Eine zerrissene Partei
Hintergrund Die Grünen im freien Fall? Im Saarland haben sie nur noch die Treuesten der Treuen gewählt. In Schleswig-Holstein zeigt ein Mann, dass es auch anders geht
Augsburg Heinz Suhr erinnert sich noch gut. Es muss Mitte der achtziger Jahre gewesen sein, als er in Bonn in eines der ersten Elektroautos stieg und damit vom Abgeordnetenhaus im Tulpenfeld zum Kanzleramt zockelte – Suhr, ein Grüner der ersten Stunde, wollte für ein urgrünes Thema werben, die Abkehr vom Verbrennungsmotor. Gedankt hat es ihm die Partei damals nicht. Kaum zurück in seinem Büro, schmunzelt der 65-Jährige, habe der erste Abgeordnetenkollege schon seinen Protest gegen die kleine PRAktion per Pressemitteilung hinaus ins Land geschickt und alles wieder madig gemacht. Die österreichische Firma, die das E-Mobil gebaut hatte, hatte auch Panzergetriebe im Angebot – ein Unding in den Augen der pazifistischen Grünen.
Mehr als drei Jahrzehnte ist das jetzt her – Suhr allerdings, der 1985 vom Rotationsprinzip profitierte und für Joschka Fischer in die erste Bundestagsfraktion der Partei nachrückte, nimmt die kleine Anekdote als Beispiel für alles, was aus seiner Sicht gerade schiefläuft bei den Grünen. „Statt sich den technischen Fortschritt unter den ökologischen Nagel zu reißen“, kritisiert der gebürtige Augsburger, „flirten sie mit den Linken und dem Mindesteinkommen.“Wichtige Themen wie die Elektromobilität, die Energiewende und den Klimaschutz verfolge die Partei nicht nachdrücklich genug, und natürlich wirke auch die von 2013 noch nach, als die Grünen sich den wenig schmeichelhaften Ruf eines Abkassierers erwarben. Suhr: „Das gibt es auf der ganzen Welt nicht, dass eine Partei mit der Ankündigung, die Steuern zu erhöhen, eine Wahl gewinnt.“
Er selbst verließ die Grünen, nachdem sie 1999 den Weg frei gemacht hatten für den Einsatz der Bundeswehr auf dem Balkan, verfolgt aber noch immer aufmerksam, wie sie sich heute schlagen. Die gegenwärtige Formkrise, dokumentiert in dürren Umfragen und verpatzten Landtagswahlen wie jetzt im Saarland, erklärt sich der gelernte Journalist, der heute in Kempten lebt, allerdings nicht nur mit der programmatischen Zerrissenheit von grünen Pragmatikern und Fundamentalisten. Ihm ist auch das personelle Angebot der Partei zu dünn. „Kein Mensch kann mehr als drei Grüne im Bundestag aufzählen“, stichelt Suhr. Festgefahrene Parteistrukturen und das Beharrungsvermögen der Saturierten ließen kaum Talente nach oben kommen – so wirke die ehemals so freche und unkonventionelle Partei inzwischen „farblos und langweilig“.
Die Wahl an der Saar ist nach der in Mecklenburg-Vorpommern im September bereits die zweite hintereinander, bei der die Grünen aus einem Landtag geflogen sind. In Nordrhein-Westfalen, wo am 14. Mai gewählt wird, haben sie ihre Umfragewerte seit Oktober halbiert und sind gefährlich nahe an die Fünf-Prozent-Hürde gefallen.
In Schleswig-Holstein dagegen, das bereits eine Woche früher wählt, liegen die Grünen bei 14 Prozent, ein Ausnahmewert für ein FlächenKampagne land und vor allem ein Erfolg ihres bekanntesten Mitglieds dort: Robert Habeck, stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Energie, Landwirtschaft und Umwelt, passt in keine der üblichen grünen Schubladen und kommt auch außerhalb des grünen Milieus an. Der promovierte Philosoph, der mit seiner Frau Kinderbücher und Romane schreibt, ist ein ebenso unaufdringlicher wie selbstkritischer Vertreter seines Faches. „Wir haben als Partei einen Hang zur moralischen Überheblichkeit“, hat er bei einem der letzten Parteitage geklagt und dass die Grünen sich zu viel mit sich selbst beschäftigten. Sein Versuch, Spitzenkandidat für die Bundestagswahl zu werden und seiner Partei eine Frischluftzufuhr zu verpassen, scheiterte dennoch – oder vielleicht gerade deswegen? Am Ende lag mit Parteichef Cem Özdemir jedenfalls ein Etablierter knapp vor dem Seiteneinsteiger Habeck.
In welchem Dilemma die Partei steckt, zeigt eine Umfrage aus dem Saarland: 60 von 100 Wählern wünschten sich die Grünen dort im Parlament – aber nur vier von 100 gaben ihnen auch ihre Stimme. Das heißt: Die Partei erreicht, von seltenen Ausnahmen wie in SchleswigHolstein abgesehen, nur noch ihre Stammwähler, die Treuesten der Treuen. Um auch im nächsten Bundestag wieder vertreten zu sein, dürfte das reichen. Für einen grünen Verkehrsminister, der mit dem Elektroauto zur Kabinettssitzung ins Kanzleramt fährt, wohl kaum.