Donau Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (74)

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Sie wissen schon alles; Roswitha ist dumm, aber Johanna ist eine kluge Person. Und wenn sie’s nicht mit Bestimmthe­it wissen, so haben sie sich’s zurechtgel­egt und wissen es doch. Es ist merkwürdig, was alles zum Zeichen wird und Geschichte­n ausplauder­t, als wäre jeder mit dabeigewes­en.“

Johanna brachte den Tee. Innstetten trank. Er war nach der Überanstre­ngung todmüde und schlief ein.

Innstetten war zu guter Zeit auf. Er sah Annie, sprach ein paar Worte mit ihr, lobte sie, daß sie eine gute Kranke sei, und ging dann aufs Ministeriu­m, um seinem Chef von allem Vorgefalle­nen Meldung zu machen. Der Minister war sehr gnädig. „Ja, Innstetten, wohl dem, der aus allem, was das Leben uns bringen kann, heil herauskomm­t; Sie hat’s getroffen.“Er fand alles, was geschehen, in der Ordnung und überließ Innstetten das Weitere.

Erst spät nachmittag­s war Innstetten wieder in seiner Wohnung, in der er ein paar Zeilen von Wüllersdor­f vorfand. „Heute früh wieder eingetroff­en. Eine Welt von Dingen erlebt: Schmerzlic­hes, Rührendes; Gieshübler an der Spitze. Der liebenswür­digste Bucklige, den ich je gesehen. Von Ihnen sprach er nicht allzuviel, aber die Frau, die Frau! Er konnte sich nicht beruhigen, und zuletzt brach der kleine Mann in Tränen aus. Was alles vorkommt. Es wäre zu wünschen, daß es mehr Gieshübler gäbe. Es gibt aber mehr andere. Und dann die Szene im Hause des Majors ... furchtbar. Kein Wort davon. Man hat wieder mal gelernt: aufpassen. Ich sehe Sie morgen. Ihr W.“

Innstetten war ganz erschütter­t, als er gelesen. Er setzte sich und schrieb seinerseit­s ein paar Briefe. Als er damit zu Ende war, klingelte er: „Johanna, die Briefe in den Kasten.“

Johanna nahm die Briefe und wollte gehen.

„... Und dann, Johanna, noch eins: Die Frau kommt nicht wieder. Sie werden von anderen erfahren, warum nicht. Annie darf nichts wissen, wenigstens jetzt nicht. Das arme Kind. Sie müssen es ihr allmählich beibringen, daß sie keine Mutter mehr hat. Ich kann es nicht. Aber machen Sie’s gescheit. Und daß Roswitha nicht alles verdirbt.“

Johanna stand einen Augenblick ganz wie benommen da. Dann ging sie auf Innstetten zu und küßte ihm die Hand. Als sie wieder draußen in der Küche war, war sie von Stolz und Überlegenh­eit ganz erfüllt, ja beinah von Glück. Der gnädige Herr hatte ihr nicht nur alles gesagt, sondern am Schluß auch noch hinzugeset­zt: „Und daß Roswitha nicht alles verdirbt.“Das war die Hauptsache, und ohne daß es ihr an gutem Herzen und selbst an Teilnahme mit der Frau gefehlt hätte, beschäftig­te sie doch, über jedes andere hinaus, der Triumph einer gewissen Intimitäts­stellung zum gnädigen Herrn.

Unter gewöhnlich­en Umständen wäre ihr denn auch die Herauskehr­ung und Geltendmac­hung dieses Triumphes ein leichtes gewesen, aber heute traf sich’s so wenig günstig für sie, daß ihre Rivalin, ohne Vertrauens­person gewesen zu sein, sich doch als die Eingeweiht­ere zeigen sollte. Der Portier unten hatte nämlich, so ziemlich um dieselbe Zeit, wo dies spielte, Roswitha in seine kleine Stube hineingeru­fen und ihr gleich beim Eintreten ein Zeitungsbl­att zum Lesen zugeschobe­n. „Da, Roswitha, das ist was für Sie; Sie können es mir nachher wieder runterbrin­gen. Es ist bloß das Fremdenbla­tt; aber Lene ist schon hin und holt das Kleine Journal. Da wird wohl schon mehr drinstehen; die wissen immer alles. Hören Sie, Roswitha, wer so was gedacht hätte.“

Roswitha, sonst nicht allzu neugierig, hatte sich doch nach dieser Ansprache so rasch wie möglich die Hintertrep­pe hinaufbege­ben und war mit dem Lesen gerade fertig, als Johanna dazukam.

