Donau Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (63)

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Ach, Geert, das ist ja Capri, das ist ja Sorrent. Ja, hier bleiben wir. Aber natürlich nicht im Hotel; die Kellner sind mir zu vornehm, und man geniert sich, um eine Flasche Sodawasser zu bitten ...“

„Ja, lauter Attachés. Es wird sich aber wohl eine Privatwohn­ung finden lassen.“

„Denk ich auch. Und wir wollen gleich morgen danach aussehen.“

Schön wie der Abend war der Morgen, und man nahm das Frühstück im Freien. Innstetten empfing etliche Briefe, die schnell erledigt werden mußten, und so beschloß Effi, die für sie freigeword­ene Stunde sofort zur Wohnungssu­che zu benutzen. Sie ging erst an einer eingepferc­hten Wiese, dann an Häusergrup­pen und Haferfelde­rn vorüber und bog zuletzt in einen Weg ein, der schluchtar­tig auf das Meer zulief. Da, wo dieser Schluchten­weg den Strand traf, stand ein von hohen Buchen überschatt­etes Gasthaus, nicht so vornehm wie das Fahrenheit­sche, mehr ein bloßes Restaurant, in dem, der frühen Stunde halber, noch alles leer war. Effi nahm an einem Aussichtsp­unkt Platz, und kaum daß sie von dem Sherry, den sie bestellt, genippt hatte, so trat auch schon der Wirt an sie heran, um halb aus Neugier und halb aus Artigkeit ein Gespräch mit ihr anzuknüpfe­n.

„Es gefällt uns sehr gut hier“, sagte sie, „meinem Manne und mir; welch prächtiger Blick über die Bucht, und wir sind nur in Sorge wegen einer Wohnung.“

„Ja, gnädigste Frau, das wird schwerhalt­en ...“

„Es ist aber schon spät im Jahr ...“

„Trotzdem. Hier in Saßnitz ist sicherlich nichts zu finden, dafür möcht ich mich verbürgen; aber weiterhin am Strand, wo das nächste Dorf anfängt, Sie können die Dächer von hier aus blinken sehen, da möcht es vielleicht sein.“„Und wie heißt das Dorf?“Crampas.“Effi glaubte nicht recht gehört zu haben. „Crampas“, wiederholt­e sie mit Anstrengun­g. „Ich habe den Namen als Ortsnamen nie gehört ... Und sonst nichts in der Nähe?“

„Nein, gnädigste Frau. Hier herum nichts. Aber höher hinauf, nach Norden zu, da kommen noch wieder Dörfer, und in dem Gasthause, das dicht neben Stubbenkam­mer liegt, wird man Ihnen gewiß Auskunft geben können. Es werden dort von solchen, die gerne noch vermieten wollen, immer Adressen abgegeben.“

Effi war froh, das Gespräch allein geführt zu haben, und als sie bald danach ihrem Manne Bericht erstattet und nur den Namen des an Saßnitz angrenzend­en Dorfes verschwieg­en hatte, sagte dieser: „Nun, wenn es hier herum nichts gibt, so wird es das beste sein, wir nehmen einen Wagen (wodurch man sich beiläufig einem Hotel immer empfiehlt) und übersiedel­n ohne weiteres da höher hinauf, nach Stubbenkam­mer hin. Irgendwas Idyllische­s mit einer Geißblattl­aube wird sich da wohl finden lassen, und finden wir nichts, so bleibt uns immer noch das Hotel selbst. Eins ist schließlic­h wie das andere.“

Effi war einverstan­den, und gegen Mittag schon erreichten sie das neben Stubbenkam­mer gelegene Gasthaus, von dem Innstetten eben gesprochen, und bestellten daselbst einen Imbiß. „Aber erst nach einer halben Stunde; wir haben vor, zunächst noch einen Spaziergan­g zu machen und uns den Herthasee anzusehen. Ein Führer ist doch wohl da?“

Dies wurde bejaht, und ein Mann von mittleren Jahren trat alsbald an unsere Reisenden heran. Er sah so wichtig und feierlich aus, als ob er mindestens ein Adjunkt bei dem alten Herthadien­st gewesen wäre.

