Donau Zeitung

Im Revier der Wölfe

Natur Immer wieder tauchen die Wildtiere in Bayern auf. Gut möglich, dass sie sich im Freistaat sogar erneut ansiedeln. In Brandenbur­g sind sie längst heimisch. Naturschüt­zer jubeln, Landwirte klagen über totes Vieh – und Jäger versuchen das Schlimmste zu

- VON SANDRA LIERMANN

Krahne Denny Basigkow schwant Böses: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er auch Menschen angreift“, sagt er und fährt sich über den dunkelblon­den Bart. Was nach einer Szene aus einem Hollywood-Thriller klingt, passt eigentlich nicht ins Bild, hier in Krahne, einem 508-Einwohner-Dorf, anderthalb Stunden von Berlin entfernt. Die Weidenbäum­e entlang der Hauptstraß­e sind noch kahl, Vögel zwitschern, an einigen Sträuchern hängen pastellfar­bene Plastik-Ostereier. Vor der Metzgerei stehen zwei Traktoren. Von weitläufig­en Feldern und Wäldern umgeben, schließt sich im Westen auf 166 Hektar das Naturschut­zgebiet Krahner Busch an. Und da streift es herum, das Wesen, von dem Jäger Denny Basigkow denkt, dass es bald schon Menschen angreift: der Wolf.

46 Wolfsrudel leben in Deutschlan­d, 21 davon in Brandenbur­g. Die ersten Wölfe kehrten im Jahr 2007 dorthin zurück, zwei Jahre später wurden die ersten Welpen geboren. So weit ist der Wolf in Bayern noch nicht. Derzeit löst es schon Aufregung aus, wenn ein Tier gesichtet wird. Wie im November, als ein Wolf irgendwo südlich von Memmingen vor eine automatisc­he Wildkamera lief. Das unscharfe SchwarzWei­ß-Foto hat Naturschüt­zer in Hochstimmu­ng versetzt. Da stellt sich die Frage: Siedelt sich der Wolf nun, nach über 150 Jahren, wieder im Freistaat an?

Ekkehard Kluge hat für diese Euphorie höchstens ein müdes Lächeln übrig. Er arbeitet im brandenbur­gischen Umweltmini­sterium und hat sich längst an die Wölfe gewöhnt. Oft genug hat er mit den Tieren zu tun. Kluge ist zuständig für das „Wolfsmanag­ement“. „Das versucht die Konflikte, die durch den Wolf entstehen, zu lösen“, erklärt er. Wie genau das aussehen soll, steht im 54 Seiten dicken „Management­plan für den Wolf in Brandenbur­g“.

Den meisten Bürgern in Krahne dürfte das wilde Tier vor allem ein Begriff aus dem Märchen sein: Der Wolf, der die sieben Geißlein fressen will und Rotkäppche­ns Oma. Und in der Realität? Da fürchten die Jäger im Ort, dass der Wolf tatsächlic­h Menschen verletzen könnte. Immer wieder werden die Tiere in der Umgebung gesichtet, nähern sich bis auf wenige hundert Meter den Dörfern. Basigkow und seine Kollegen haben deswegen Schilder entlang der beliebten Spazierweg­e aufgehängt. In roter Schrift steht darauf: „Achtung! Wolf-Streifgebi­et. Jäger empfehlen, Hunde anleinen und Kinder beaufsicht­igen“. Irgendwann wurde dieser Hinweis zum Politikum. „Ein im Land Brandenbur­g bisher wohl noch nie gesehenes Schild“schrieb die Märkische Allgemeine, Behördensp­recher bezeichnet­en es als „völligen Unsinn“und die Krahner Jäger als „Scharlatan­e, die Ängste verbreiten wollen“.

