Thomas Manns „Felix Krull“als einfallsreiches Spektakel
Bühne Das Fränkische Landestheater spielt vor nur 150 Zuschauern im Dillinger Stadtsaal
Dillingen Ist die Welt ein Kasperltheater? Mit dieser Frage beschäftigten sich die „Kulturring“-Freunde, als sie im Stadtsaal die dramatisierte „Felix-Krull“-Story von Thomas Mann erlebten.
Denn die Bühnenfassung John von Düffels und die Regie Jörg Schlachters inspirierten das fünfköpfige Ensemble des Landestheaters Dinkelsbühl zu einem ideenreichen Spiel. Allerdings überdeckten Tempo und Turbulenz die Sprachkunst Thomas Manns. Aus dem Roman mit seinen mythischen und zeitkritischen Bezügen war ein unterhaltsames Spektakel geworden. Wer den Originaltext nicht kannte, wird sich wohl besonders gut amüsiert haben.
Dieser hochstapelnde Felix Krull saust mit Rasanz durch Szenen und Liebschaften. Die Schwindelei erweist sich dabei als gesellschaftliches Transportmittel. Wer hochstapelt, steigt hoch hinauf in die Paradiese des Establishments. Der verarmte Schulabbrecher Felix Krull wird als Marquis de Venosta zum angehimmelten Star. „Du hast Glück bei den Frau’n, Bel Ami!“, tönt es aus dem Lautsprecher.
Damit dieses Glück demonstriert werden kann, müssen sich die fünf Darsteller in 15 Personen verwandeln. Das geschieht im Handumdrehen: Eine Kulisse wird verschoben, ein Kasperlfenster geöffnet – schon ist die Fantasie des Zuschauers vom Rhein nach Paris, von Paris nach Lissabon befördert. Die Stimmungslage der jeweiligen Szene unterstreichen Toneinspielungen: Der Radetzkymarsch, ein schöner Musette-Walzer, Schumanns „Träumerei“werden zu musikalischen Stützen der Verlogenheit, der Liebeslust und des schönen Scheins.
Die Aufteilung der Hauptrolle in den erzählenden und erlebenden Felix Krull erweist sich als wirksamer Trick. So wird das Stück mit Elementen des Epischen Theaters angereichert. Bernd Berleb lässt als reifer Krull in seinen Rückblicken die Ironie Thomas Manns aufblitzen und Maximilian Westphal spielt mit der notwendigen Leichtigkeit den Luftikus Krull. Andreas Peteratzinger gibt der Figur des Professors Kuckuck klare Konturen und Patricia Foik profiliert die Madame Houpflé als Millionärin mit merkwürdigen Sehnsüchten. Monika Reithofer verdeutlichte die kontrastierenden Erscheinungsformen der Verliebtheit mit der geglückten Verkörperung der pubertär rasenden Eleanor Twentyman und der fächerwedelnden Portugiesin Senhora Maria Pia, die trotz ihres frommen Namens zum Seitensprung bereit ist.
Was Einfallsreichtum und Witz betrifft, brauchte das Fränkische Landestheater den Vergleich mit anderen Aufführungen und früheren Filmfassungen nicht zu scheuen. So konnten sich die älteren Besucher an die Musterungsszene des legendären Horst Buchholz im KurtHoffmann-Film von 1957 erinnern, ohne sich zu ärgern.
Bei Auftritten in anderen Städten spielte das Fränkische Landestheater seine „Krull“-Inszenierung immer vor einer großen Zahl junger Zuschauer. Unter den 150 Besuchern in Dillingen befand sich kaum ein Schüler. Offenbar hat Thomas Manns Strahlkraft als stilistisches Genie auf Gymnasiasten der Region stark nachgelassen. So schnell vergeht der Ruhm der Welt.