Donau Zeitung

Die Omelette Bäckerin vom Mont Saint Michel

Frankreich Lange bevor der Klosterber­g jedes Jahr Millionen anzog, versorgte eine junge Frau Pilger mit frischen Eierkuchen. Die kann man immer noch kosten – und bezahlt einen stolzen Preis dafür

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Man versetze sich in die Haut eines frommen Pilgers Ende des 19. Jahrhunder­ts auf dem entbehrung­sreichen Weg zum Mont-Saint-Michel an der nordfranzö­sischen Küste: Der Wind peitscht einem den Regen ins Gesicht, die Füße sind vom Schlamm durchnässt und die letzten Meter zu dem berühmten Klosterber­g werden zu einer Nervenprüf­ung. Es ist schon spät, der Magen knurrt. Ob jetzt noch irgendwo eine warme Mahlzeit aufzutreib­en ist?

Zum Glück gibt es die „Mère Poulard“, die großzügige „Mutter Poulard“, auf der Klosterins­el im Ärmelkanal. Zu jeder Tages- und Nachtzeit verspricht sie in ihrem Holzofen ein so üppiges Omelett zu braten, dass auch der ausgehunge­rte Wallfahrer satt zu Bett gehen kann – am besten natürlich gleich in ihrer Herberge.

Seit 1979 gehört der Mont-SaintMiche­l zum Weltkultur­erbe der Unesco, er zählt zu den am meisten besichtigt­en Sehenswürd­igkeiten Frankreich­s. Rund drei Millionen Menschen drängen sich jedes Jahr in den engen Gassen und steigen die 360 Treppenstu­fen zum Kloster hinauf. Noch immer können sie bei der „Mère Poulard“essen und übernachte­n, auch wenn die berühmte Köchin selbst seit 85 Jahren tot ist. Denn ihr Geschäft, das sie aus der Gastfreund­schaft zu machen wusste, lebt weiter.

Unter ihrem Namen, der zu einer Marke geworden ist, entstehen weiterhin gehaltvoll­e Omeletts, die ein wohliges Sättigungs­gefühl hinterlass­en. Und womöglich einen Schreck, wenn die Rechnung kommt: 38 Euro beträgt der stolze Preis für einen Eierkuchen – aufgepeppt mit einer Garnitur aus Jakobsmusc­heln oder in der süßen Version mit Calvados flambiert und karamellis­ierten Äpfeln gefüllt. Im Preis inbegriffe­n sind die authentisc­he Zubereitun­gsweise in einem urigen Holzofen, die am Eingang des HotelResta­urants zur Schau gestellt wird, und die herausrage­nde Lage an einem der fasziniere­ndsten Orte Frankreich­s.

Heute sind es überwiegen­d Touristen, die den majestätis­ch im Wasser thronenden Inselberg und die nach dem Erzengel Michael benannte Klosterabt­ei ansteuern. Vor dem Bau einer ersten Kirche im achten Jahrhunder­t wurde die Insel noch „Mont-Tombe“genannt, also „Grab-Berg“in Anspielung auf die an eine Grabstätte erinnernde Form des Felsen. Der Legende nach erschien im Jahr 708 der Erzengel Michael dem Bischof Aubert von Avranches, dem nächstgele­genen Städtchen auf dem Festland, im Traum, befahl den Bau einer Kirche auf dem felsigen Inselberg zu seinen Ehren und bohrte dem Bischof, als er trotz eines dreimalige­n Aufrufes nicht folgte, mit dem Finger ein Loch in den Schädel. Dieser wird bis heute in der Kirche in Avranches aufbewahrt – und die Legende überdauert­e alle medizinisc­hen Erklärunge­n für das Loch.

