Safas Behandlung ist ein großes Glück
Serie Das vierjährige Mädchen aus Syrien leidet unter einem „Offenen Rücken“. In Gundelfingen besucht es jetzt den Kindergarten
Gundelfingen Die kleine Safa ist sehr gesprächig. Sie liebt es, mit anderen Leuten in Kontakt zu treten. So wie bei unserem Besuch. Die Vierjährige sitzt auf dem Sofa inmitten ihrer Lieblingspuppen und plappert drauflos: „Sind Sie gekommen, um mit mir zu sprechen? Wie heißen Sie?“Mit ihrer Unbefangenheit und Fröhlichkeit erobert sie die Herzen der Besucher im Nu. Mein rotes Notizbuch samt Schreibstift hatte es ihr besonders angetan. Auf den ersten Blick ist nicht erkennbar, dass Safa nicht gehen kann. Das kleine Mädchen leidet an einer „Spina bifida“, einer angeborenen Fehlbildung von Wirbelsäule und Rückenmark. Bekannt ist die Krankheit hierzulande unter dem Begriff „Offener Rücken“. Während Kawthar Issa mit Safa schwanger war, stürzte sie einmal schwer. Die Ursache war eine Bombe, die in ein Nachbarhaus einschlug, erzählt die heute 43-Jährige. Natürlich müsse das nicht der Grund für die Erkrankung ihrer jüngsten Tochter gewesen sein. Erschwerend kam dazu, dass es in einem Kriegsgebiet für schwangere Frauen meist unmöglich ist, an die erforderlichen Nahrungsmittel oder Medikamente zu gelangen. Safa wurde 2012 in Rakka geboren, einer IS-kontrollierten Stadt im Landesinneren Syriens. Den offenen Rücken erkannten die Ärzte erst im achten Schwangerschaftsmonat durch eine Untersuchung mit Ultraschall. Nach der Geburt wurde sofort eine Operation durchgeführt, und das Baby musste zwanzig Tage auf der Intensivstation bleiben. Zu Hause musste ein spezielles Zimmer eingerichtet werden, und Besuche waren tabu. „Damit sie sich nicht infiziert“, erklärt die Mutter. Die Eltern betraten das Zimmer einen Monat lang nur mit Mundschutz, und auch die ältere Tochter Khawla durfte das Schwesterchen nur von der Zimmertür aus sehen. Die Mutter, selbst Ärztin, kündigte ihre Stelle im Krankenhaus und eröffnete neben ihrem Haus eine neue Praxis, damit sie sich besser um ihre Tochter kümmern konnte. Während der ersten Zeit stellte die Familie sogar eine Krankenschwester ein, um alles Erdenkliche für das Mädchen zu tun. Aber der Krieg, der ein Jahr vor Safas Geburt begonnen hatte, ließ die Hoffnung auf Besserung und medizinische Behandlung immer weiter sinken. „In Rakka gab es keine Medikamente mehr, die Krankenhäuser wurden geschlossen oder waren zerstört, es war alles ein Chaos“, erzählt der 40-jährige Vater Shamel. Da er in der Sicherheitsbranche arbeitete, wusste er um die sich zuspitzende Gefahrenlage in der Stadt. 2014 trat die Familie die Flucht in Richtung Türkei an.
Um die Flucht zu finanzieren, verkaufte Kawthar Issa ein Ultraschallgerät aus ihrer Praxis sowie etwas Schmuck. In der Türkei, an der Grenze zu Syrien, mieteten sie eine kleine Wohnung. Kawthar Issa schaffte es, als Ärztin in einer Hilfsorganisation unterzukommen. Die Nichtregierungsorganisation UNFPA (United Nations Population Fund) hatte in der türkischen Stadt ein Zentrum, in dem Frauen bei physischen und psychischen Problemen Hilfe erfahren konnten. „Die Arbeit hat mir sehr viel Freude bereitet. Es gab auch Nähkurse und Frisier-Workshops. Das Angebot kam sehr gut an“, erzählt sie. Auch ihr Mann verdiente anfangs Geld als Schneider hinzu, jedoch weniger als seine Frau. „Ich bin dann zu Hause geblieben, um auf die Mädchen aufzupassen, als Hausmann sozusagen“, berichtet Shamel.
Aber auch in der Türkei gab es keine angemessene Behandlung für die kranke Tochter. So entschied das Ehepaar, dass sich der Vater mit Safa auf den Weg nach Deutschland machen musste, während die Mutter mit der älteren Tochter zunächst in der Türkei blieb. Während des ganzen Weges musste Shamel Shebli seine Tochter tragen: „Vorne die Kleine in einer speziellen Tragetasche und hinten das Gepäck. Das war anstrengend.“So kamen die beiden im Juli 2015 in Deutschland an. Erst vor wenigen Wochen kam es zur Familienzusammenführung in Gundelfingen. Mittlerweile besucht Safa den Kindergarten, und sie erhält „endlich“eine angemessene medizinische Behandlung. Die Familie empfindet alles als großes Glück und ist vor allem den ehrenamtlichen Helfern in Gundelfingen äußerst dankbar, die sich um Safa kümmern, denn mit den Arztbesuchen fällt einiges an Arbeit an.
Beim Abschied behält Safa das rote Notizbuch und den roten Stift, die sie seit unserer Ankunft nicht mehr aus den Händen gelassen hat. Jetzt hat das fröhliche Mädchen ein neues Kapitel in ihrem Leben aufgeschlagen. (mit bäs)
Bei der Übersetzung haben Ammar Alkhatib aus Gundelfingen sowie Katharina Hillenbrand vom Asylkreis Buttenwiesen geholfen.
Auf der Flucht