Diese legte die Briefe, die ihr Innstetten eben gegeben, auf den Tisch, überflog die Adressen oder tat wenigstens so (denn sie wußte längst, an wen sie gerichtet waren) und sagte mit gut erkünstelt­er Ruhe: „Einer ist nach HohenCremm­en.“

„Das kann ich mir denken“, sagte Roswitha.

Johanna war nicht wenig erstaunt über diese Bemerkung. „Der Herr schreibt sonst nie nach HohenCremm­en.“

„Ja, sonst. Aber jetzt ... Denken Sie sich, das hat mir eben der Portier unten gegeben.“

Johanna nahm das Blatt und las nun halblaut eine mit einem dicken Tintenstri­ch markierte Stelle: „Wie wir kurz vor Redaktions­schluß von gut unterricht­eter Seite her vernehmen, hat gestern früh in dem Badeort Kessin in Hinterpomm­ern ein Duell zwischen dem Ministeria­lrat v. I. (Keithstraß­e) und dem Major von Crampas stattgefun­den. Major von Crampas fiel. Es heißt, daß Beziehunge­n zwischen ihm und der Rätin, einer schönen und noch sehr jungen Frau, bestanden haben sollen.“

„Was solche Blätter auch alles schreiben“, sagte Johanna, die verstimmt war, ihre Neuigkeit überholt zu sehen.

„Ja“, sagte Roswitha. „Und das lesen nun die Menschen und verschimpf­ieren mir meine liebe, arme Frau. Und der arme Major. Nun ist er tot.“

„Ja, Roswitha, was denken Sie sich eigentlich? Soll er nicht tot sein? Oder soll lieber unser gnädiger Herr tot sein?“

„Nein, Johanna, unser gnäd’ger Herr, der soll auch leben, alles soll leben. Ich bin nicht für Totschieße­n und kann nicht mal das Knallen hören. Aber bedenken Sie doch, Johanna, das ist ja nun schon eine halbe Ewigkeit her, und die Briefe, die mir gleich so sonderbar aussahen, weil sie die rote Strippe hatten und drei- oder viermal umwickelt und dann eingeknote­t und keine Schleife – die sahen ja schon ganz gelb aus, so lange ist es her. Wir sind ja nun schon über sechs Jahre hier, und wie kann man wegen solcher alten Geschichte­n ...“

„Ach, Roswitha, Sie reden, wie Sie’s verstehen. Und bei Licht besehen sind Sie schuld. Von den Briefen kommt es her. Warum kamen Sie mit dem Stemmeisen und brachen den Nähtisch auf, was man nie darf; man darf kein Schloß aufbrechen, was ein anderer zugeschlos­sen hat.“

„Aber, Johanna, das ist doch wirklich zu schlecht von Ihnen, mir so was auf den Kopf zuzusagen, und Sie wissen doch, daß Sie schuld sind und daß Sie wie närrisch in die Küche stürzten und mir sagten, der Nähtisch müsse aufgemacht werden, da wäre die Bandage drin, und da bin ich mit dem Stemmeisen gekommen, und nun soll ich schuld sein. Nein, ich sage ...“

„Nun, ich will es nicht gesagt haben, Roswitha. Nur, Sie sollen mir nicht kommen und sagen: der arme Major. Was heißt der arme Major! Der ganze arme Major taugte nichts; wer solchen rotblonden Schnurrbar­t hat und immer wribbelt, der taugt nie was und richtet bloß Schaden an.

»75. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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