Auf diese eindrucksv­olle Mahnung hin soll Bischof Aubert schleunigs­t die Errichtung eines sakralen Baus in Auftrag gegeben haben. Der Erzengel Michael, auf Französisc­h Saint Michel, beschützt nicht nur vor dem Teufel, sondern er entscheide­t auch, wer ins Paradies eingelasse­n wird – diese Schlüssels­tellung machte aus dem Mont-SaintMiche­l einen der wichtigste­n Pilgerorte Frankreich­s. 160 Meter über dem Meer thront heute seine goldene Statue auf der Spitze des Gebäudes, das später zu einer Kirche im vorromanis­chen Stil ausgebaut wurde. Außerdem wurde ein Benediktin­erkloster gegründet. In den folgenden Jahrhunder­ten entstand durch fortgesetz­te Arbeiten eine prachtvoll­e Abtei, in der die verschiede­nsten Stile von den unterschie­dlichen Epochen erzählen.

Aber auch die Machtkämpf­e und Kriege, die damals die Region erschütter­ten, gingen am Mont-SaintMiche­l nicht vorbei: Im 15. Jahrhunder­t wurde er zeitweise von den Engländern belagert und das Dorf durch Artillerie­geschosse zerstört. Doch wegen des massiven Widerstand­s der Bevölkerun­g scheiterte die Eroberung. Nach der Französisc­hen Revolution mussten die Benediktin­ermönche das Kloster verlassen; denn das sakrale Monument wurde zum Gefängnis für Regimegegn­er, Priester und politische Häftlinge umfunktion­iert. Rund 14 000 Menschen waren dort unter erbärmlich­en Bedingunge­n eingesperr­t: Ausgerechn­et diese Insel mit Anreise Am besten erreichbar ist der Mont Saint Michel mit dem Auto. Von Pa ris aus sind es rund 360 Kilometer. Parkplätze befinden sich einige Kilo meter vom Klosterber­g entfernt, ein Ta gesticket kostet 11,70 Euro. Pendel busse verkehren regelmäßig zu der Se henswürdig­keit und zurück und sind gratis. Informatio­nen: www.bienvenue aumontsain­tmichel.com/de

Wer den Zug bevorzugt, sollte vier Stunden Fahrt von Paris nach Avran ches einplanen, dem nächstgele­genen Ort. Diverse Verbindung­en gibt es unter www.voyages sncf.com.

Übernachtu­ng „La Mère Poulard“, wo es die berühm ten Omelettes gibt, betreibt Hotels einige Kilometer vom Mont Saint Mi ihrer spirituell­en Anziehungs­kraft geriet zeitweise zu einem Schreckens­ort. Nur von einem einzigen Gefangenen ist bekannt, dass ihm die Flucht gelang.

Erst im Jahre 1863 hatte Napoleon III. die Idee, die Haftanstal­t aufzulösen – und indirekt war dies der Anfang des florierend­en Geschäftet­reibens der „Mère Poulard“. Über einen neuen Damm, den der Herrscher im Jahre 1877 bauen ließ, wurde die Insel von der Küste aus unabhängig von den Gezeiten erreichbar. Zugleich beschloss er die Renovierun­g des historisch­en Klosters.

Der damit beauftragt­e Architekt Édouard Corroyer nahm neben Kind und Kegel auch sein Zimmermädc­hen Annette Boutiaut mit, die sich wiederum in den Sohn des örtlichen Bäckers, Victor Poulard, verliebte. Beide heirateten und begannen einen Herbergsbe­trieb für Pilger und Besucher in einer Zeit des aufkeimend­en Tourismus. Weil diese oft außerhalb der üblichen Essenszeit­en kamen, erfand die mütterlich­e Annette Poulard ihr Omelett als Speise, die sich schnell, einfach und jederzeit zubereiten lässt. Sie briet es in einer ordentlich­en Portion Butter im Holzofen, was ihm einen spezifisch­en Räucherges­chmack verlieh. Freilich hatte die Menükarte noch mehr zu bieten: Insgesamt 700 Rezepte notierte die „Mutter Poulard“mit der Zeit in ihr Büchlein, jeweils in der „IchForm“.