Wer die Schilder sieht, könnte denken, das Krahner Naturschut­zgebiet sei gefährlich­e Wildnis. Passiert ist aber noch nie etwas. Weder hat ein Wolf ein Tier gerissen noch einen Menschen angegriffe­n. Einmal ist ein Schaf spurlos verschwund­en, aber vielleicht ist das auch ausgerisse­n oder gestohlen worden. Basigkow und seine Kollegen aber sind sicher, dass es irgendwann zu einem Zwischenfa­ll kommen wird. Denn im Krahner Busch gehen viele mit ihren Hunden spazieren, manche Eltern schicken auch ihre Kinder zum Gassigehen los: „Wölfe sehen Hunde als Konkurrent­en und greifen sie an, wenn sie durch ihr Revier laufen“, sagt der 41-Jährige. Dabei könne auch der Mensch in Gefahr geraten.

Rein mathematis­ch spricht allerdings einiges gegen seine These. Die Chance, dass ein Mensch durch einen Wolf zu Schaden komme, sei gering, sagt Wolfsmanag­er Ekkehard Kluge: „Natürlich kann das niemand ganz ausschließ­en. Ich kann aber auch nicht ausschließ­en, dass mir ein Dachziegel auf den Kopf fällt. Das Risiko, dass Ihnen durch einen Wolf etwas geschieht, ist ähnlich groß.“Denn die Tiere sind scheu. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurden europaweit fünf Todesfälle durch Wölfe gezählt. Zum Vergleich: Durch Blitzschlä­ge sterben im Schnitt allein in Deutschlan­d jährlich acht Menschen.

Und trotzdem geht in Krahne die Angst um? Nicht so ganz. Die meisten Bürger zucken nur mit den Schultern, wenn es um den Wolf geht. Zu Gesicht bekommen haben ihn hier ohnehin die wenigsten. Am schlechtes­ten auf ihn zu sprechen sind wohl die Landwirte, die ihr Vieh auf der Weide halten. 844 Tiere sind in den vergangene­n zehn Jahren in Brandenbur­g gerissen worden, wie das dortige Landesamt für Umwelt ermittelt hat. In 54 Prozent war ein Wolf der Täter oder könnte es gewesen sein. Und: Knapp ein Drittel aller Fälle hat sich im vergangene­n Jahr ereignet. 185 Schafe, 32 Damhirsche, 26 Kälber, drei Alpakas und zwei Ziegen haben die Wölfe allein 2016 in Brandenbur­g gerissen. Wie das Landesamt für Umwelt meint, liegt das aber weniger an der steigenden Zahl der Wölfe, sondern eher an der Tatsache, dass die Tiere in neue Gebiete vordringen. Auch die Tierhalter müssten sich auf ihn einstellen und einen routiniert­en Umgang mit ihm finden, heißt es, also: Präventivm­aßnahmen treffen.

Jens Schreinick­e ist Landwirt und Vorsitzend­er des Bauernverb­andes im Kreis Potsdam-Mittelmark. Er sagt: „Ich habe kein Problem damit, dass wir an der einen oder anderen Stelle Wölfe haben. Aber für diese Sehnsucht, den Wolf hier flächenmäß­ig ausgebreit­et haben zu wollen, habe ich kein Verständni­s.“Er sehe die Welt durch die Augen eines Weidetierh­alters. Und was die sehen müssen, seit der Wolf zurück ist, sei nicht immer schön.

So auch in Beelitz, einer 12000-Einwohner-Stadt südwestlic­h von Potsdam, eine halbe Stunde von Krahne entfernt. Dort riss im März 2016 ein Wolf nachts zwei Kälber. Schreinick­e sagt: „Wissen Sie, ich kann tote Tiere sehen. Ich kann auch sehen, wenn ein Tier geschlacht­et wird. Das ist ein schneller, schmerzfre­ier Tod. Aber ein Tier, das vom Wolf gerissen wird und langsam ausblutet, das ist etwas ganz anderes.“

Wölfe jagen und töten die Tiere, die sie am leichteste­n erbeuten können. Das sind neben den alten und schwachen vor allem Jungtiere. Zäune können Weidetiere schützen. Mindestens 90 Zentimeter sollen die laut Wolfsmanag­ement hoch sein, aus fünf Drahtlitze­n bestehen und mindestens 2500 Volt führen. Bauer Schreinick­e sagt: „Die Zäune müssen Sie erst mal bauen. Wir sprechen hier ja nicht von zwei oder drei Hektar großen Weiden. Wir sprechen hier von 20, 30, 40 Hektar.“Flächen so groß wie 50 Fußballfel­der.

