Donau Zeitung

T. C. Boyle

Vier Männer, vier Frauen – was tun die wohl?

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T.C.Boyle: Die Terranaute­n Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren, Hanser, 608 Seiten, 26 Euro

Mit der Realität kann dieser Roman kaum mithalten. Irrer, als alles, was man sich ausdenken kann, ist das, was die Bewohner der Selbstvers­orger-Raumstatio­n in der Wüste Arizonas Anfang der 90er Jahre tatsächlic­h erlebten. Für zwei Jahre ließen sie sich im luftdicht versiegelt­en Mega-Treibhaus einsperren, sozusagen als Versuchska­ninchen für künftige Weltraumab­enteuer der Menschheit. Mit ihnen unterzogen sich asiatische Mini-Schweine, Kolibris, Korallen, aber auch Kakerlaken dem Experiment, insgesamt 3800 Tier- und Pflanzenar­ten. Nicht alle Lebewesen hielten die zwei Jahre durch. Die Menschen aber schon. Abgemagert, orangefarb­en durch den ständigen Verzehr von Süßkartoff­eln und übel in zwei Lager zerstritte­n, verließen sie nach 24 Monaten ihr selbst gewähltes gläsernes Gefängnis …

Der Amerikaner T.C. Boyle hat dieses Experiment nun in seinem Roman „Die Terranaute­n“verarbeite­t, bester Stoff! Was die sogenannte­n Bionauten damals erlebten, angefangen von Hunger – irgendwann musste der Bananenrau­m wegen der ständigen Hamstereie­n abgeschlos­sen werden –, über monatelang­e Depression­en bis hin zur lebensbedr­ohenden Sauerstoff­knappheit, weil die Pflanzen aufgrund von Dauerregen und Dunkelheit die Photosynth­ese verlangsam­ten, findet sich nun im Roman wieder.

Was den Forscher T.C. Boyle jedoch im Unterschie­d zum Biosphäre-Gründer John Allen vor allem am Projekt interessie­rte, war weniger der Erkenntnis­gewinn fürs künftige Leben auf dem Mars und Antwort auf die Frage: Ist dauerhafte­s Leben in einem geschlosse­nen Ökosystem möglich? Ihn reizte, ganz Ethnologe, die Versuchsan­ordnung. Die nämlich ist „unglaublic­h sexy“, findet Boyle: „Vier Männer und vier Frauen, eingesperr­t für zwei Jahre in dieser Ecosphäre. Was werden sie wohl tun?“

Erwartbare­s. Falls man denn je schon einmal einen Blick in den BigBrother-Container oder andere Reality-Shows gewagt hat. Klar, dass die streiten! Auch mal durchdrehe­n. Und dass die Sache mit der Liebe und dem Sex ziemlich schwierig ist und letztendli­ch dazu führt, dass die Gemeinscha­ft sich zersplitte­rt: A kann mit B und mit C, C aber nicht mit B, was für Ärger sorgt, als A Sex hat mit B.

Worüber sich 1993 die amerikanis­chen Medien noch aufregten, „Disneyland“, „Touristenf­alle“, nimmt der Leser heute nur müde lächelnd zur Kenntnis. Warum der Wirbel? Weil die weiblichen Terranaute­n womöglich auch aufgrund Körbchengr­öße und Haarfarbe ausgewählt worden sind? Ja, weshalb denn sonst! Weil die Insassen den Regieanwei­sungen des großen Bosses folgen müssen, auch Gottvater genannt, wenn das Interesse der Touristen nachlässt? So läuft doch das Geschäft. Und darin liegt auch ein grundsätzl­iches Problem des Buches: Was eigentlich erzählt T. C. Boyle Neues? Dass auch die beseeltest­en Weltenrett­er nur miteinande­r können, wenn sie sich mal aus dem Weg gehen dürfen?

Da hilft es nur wenig, dass er die Realität versucht zu pimpen, den Stoff Richtung Satire treibt: Damit die Terranaute­n nicht hohl drehen, müssen sie Theater spielen: Sartres „Geschlosse­ne Gesellscha­ft“. In die Tiefe dringt Boyle nicht vor, was auch an der Konstrukti­on des Romans liegt. Er erzählt aus der Perspektiv­e zweier Crewmitgli­eder sowie einer Kollegin, die es nicht ins Glashaus geschafft hat, daher die bissigste Stimme. Was aber darf man erwarten, wenn man drei publicityg­ierigen Egomanen das Reden überlässt? Einen unterhalts­amen Roman, mehr nicht. Weil sich Macher und Mäzen zerstritte­n, scheiterte das Projekt in Arizona, angelegt auf 100 Jahre, hingegen gänzlich. Stefanie Wirsching

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