Der Erfolg schlug so ein, dass das Ehepaar Poulard 1888 eine erste Herberge, das „Hotel zum Goldenen Löwen“, aufmachte. Später kauften sie ein neues Gasthaus, das sie „Zum renommiert­en Omelett der Mère Poulard“nannten. Bis heute zieht das Hotel Stars aus der ganzen Welt an – die Wände schmücken Fotografie­n von berühmten Besuchern wie Ernest Hemingway, Theodore Roosevelt oder Winston Churchill. Auch alle französisc­hen Präsidente­n waren hier.

Es blieb auch nicht bei einem einzigen Hotel. „La Mère Poulard“hat sich längst zu einer mächtigen Institutio­n auf dem Mont-Saint-Michel entwickelt – und ist darüber hinaus ein internatio­nal florierend­es Unternehme­n. Zu ihm gehören mehrere Hotels und Restaurant­s, zwei Museen, eine Produktion von Butterkeks­en sowie Restaurant- und CaféAblege­r in Japan und Korea. Rund 1000 Angestellt­e arbeiten insgesamt für die Kette, deren aktueller Chef Éric Vannier insgesamt 24 Jahre lang Bürgermeis­ter des Mont-SaintMiche­l war. Der Ort, früher ein befestigte­s Dorf mit bis zu 1000 Bewohnern, zählt noch ungefähr 100 gemeldete Wahlberech­tigte und 20 ständige Einwohner; die meisten von ihnen sind Geschäftst­reibende.

Während der Revolution war das Kloster ein Gefängnis Kurz informiert Die letzten Einwohner gingen vor zwei Jahren

In der Abtei wiederum leben inzwischen nicht mehr Benediktin­ermönche – sie waren 1969 zurückgeke­hrt – , sondern fünf Mönche und sieben Schwestern der Gemeinscha­ften von Jerusalem. „Bis vor zwei Jahren wohnte hier noch eine Familie, beide Elternteil­e waren Fremdenfüh­rer“, erzählt Cécile Loiseau, ebenfalls Touristenf­ührerin. „Sie mussten ihre beiden Kinder immer zur Betreuung aufs Festland bringen. Als das dritte unterwegs war, zogen sie um.“

Seinen Inselchara­kter drohte der Mont-Saint-Michel allerdings zu verlieren, da das Wasser den Klosterber­g nicht mehr komplett umspülte – der von Napoleon erbaute Damm unterbrach die natürliche­n Meeresströ­mungen und die Bucht versandete zunehmend. Nach jahrzehnte­langen Untersuchu­ngen begannen dann 2006 umfangreic­he Bauarbeite­n, die inzwischen beendet sind. 2014 wurde die filigrane Stelzenbrü­cke eröffnet, durch die der österreich­ische Architekt Dietmar Feichtinge­r den alten Damm ersetzte.

„Die Idee dahinter war, dass der Besucher das Gefühl hat, quasi über das Wasser zum Klosterber­g zu gelangen“, erklärt Cécile Loiseau. Schon zuvor war ein Gezeitenda­mm entstanden, um die Insel wieder mit Wasser zu umspülen. Der Parkplatz, der bis dahin direkt neben dem Klosterber­g lag, war um drei Kilometer versetzt worden. Pendelbuss­e transporti­eren die Besucher gratis, während der Verkehr mit Pferdekuts­chen allmählich anläuft. Dabei verleihen sie in heutigen Tagen des Besucher-Ansturms ein Flair wie zu früheren, ruhigeren Zeiten, freilich mit einem gewissen Aufpreis – ein wenig wie die „Mère Poulard“.

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Foto: dpa/Holzer (2) Rund drei Millionen Touristen besuchen jedes Jahr den Mont Saint Michel. Hier versorgte einst ein geschäftst­üchtiges ehemaliges Zimmermädc­hen, La Mère Poulard, Pilger zu Tag und Nachtzeite­n. Sie briet ihnen üppige Omelettes. Das Geschäft gibt es noch...
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