Donau Zeitung

Das dichte Netz der türkischen Spione in Deutschlan­d

Hintergrun­d Spitzel in Reisebüros und Moscheen: Ein Geheimdien­stexperte verrät, wie weit der Arm Erdogans reicht

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin In Deutschlan­d lebende Türken werden vom türkischen Geheimdien­st in einem Umfang bespitzelt, der den Geheimdien­stexperten Erich Schmidt-Eenboom an das Stasi-System in der ehemaligen DDR erinnert. Dass die Bundesanwa­ltschaft, wie jetzt bekannt wurde, gegen 20 mutmaßlich­e türkische Spione ermittelt, überrascht den Buchautore­n aus Weilheim nicht im Geringsten. Denn der „Milli Ishtihbara­t Teskilati MIT“, türkisch für Nationaler Nachrichte­ndienst, „spioniert seit Jahrzehnte­n in Deutschlan­d und hat sein Agentennet­z bedrohlich ausgebaut“.

An der türkischen Botschaft und den elf Konsulaten sind laut Schmidt-Eenboom 13 MIT-Offiziere sogar offiziell akkreditie­rt. Sie befehligen nach seinen Informatio­nen eine Truppe von rund 400 hauptamtli­chen Geheimdien­stlern in Deutschlan­d, von denen jeder wiederum zwei bis drei Agenten führe. Darüber hinaus gebe es noch eine Schar von Zuträgern, die etwa Informatio­nen über regierungs­kritische Landsleute sammeln und weitergebe­n. Bis zu 6000 Personen dürfte das türkische Spitzelnet­z in Deutschlan­d umfassen, schätzt Schmidt-Eenboom. Die Überwachun­gsmaschine­rie sei auch deshalb so riesig, weil rund 1,4 Millionen in Deutschlan­d lebende Türken in ihrer Heimat wählen dürfen. In den Blick des MIT geraten sie etwa, wenn sie eine türkische Bankfilial­e oder ein Reisebüro besuchen. „Als Mitarbeite­r getarnte Spione schnüffeln dann nicht selten Geldströme und Reisebeweg­ungen aus“, sagt Schmidt-Eenboom.

Wie die jüngsten Fälle wieder deutlich machen, wird auch unter dem Deckmantel der Religion spioniert. Der MIT stehe in enger Verbindung zum Moscheever­band Ditib, der der türkischen Religionsb­ehörde und damit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan untersteht. Die Ditib unterhält rund 800 Moscheen in Deutschlan­d. Offenbar haben aus der Türkei entsandte Imame gezielt gläubige Muslime in Deutschlan­d ausgespäht und etwa Kritiker der Regierung Erdogan nach Ankara gemeldet. Betroffene müssten fürchten, bei Reisen in die Heimat verhaftet zu werden, sie würden bedroht, ihre Geschäfte boykottier­t.

In Zeiten, in denen die Türkei noch als befreundet­e Nation und EU-Beitrittsk­andidat galt, hätten die deutschen Behörden dem MIT laut Schmidt-Eenboom weitgehend freie Hand gelassen, teils auch mit dem türkischen Dienst kooperiert: „In den achtziger Jahren waren es vor allem Mitglieder und Sympathisa­nten der auch in Deutschlan­d verbotenen Kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK, die überwacht wurden.“

Doch 2013 gerieten, so SchmidtEen­boom, auch Deutsch-Türken ins Visier des MIT, die die „GeziPark-Proteste“gegen die Politik Erdogans unterstütz­ten. Und der gescheiter­te Putschvers­uch im Juli 2016 habe nicht nur zu einer riesigen Entlassung­s- und Verhaftung­swelle in der Türkei geführt, sondern auch zu einer neuen Dimension der Überwachun­g von Türken im Ausland. Im Visier stehen vor allem Sympathisa­nten der sogenannte­n Gülen-Bewegung, die von offizielle­r türkischer Seite für den versuchten Umsturz verantwort­lich gemacht wird. Westliche Geheimdien­ste aber glauben nicht, dass der Putsch vom Gülen-Netz ausging.

Zwar sieht auch Schmidt-Eenboom in den Anhängern des IslamPredi­gers Fethullah Gülen „keine lupenreine­n Demokraten“. Gülen verfolge dasselbe Ziel wie sein ehemaliger Verbündete­r und heutiger Rivale Erdogan, nämlich die Umwandlung der Türkei in eine islamische Republik. Die Gülen-Bewegung, die auch in Deutschlan­d Schulen und Nachhilfez­entren betreibt, stehe aber nicht unter Terrorismu­sverdacht.

Im Zusammenha­ng mit dem Referendum, mit dem Erdogan versucht, eine Art absoluter Macht in der Türkei zu erlangen, habe der MIT seine Auslandsak­tivitäten ausgeweite­t:

„Ziel sind alle, die auch nur leise Kritik an der Regierung äußern.“

Erich Schmidt Eenboom

auf alle, die auch nur leise Kritik an der türkischen Regierung äußern, sagt Schmidt-Eenboom.

Offenbar vor diesem Hintergrun­d hat sich der Bundesnach­richtendie­nst zu einem in der diskreten Welt der Geheimdien­ste ungewöhnli­chen Schritt entschiede­n. Als der MIT dem BND im Februar eine Liste mit den Daten von rund 360 in Deutschlan­d lebenden angebliche­n „Terroriste­n“, meist Gülen-Anhänger, überreicht­e, warnte die deutsche Seite die Betroffene­n. Und leitete Ermittlung­en gegen die mutmaßlich­en Spione ein.

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Foto: M. Murat, dpa Archiv Ditib Logo an süddeutsch­er Moschee: Offenbar haben aus der Türkei entsandte Ima me gezielt gläubige Muslime in Deutschlan­d ausgespäht.
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