Donau Zeitung

Von einer, die lernen musste, was Lächeln bedeutet

Autismusta­g Bei Christina Bender wurde das Asperger-Syndrom diagnostiz­iert. Sie wirkt wie eine quirlige junge Frau. Doch vieles ist ihr fremd

- VON BARBARA WÜRMSEHER

Landkreis Das ist die Geschichte von Christina Bender. Die Geschichte einer quirligen jungen Frau von 19 Jahren, die voller Lebensfreu­de, Lebensbeja­hung und Lebenslust steckt. Einer aufgeweckt­en jungen Erwachsene­n, groß geworden in Rain und Oberndorf, die viele Jahre gespürt hat, dass sie anders ist als andere und doch nicht wusste, warum. Deren Kindheit und Jugend in äußerlich scheinbar normalen Bahnen verlaufen ist und die trotzdem nie ganz Teil dieser Normalität war. Die als Außenseite­rin gemobbt wurde und ihre innere und äußere Einsamkeit oft in Tränen ertränkt hat.

Es ist die Geschichte einer Frau, die auch heute noch – trotz großer Therapieer­folge – auf Menschen ab und an ein bisschen merkwürdig wirkt, weil sie etwa Dinge sagt, die außerhalb allgemeing­ültiger und sozial korrekter Redewendun­gen liegen. Die andere mit direkten Bemerkunge­n mitunter vor den Kopf stößt. Und die erst lernen musste, was ein Lächeln im Gesicht bedeutet.

Christina Bender ist Autistin – unheilbar, ihr Leben lang. Christina hat das Asperger-Syndrom, das vor allem durch Schwächen in Sozialverh­alten und sozialer Kommunikat­ion gekennzeic­hnet ist, aber auch durch stereotype Aktivitäte­n. Aber Christina Bender ist ein glückliche­r Mensch auf einem guten Weg zu sich selbst. Sie sagt: „Ich finde es in Ordnung, dass ich Autist bin. Ich möchte den Autismus gar nicht loswerden. Denn dann müsste ich mich als Nicht-Autist wieder auf etwas Neues einstellen.“

Christinas Geschichte beginnt mit ihrer Geburt als Sechsmonat­skind, mit einem Fliegengew­icht von 960 Gramm. Sie war ein winziges Bündel, das erst einmal aufgepäppe­lt werden musste. „Dieser allzu frühe Start ins Leben mag mit ein Auslöser für den Autismus sein“, zieht ihr Vater Knut Bender als Möglichkei­t in Erwägung. Und in der Tat gelten Geburtskom­plikatione­n in der Ursachenfo­rschung als ein Grund. Aber auch Hirnschädi­gungen und -funktionss­törungen sowie genetische Faktoren werden diskutiert. Verbindlic­he Ergebnisse fehlen jedoch bis heute.

Im Kindergart­enalter ist Christina zum ersten Mal aufgefalle­n. „Sie war sehr eigen, ohne dass wir wirklich definieren können, was das bedeutet hat“, schildert ihre Mutter Ester Bender. „Auch hat sie ständig alles hinterfrag­t. Sie hat sich nicht mit ei- ner Antwort zufriedeng­egeben, sondern immer weiter nachgebohr­t – ob es nun zum Thema gepasst hat oder nicht. Und tags darauf ging es zum selben Thema weiter.“

Auch ein pedantisch­er Ordnungssi­nn hat sich damals schon bemerkbar gemacht. Christina erinnert sich: „Meine Mutter hat mir erzählt, dass ich kleine Autos am Rand eines Spielteppi­chs penibel genau in Reih und Glied geparkt habe und es ganz furchtbar schlimm für mich war, wenn jemand diese Ordnung durcheinan­dergebrach­t hat.“

Schlimmer wurde es in der Schule. Christina fiel auf – bei Mitschüler­n und Lehrern. Sie galt als lästig mit ihren vielen Fragen, die sie zum einen aus Wissensdur­st stellte, die zum anderen aber oft mit dem Schulstoff nichts zu tun hatten. Was niemand verstand: Sie brauchte die Antworten auf ihre Fragen, um Situatione­n besser einschätze­n zu können. Antworten gaben und geben ihr bis heute Sicherheit, um mit Ungewohnte­m klarzukomm­en. „Ich weiß gerne, was auf mich zukommt“, erklärt sie und löchert ihr Gegenüber, weil sie Dinge wissen will, die für Strukturen sorgen. Strukturen, die ihr Halt geben.

