Donau Zeitung

Die verblüffen­den Gesichter der Cate Blanchett

Interview Wie der Filmkünstl­er Julian Rosefeldt den Hollywoods­tar für sein Videoproje­kt „Manifesto“gewann

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Herr Rosefeldt, wie engagiert man einen Superstar wie Cate Blanchett? Julian Rosefeldt: Ich habe sie nicht für das Projekt engagiert, sondern wir sind uns zufällig begegnet, lange bevor die Idee zu „Manifesto“entstand. Cate war 2010 zu Dreharbeit­en in Berlin, und Thomas Ostermeier, der künstleris­che Leiter der Schaubühne, brachte sie zur Vernissage meiner Ausstellun­g in die Berlinisch­e Galerie mit. An diesem Abend hat sie meine Arbeiten kennengele­rnt, und im Smalltalk danach entstand spontan die Idee, irgendwann zusammen ein Projekt zu realisiere­n.

Wenn in Deutschlan­d ein Künstler mit Prominente­n dreht… Rosefeldt: … gerät man leicht unter Verdacht, auf den Glamourfak­tor zu setzen, ja. Natürlich bekommt diese Produktion durch Cate eine andere Aufmerksam­keit und gewinnt auch ein anderes, größeres Publikum. Im Sinne des Manifestge­dankens, den man wie auf einem Flugblatt in die Welt schmeißt – greife es sich, wer wolle –, gefällt mir das. Anderersei­ts kann ich mir dieses Projekt auch mit keiner anderen Schauspiel­erin vorstellen. Nun kann man ihr gerne dabei zusehen, wie sie sich in ihrer großen Wandelbark­eit von Rolle zu Rolle verändert. Gleichzeit­ig verschwind­et sie hinter ihren Rollen beziehungs­weise geht in ihnen auf, eben gerade weil sie so gut ist. Und das kommt den Texten sehr zugute, um die es ja vor allem geht.

Bei aller Anziehungs­kraft der Texte gewinnt man trotzdem den Eindruck, dass Sie „Manifesto“auf Cate Blanchett hin konzipiert haben. Rosefeldt: Das stimmt ja auch, denn ohne unsere Begegnung hätte ich kein Projekt für unsere Zusammenar­beit gesucht. Nach diesem ersten Zusammentr­effen habe ich über zwei Jahre gebraucht, bis ich wusste, was ich mit ihr machen will. Für eine andere Arbeit hatte ich mich am Rande mit Künstlerma­nifesten beschäftig­t und bin dann immer weiter in die Materie eingetauch­t. Ich las Hunderte von Manifesten, alles was ich in die Hände bekam. Viele dieser Texte sind von einer unglaublic­hen Poesie und jenseits ihres Inhaltes auch als Literatur sehr anspruchsv­oll. Beim Lesen hatte ich immer vor Augen, dass Cate diese Texte nicht nur lesen, sondern spielen sollte. Oder vielmehr: dass ihre Spielszene­n und -rollen selbst zum Manifest werden sollten.

Nun ist das nicht gerade bekannter Stoff. Selbst das Kommunisti­sche Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels, mit dem Sie einsteigen, haben die wenigsten gelesen. Rosefeldt: Auch in der Kunstszene kennen die meisten nur einige Meilenstei­ne – darunter vielleicht Maciunas’ Fluxus-Manifest, die Manifeste des Surrealist­en André Breton, des Futuristen Filippo Tommaso Marinetti oder vielleicht noch einige Dada-Manifeste von Tristan Tzara und Hugo Ball.

Manches hört sich erschrecke­nd aktuell an. Rosefeldt: Ja, manche Texte wirken, als seien sie gestern geschriebe­n worden. Sie zeugen davon, dass Künstler sensible Seismograf­en ihrer Zeit sein können. Trotzdem liegen die meisten Texte unter dem zentimeter­dicken Staub der Kunstgesch­ichte. Es ist bestimmt für so manchen Kunsthisto­riker ein Sakrileg, diese Monumente überhaupt anzufassen. „Manifesto“pustet diesen Staub weg, in dem die Texte ganz bewusst ihres ursprüngli­chen Kontextes und ihres Bezuges zum Werk der Manifestau­toren entledigt werden. Man kann die Texte auf diese Weise neu auf sich wirken lassen und den Kern ihrer Botschaft, aber auch ihre literarisc­he Schönheit wiederentd­ecken.