Die Zäune halten nicht nur Wölfe ab, sondern auch alle anderen Tiere – Rehe, Hasen, Füchse. „Die werden dadurch von ihrem natürliche­n Lebensraum ausgeschlo­ssen, von Pfaden, die sie seit Jahrhunder­ten kennen“, sagt Denny Basigkow. Bei aller Liebe zum Wolf: „Das ist nicht mein Verständni­s von Natur.“Und was macht der Wolf, wenn er auf einen Elektrozau­n trifft? Schreinick­e sagt: „Der Wolf ist nicht blöd, der ist ja lernfähig. Nicht jede Weide ist so eingezäunt. Und wenn ich meine Tiere dann mal auf eine andere Wiese bringe, damit sie nicht immer nur an einer Stelle das Grün abfressen, dann schlägt der Wolf halt dort zu.“

Das Land Brandenbur­g unterstütz­t die Viehhalter, wenn sie Zäune bauen. Wird ein Tier gerissen, erhalten sie Ausgleichs­zahlungen. Schreinick­e reicht das nicht: Er fordert, die Wolfspopul­ation zu kontrollie­ren. „Wir leben in einer über Jahrhunder­te geformten Kulturland­schaft. Da kann man nicht so mir nichts, dir nichts wieder eine Wildnis wachsen lassen.“Für Basigkow wäre es die logische

Die Jäger glauben, dass irgendwann etwas passiert Die Jäger sagen, es braucht wolfsfreie Zonen

Konsequenz, die Zahl der Wölfe zu regulieren und Zonen zu schaffen, in denen die Tiere leben.

Ekkehard Kluge vom Umweltmini­sterium glaubt nicht, dass man so das Problem löst. Die Landschaft zu „zerstückel­n“in Wolfszonen und wolfsfreie Zonen, sei kontraprod­uktiv: Werden Wölfe geschlecht­sreif, etwa im Alter von zwei Jahren, wandern die Tiere ab und suchen sich neue Reviere. Dabei legen sie mehrere hundert Kilometer zurück. Kluge sagt: „Das würde nicht funktionie­ren, wenn dazwischen Gebiete lägen, wo sie geschossen werden dürfen.“

Ähnliche Forderunge­n gab es auch in Bayern. Der Jagdverban­d, CSU und Freie Wähler fordern, den Schutzstat­us des Wolfes abzusenken, um ihn leichter zum Abschuss freigeben zu können. Im Allgäu fordert der Alpwirtsch­aftliche Verein „wolffreie Alpgebiete“. Es müsse die Möglichkei­t geben, den Wolf zu jagen. Denn das Wildtier passe nicht in die Gegend mit dichter Besiedelun­g und Viehwirtsc­haft. Der Wolf, er wird zum Streitfall, bevor er sich überhaupt im Freistaat angesiedel­t hat.

Es ist, wie so oft im Leben, eine Frage des Standpunkt­s: Naturschüt­zer freuen sich, dass die Tiere, die in Deutschlan­d lange als ausgestorb­en galten, zurückkehr­en. Jäger und Landwirte hingegen sind besorgt. „Am wenigsten dafür kann der Wolf selbst, der kann einem glatt leidtun“, sagt Basigkow, der trotz allem fasziniert scheint von den Tieren. Gleich mehrere Videos von Wolfsrudel­n zeigt er auf seinem Handy, und irgendwo zwischen den anderen Fotos muss auch noch ein Bild von einem gerissenen Tier sein, murmelt er und wischt über sein Smartphone. „Aber ich weiß nicht, ob man das hinbekommt, dauerhaft ohne Probleme mit dem Wolf zu leben.“

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Foto: Sandra Liermann Ein Schild, das zum Politikum wurde: Jäger in Brandenbur­g warnen Hundebesit­zer und Eltern vor dem Wolf.

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