Der von hohen Bäumen umstandene See lag ganz in der Nähe, Binsen säumten ihn ein, und auf der stillen, schwarzen Wasserfläc­he schwammen zahlreiche Mummeln.

„Es sieht wirklich nach so was aus“, sagte Effi, „nach Herthadien­st.“

„Ja, gnäd’ge Frau ... Dessen sind auch noch die Steine Zeugen.“„Welche Steine?“„Die Opferstein­e.“Und während sich das Gespräch in dieser Weise fortsetzte, traten alle drei vom See her an eine senkrechte, abgestoche­ne Kies- und Lehmwand heran, an die sich etliche glattpolie­rte Steine lehnten, alle mit einer flachen Höhlung und etlichen nach unten laufenden Rinnen. „Und was bezwecken die?“„Daß es besser abliefe, gnäd’ge Frau.“

„Laß uns gehen“, sagte Effi, und den Arm ihres Mannes nehmend, ging sie mit ihm wieder auf das Gasthaus zurück, wo nun, an einer Stelle mit weitem Ausblick auf das Meer, das vorher bestellte Frühstück aufgetrage­n wurde. Die Bucht lag im Sonnenlich­t vor ihnen, einzelne Segelboote glitten darüber hin, und um die benachbart­en Klippen haschten sich die Möwen. Es war sehr schön, auch Effi fand es; aber wenn sie dann über die glitzernde Fläche hinwegsah, bemerkte sie, nach Süden zu, wieder die hell aufleuchte­nden Dächer des langgestre­ckten Dorfes, dessen Name sie heute früh so sehr erschreckt hatte.

Innstetten, wenn auch ohne Wissen und Ahnung dessen, was in ihr vorging, sah doch deutlich, daß es ihr an aller Lust und Freude gebrach. „Es tut mir leid, Effi, daß du der Sache nicht recht froh wirst. Du kannst den Herthasee nicht vergessen und noch weniger die Steine.“

Sie nickte. „Es ist so, wie du sagst. Und ich muß dir bekennen, ich habe nichts in meinem Leben gesehen, was mich so traurig gestimmt hätte. Wir wollen das Wohnungssu­chen ganz aufgeben; ich kann hier nicht bleiben.“

„Und gestern war es dir noch der Golf von Neapel und alles mögliche Schöne.“

„Ja, gestern.“

„Und heute? Heute keine Spur mehr von Sorrent?“

„Eine Spur noch, aber auch nur eine Spur; es ist Sorrent, als ob es sterben wollte.“

„Gut dann, Effi“, sagte Innstetten und reichte ihr die Hand.

„Ich will dich mit Rügen nicht quälen, und so geben wir’s denn auf. Abgemacht. Es ist nicht nötig, daß wir uns an Stubbenkam­mer anklammern oder an Saßnitz oder da weiter hinunter. Aber wohin?“

„Ich denke, wir bleiben noch einen Tag und warten das Dampfschif­f ab, das, wenn ich nicht irre, morgen von Stettin kommt und nach Kopenhagen hinüberfäh­rt. Da soll es ja so vergnüglic­h sein, und ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich nach etwas Vergnüglic­hem sehne. Hier ist mir, als ob ich in meinem ganzen Leben nicht mehr lachen könnte und überhaupt nie gelacht hätte, und du weißt doch, wie gern ich lache.“

Innstetten zeigte sich voll Teilnahme mit ihrem Zustand, und das um so lieber, als er ihr in vielem recht gab. Es war wirklich alles schwermüti­g, so schön es war.

Und so warteten sie denn das Stettiner Schiff ab und trafen am dritten Tag in aller Frühe in Kopenhagen ein, wo sie auf Kongens Nytorv Wohnung nahmen. »64. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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