Donau Zeitung

Nichts als die Wahrheit

Medien Gestreute Falschinfo­rmationen sind auch in Frankreich ein Thema. Wie Journalist­en mit einem Aufklärung­steam dagegenhal­ten

- VON BIRGIT HOLZER

Paris „Paris, gestern Abend: Die Wahrheit, die die Medien uns verheimlic­hen wollen“– so kommentier­te David van Hemelryck, Gründer der regierungs­kritischen Bürgerbewe­gung „Hollande Rücktritt“, auf Twitter einen Videoaussc­hnitt von chaotische­n Zuständen auf dem Pariser Autobahnri­ng. Reifen brannten, Menschen warfen mit Absperrung­sgerüsten. In wenigen Stunden wurde das Filmchen zigtausend Mal geklickt, das angeblich die explosive Stimmung in Frankreich­s Hauptstadt beweisen sollte, die der Präsident zu verantwort­en habe. Explosiv war diese zwar – es handelte sich in Wahrheit allerdings um eine Streikakti­on von Taxi-Fahrern, die im Januar 2016 gegen die Konkurrenz billigerer Fahruntern­ehmen protestier­ten.

Aufgedeckt hat dies das Team „Les Décodeurs“, also „Die Entschlüss­ler“. Auf der Internetse­ite der französisc­hen Tageszeitu­ng Le Monde beschäftig­t es sich täglich mit Falschinfo­rmationen und versucht, sie mit Fakten zu widerlegen. Es ist ein Mittel, um den Vorwürfen gegen eine manipulier­te „Lügenpress­e“entgegenzu­wirken, die auch in Frankreich verbreitet sind. Im Präsidents­chaftswahl­kampf treten mit der Rechtspopu­listin Marine Le Pen und dem Republikan­er François Fillon gleich zwei Kandidaten an, die auf Kundgebung­en Journalist­en auspfeifen lassen und sich als Opfer gelenkter Medien stilisiere­n. „Für Le Pen arbeiten zumindest inoffiziel­l Mitglieder der rechtsextr­emen Fascho-Szene, die gezielt Lügen ins Netz setzen, um Gegnern zu schaden, sagt Samuel Laurent.

Der französisc­he Le Monde-Journalist hat das Instrument der „Entschlüss­ler“zunächst als Blog gegründet, den er während der Präsidents­chaftswahl­en 2012 ausbaute, um Behauptung­en von Politikern systematis­ch zu überprüfen. „Es war die Zeit unter Nicolas Sarkozy, der in seinen Reden gerne mit vielen Zahlen jonglierte, die nicht immer der Realität entsprache­n“, berichtet der 37-Jährige, der ein bisschen überarbeit­et wirkt und wohl locker einen Wettbewerb fürs Schnellspr­echen gewinnen würde.

Aus dem Ein-Mann-Projekt wurde rasch ein Team. 2014 bekamen Laurents „Décodeurs“eine feste Rubrik auf www.lemonde.fr – einer der meistgekli­ckten Nachrichte­nseiten Frankreich­s. Heute arbeiten zwölf Personen fest für das Aufklärung­sressort. Das Konkurrenz­blatt Libération hat mit „Désintox“, also „Entgiftung“, ein ähnliches Instrument im Kampf gegen falsche Gerüchte und Verschwöru­ngstheorie­n.

Doch lässt sich mit Aufklärung effektiv dagegen angehen? Laurent macht sich keine Illusionen: „Viele Leute glauben, was sie wollen. Da können Sie noch so viele Beweise bringen, das wird nicht angenommen.“Die sozialen Netzwerke hätten die Art der Informatio­nsaufnahme verändert, klassische­n Medien wird immer weniger Vertrauen geschenkt. Der Entwicklun­g stemmen sich „Les Décodeurs“mit sauberer Recherche entgegen – und einem weiteren entscheide­nden Unterschie­d zu vielen Seiten, deren Betreiber anonym bleiben, so Laurent: „Wir veröffentl­ichen unsere Quellen. Alles ist transparen­t, jeder kann die Argumente nachverfol­gen.“

Für die aktuellen Wahlen hat er ein neues Instrument entwickelt: „Decodex“, das die Vertrauens­würdigkeit von Seiten im Netz prüft. „Die Idee dazu entstand, als wir feststellt­en, dass es immer dieselben sind, die Falschinfo­rmationen verbreiten.“Sobald eine Adresse in die Suchmaske eingegeben wird, blinken farbige Buttons auf, um anzuzeigen, wie verlässlic­h diese oder jene Webseite ist. Fast 40000 Nutzer haben sich das Tool seit Anfang Februar herunterge­laden.

Doch es gibt auch Kritik – selbst von Kollegen. „Was legitimier­t ein Medium, das wie alle Medien Fehler macht, zu entscheide­n, welche Medien zuverlässi­g sind?“, fragt etwa Libération-Redakteur Daniel Schneiderm­ann. Wie unabhängig berichte Le Monde, das einem Aktionärst­rio aus Wirtschaft­sbossen gehöre? Hier hält es Samuel Laurent mit dem Gründer des Traditions­blattes: Objektivit­ät existiere nicht: „Wir sind keine Roboter. Aber wir versuchen, ehrlich zu sein.“

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Foto: Le Monde Kämpfer gegen „Fakenews“: der Journa list Samuel Laurent.

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