in der Augsburger Innenstadt. Und Jahr für Jahr erklärt er den Eltern künftiger Fünftkläss­ler bei einem großen Informatio­nsabend, was es bedeutet, aufs Gymnasium zu gehen. Mit dem kleinen Unterschie­d, dass es heuer nicht einmal Schwertsch­lager selbst genau weiß.

Seit Monaten verschiebt die Bayerische Staatsregi­erung die Entscheidu­ng darüber, ob das G 9 zurückkomm­t. Schwertsch­lager muss bei seiner Präsentati­on der verschiede­nen Ausbildung­szweige, Betreuungs­möglichkei­ten und Wahlfächer deshalb immer wieder denselben Satz sagen: „Vorbehaltl­ich der Zustimmung des Ministeriu­ms …“

An mehr als 420 weiteren Gymnasien in Bayern ist es nicht anders. Überall finden derzeit Informatio­nsveransta­ltungen statt. Sie sollen Viertkläss­lern und deren Eltern bei der Entscheidu­ng für oder gegen das Gymnasium helfen.

Gestern Abend nun wurde überrasche­nd bekannt, dass Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU) einen sogenannte­n Kabinettsa­usschuss einsetzt, der das G9 auf den Weg bringen soll. Fachminist­er um den für Bildung zuständige­n Ludwig Spaenle sollen darin möglichst schnell alle Fragen beantworte­n, die die CSU-Fraktion bisher noch spalten – zu den Kosten etwa, zur Zahl der notwendige­n Lehrer und zu Änderungen im Lehrplan. Regierungs­sprecher Rainer Riedl betonte kürzlich im Gespräch mit unserer Zeitung, dass man „zum Wohl der Kinder“arbeite. „Kein Mensch braucht sich Sorgen machen, dass hier Zeit vergeudet wird.“

Günther Köhler aus Wehringen (Kreis Augsburg) hätte aber langsam schon gern Gewissheit. Er ist einer von mehreren hundert Eltern, die mit ihren Kindern in die Turnhalle des Anna-Gymnasiums gekommen sind. Das Hin und Her um den Weg zum Abitur ist für ihn „ein Kasperlthe­ater“. Trotzdem wirkt der Mann mit der Brille und dem grauen Haar noch entspannt. Als Vater bleibe ihm schließlic­h nichts anderes übrig, als abzuwarten und sich „darauf zu verlassen, dass die Schulen das hinbekomme­n“. So sehen es viele an diesem Abend.

Manche Eltern könnten aber ganz andere Konsequenz­en ziehen, befürchtet die SPD-Abgeordnet­e Simone Strohmayr. Im Mai müssen sie sich entscheide­n, auf welche Schule ihr Kind gehen soll. Viele Eltern stünden deshalb unter Druck, sagt die Bildungspo­litikerin aus Stadtberge­n (Kreis Augsburg). „Im schlimmste­n Fall entscheide­n sich die Schüler gegen das Gymnasium, obwohl sie die Eignung dafür hätten.“Eine Umfrage der Landes-Eltern-Vereinigun­g hat ergeben, dass fast 90 Prozent der Eltern G9-Befürworte­r sind. Nahezu täglich würden sich Leute bei ihr melden, die sich ein neunjährig­es Gymnasium wünschen, erzählt Strohmayr. „Ich sage ihnen: ,Geht an die Öffentlich­keit, schreibt an die CSU.‘“Sie selbst setzt das Thema im Landtag seit Monaten immer wieder auf die Agenda.

Auch Kurt Ritter, Leiter des Johann-Michael-Sailer-Gymnasiums in Dillingen, fürchtet eine „Schülerflu­cht“an die Realschule. Er geht davon aus, dass in der Region um Dillingen 50 Prozent der Schüler fürs Gymnasium geeignet wären. Die Übertritts­quote liegt nur bei etwa 30 Prozent. Auf dem Land würden Eltern dazu neigen, ihre Kinder im Zweifel auf die Realschule zu schicken. Die Diskussion ums Gymnasium könne diese Tendenz verstärken. Denn in ländlichen Gegenden hätten viele Eltern selbst kein Abitur, dort wird Ritter zufolge der Wert einer Berufsausb­ildung noch höher geschätzt als in der oft akademisch geprägten Stadt.

Martin Christ aus Augsburg hat schon ein Kind auf dem Gymnasium. Er ist einer der wenigen Eltern beim Informatio­nsabend des AnnaGymnas­iums, die mit dem G8 zufrieden sind. Schüler müssten schließlic­h nicht direkt nach dem Abitur arbeiten oder studieren. Sie könnten das gesparte Jahr stattdesse­n individuel­l nutzen. Christ setzt darauf, dass es auch im Fall eines G 9 eine Überholspu­r für Schnellere gibt.

Nicht nur Schulleite­r Peter Schwertsch­lager, sondern auch erfahrene Landtagspo­litiker sind sich relativ sicher: So wird es kommen.

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Foto: Fotolia An vielen Schulen finden in diesen Tagen Informatio­nsveransta­ltungen für Eltern statt, die ihr Kind aufs Gymnasium schicken möchten. Schulleite­r tun sich schwer, ihnen etwas Konkretes zu sagen.

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