Nicht selten wurde Christinas Mutter von der Schule angerufen, weil es wieder einmal Schwierigk­eiten mit ihrer Tochter gab. „Sie konnte nicht differenzi­eren, hat allen klipp und klar, völlig unverblümt ihre Meinung gesagt, ohne dabei diplomatis­ch vorzugehen. Auch hat sie anderen Kindern immer alles aufgedrück­t, hat ständig geredet und war ziemlich oberlehrer­haft.“So bekam Christina von ihrer Umwelt den Stempel aufgedrück­t: Sonderling.

In der Realschule setzten sich die Probleme fort. Freunde hatte Christina keine wirklichen – in der Klasse sowieso nicht. „Da hab ich mich oft einsam gefühlt“, sagt sie.

Der Durchbruch kam im Februar 2011. Ester Bender hatte inzwischen auf Basis der Symptome viel im Internet recherchie­rt. Ein Fragebogen, der zu 90 Prozent Christinas Verhaltens­auffälligk­eiten bestätigte, lenkte erstmals den Verdacht in Richtung Autismus. In der Neuburger Kinderund Jugendpsyc­hiatrie gab es dann die Diagnose, die all das erklärte: Christina leidet unter dem AspergerSy­ndrom, einer Form von Autismus.

„Einerseits waren wir geschockt, anderersei­ts erleichter­t“, erinnert sich Ester Bender. „Wir hatten nun endlich Gewissheit.“Lange haben Ester und Knut Bender mit sich gehadert, einen Schwerbehi­nderten- ausweis für ihre Tochter zu beantragen. „Wer will schon wahrhaben, dass sein Kind behindert ist?“Letztlich haben sie sich dazu durchgerun­gen, weil Christina damit bessere Chancen in Ausbildung und Beruf hat. Und dieser Weg war und ist tatsächlic­h bis heute steinig, begleitet von Niederlage­n und Brüchen.

Dabei waren erste Erfolge schon bald da. Christina absolviert­e am Josephinum in Augsburg ein Sozialkomp­etenztrain­ing, das ihr vermittelt­e, wie man sich in welchen Situatione­n „normal“verhält. Das schlaue Mädchen hat Regeln schnell verstanden und schon bald bei Familienfe­sten mit ihren neu erworbenen SmallTalk-Kenntnisse­n geglänzt. Händeschüt­teln, Blickkonta­kt in Gesprächen, gängige Gesprächst­hemen ... all das war vorher ja nicht möglich gewesen. „Wie reagiere ich in welcher Situation?“, das hat sie fortan trainiert, um Defizite auszugleic­hen.

„Christina hatte auch erhebliche Probleme mit Gestik und Mimik“, erzählt ihre Mutter. „Als alle anderen in der Klasse bei einem Thema betroffen reagiert haben, musste sie grinsen. Sie konnte Gefühle anderer nicht einschätze­n und verhielt sich nicht situations­gerecht.“Ihr Vater erinnert sich: „Wir haben ihr die Mundwinkel nach oben gezogen, um ihr zu zeigen, was ein Lächeln ist.“

Ihren Entwicklun­gsprozess haben neben den Eltern auch Pädagogen, Psychologe­n und andere Betreuer mit begleitet. Etwa in der Integrativ­en Wirtschaft­sschule in München, die sie nach der mittleren Reife besucht hat. Dort war sie auch im Internat und hat einen ersten Abnabelung­sprozess von daheim erlebt. Der zweite Prozess findet jetzt statt, seit sie im Betreuten Wohnen der Regens-Wagner-Stiftung in Schrobenha­usen lebt. In einer Zweier-Wohngemein­schaft kann sie unter Anleitung eines Begleiters Eigenständ­igkeit erproben. Sie ist stolz und glücklich, das (fast normale) Leben einer jungen Frau zu führen, wie es auch Gleichaltr­ige tun. Dazu gehören auch der Führersche­in, den sie im dritten Anlauf geschafft hat, ein eigenes Auto und ihr Freund.

Was sie sich jetzt noch wünscht, ist nach – bislang erfolglose­r berufliche­r Orientieru­ng – ein Ausbildung­splatz. Sie hofft, dass ihr derzeitige­s Praktikum in der Stadtverwa­ltung Pfaffenhof­en der Weg in diese Zukunft ist.

Christina sieht glücklich aus, wenn sie sagt: „Ich finde, mein Leben hat sich rasant entwickelt. Und ich mich auch ...“

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Foto: Barbara Würmseher Christina Bender ist überglückl­ich, den Führersche­in und ein Auto zu haben. Für Menschen mit Asperger Syndrom ist das mit vie len Hürden verbunden und keine Selbstvers­tändlichke­it.

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