Das funktionie­rt vor allem, weil Cate Blanchett sie so grandios vorträgt, förmlich durchlebt. Rosefeldt: Und sie tut das als Frau. Fast alle diese Manifeste wurden ja von Männern geschriebe­n und strotzen nur so vor Testostero­n. Die Tatsache, dass nun in „Manifesto“alle Rollen, bis auf eine, Frauenroll­en sind, gibt dem Ganzen auch noch ein feministis­ches Element und macht die Texte noch mal anders lesbar.

Die Zeit für die Aufnahmen war äußerst knapp? Rosefeldt: Wir hatten nur zwölf Drehtage plus zwei Tage Kostümund Maskenprob­e, was völlig aberwitzig ist. Da war wenig Zeit für Improvisat­ion. Spätestens am zweiten Tag wurde der Dreh zum Trip, jeden Tag lernten wir eine völlig neue Figur in einem gänzlich neuen Setting kennen. Cate blieb meist den ganzen Tag in der Rolle, saß dann also zum Beispiel als obdachlose­r Mann nicht nur in voller Montur und Maske beim Mittagesse­n, sondern verhielt sich auch so, um kost- bare Probenzeit nicht zu verschenke­n.

In einem der zwölf Filme sitzt Cate Blanchett als erzkonserv­ative Mutter mit Mann und Kindern um einen Gänsebrate­n. Haben Sie ein Festtagsbr­aten-Trauma verarbeite­t? Rosefeldt: Überhaupt nicht. Wenn mir etwas den Schweiß auf die Stirn treibt, dann sind es Puppen. Und diese Angst bekämpfe ich damit, dass ich in meinen Filmen immer wieder Puppen einsetze.

Was ist denn an Puppen so fürchterli­ch? Rosefeldt: Wir hatten zu Hause zwei Sorten: Die Monster fand ich toll, vor denen hatte ich überhaupt keine Angst, weil sie so überzeichn­et waren. Aber diese grinsenden Hänselund-Gretel-Puppen sind heute noch mein Albtraum. Ich kann mich aus der Kindheit eigentlich nur an Albträume erinnern. Da kam dann irgendetwa­s aus der Wand heraus oder saß auf dem Schrank. Puppen, Monster. Der Clown ist ja auch keine Figur, die Kinder wirklich glücklich macht.

Zurück zur Kunst. Hat sich die Rolle des Künstlers in den letzten Jahren verändert? Rosefeldt: Marinetti hat sein futuristis­ches Manifest 1909 auf der Titelseite des Figaro veröffentl­icht. So etwas wäre heute unvorstell­bar. Heute sind die medialen Möglichkei­ten der Meinungsäu­ßerung ganz andere, und die Kunstszene ist globalisie­rt. Das Bedürfnis, seinen Veränderun­gsanspruch als Manifest in die Welt zu setzen, ist damit vielleicht etwas obsolet geworden. Trotzdem sind in den letzten Jahren wieder vermehrt Manifeste geschriebe­n worden, allerdings weniger von Künstlern, sondern eher im gesellscha­ftspolitis­chen Bereich. „Empört Euch“von Stéphane Hessel zum Beispiel.

„Nur zwölf Tage Drehzeit sind aberwitzig.“Julian Rosefeldt

Vielleicht müssen Künstler nicht mehr kämpfen? Rosefeldt: Wir befinden uns innerhalb der Kulturwelt in einer gesicherte­n Zone, wir haben ein Publikum, das nicht überzeugt werden muss. Das mit dem, was wir zu sagen haben, meistens einverstan­den ist. Deshalb verpuffen auch so viele vermeintli­ch engagierte politische Kunstwerke. Oft genug haben sie noch nicht mal die Tiefe eines guten journalist­ischen Beitrags.

Interview: Christa Sigg

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Ausstellun­g Villa Stuck in München, bis 21. Mai, Di bis So 11 bis 18 Uhr, erster Freitag im Monat bis 22 Uhr

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Foto: Julian Rosefeldt/VG Bild Kunst/Villa Stuck Dreimal Cate Blanchett in „Manifesto“.
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