Von einer, die lernen musste, was Lächeln bedeutet
Autismustag Bei Christina Bender wurde das Asperger-Syndrom diagnostiziert. Sie wirkt wie eine quirlige junge Frau. Doch vieles ist ihr fremd
Landkreis Das ist die Geschichte von Christina Bender. Die Geschichte einer quirligen jungen Frau von 19 Jahren, die voller Lebensfreude, Lebensbejahung und Lebenslust steckt. Einer aufgeweckten jungen Erwachsenen, groß geworden in Rain und Oberndorf, die viele Jahre gespürt hat, dass sie anders ist als andere und doch nicht wusste, warum. Deren Kindheit und Jugend in äußerlich scheinbar normalen Bahnen verlaufen ist und die trotzdem nie ganz Teil dieser Normalität war. Die als Außenseiterin gemobbt wurde und ihre innere und äußere Einsamkeit oft in Tränen ertränkt hat.
Es ist die Geschichte einer Frau, die auch heute noch – trotz großer Therapieerfolge – auf Menschen ab und an ein bisschen merkwürdig wirkt, weil sie etwa Dinge sagt, die außerhalb allgemeingültiger und sozial korrekter Redewendungen liegen. Die andere mit direkten Bemerkungen mitunter vor den Kopf stößt. Und die erst lernen musste, was ein Lächeln im Gesicht bedeutet.
Christina Bender ist Autistin – unheilbar, ihr Leben lang. Christina hat das Asperger-Syndrom, das vor allem durch Schwächen in Sozialverhalten und sozialer Kommunikation gekennzeichnet ist, aber auch durch stereotype Aktivitäten. Aber Christina Bender ist ein glücklicher Mensch auf einem guten Weg zu sich selbst. Sie sagt: „Ich finde es in Ordnung, dass ich Autist bin. Ich möchte den Autismus gar nicht loswerden. Denn dann müsste ich mich als Nicht-Autist wieder auf etwas Neues einstellen.“
Christinas Geschichte beginnt mit ihrer Geburt als Sechsmonatskind, mit einem Fliegengewicht von 960 Gramm. Sie war ein winziges Bündel, das erst einmal aufgepäppelt werden musste. „Dieser allzu frühe Start ins Leben mag mit ein Auslöser für den Autismus sein“, zieht ihr Vater Knut Bender als Möglichkeit in Erwägung. Und in der Tat gelten Geburtskomplikationen in der Ursachenforschung als ein Grund. Aber auch Hirnschädigungen und -funktionsstörungen sowie genetische Faktoren werden diskutiert. Verbindliche Ergebnisse fehlen jedoch bis heute.
Im Kindergartenalter ist Christina zum ersten Mal aufgefallen. „Sie war sehr eigen, ohne dass wir wirklich definieren können, was das bedeutet hat“, schildert ihre Mutter Ester Bender. „Auch hat sie ständig alles hinterfragt. Sie hat sich nicht mit ei- ner Antwort zufriedengegeben, sondern immer weiter nachgebohrt – ob es nun zum Thema gepasst hat oder nicht. Und tags darauf ging es zum selben Thema weiter.“
Auch ein pedantischer Ordnungssinn hat sich damals schon bemerkbar gemacht. Christina erinnert sich: „Meine Mutter hat mir erzählt, dass ich kleine Autos am Rand eines Spielteppichs penibel genau in Reih und Glied geparkt habe und es ganz furchtbar schlimm für mich war, wenn jemand diese Ordnung durcheinandergebracht hat.“
Schlimmer wurde es in der Schule. Christina fiel auf – bei Mitschülern und Lehrern. Sie galt als lästig mit ihren vielen Fragen, die sie zum einen aus Wissensdurst stellte, die zum anderen aber oft mit dem Schulstoff nichts zu tun hatten. Was niemand verstand: Sie brauchte die Antworten auf ihre Fragen, um Situationen besser einschätzen zu können. Antworten gaben und geben ihr bis heute Sicherheit, um mit Ungewohntem klarzukommen. „Ich weiß gerne, was auf mich zukommt“, erklärt sie und löchert ihr Gegenüber, weil sie Dinge wissen will, die für Strukturen sorgen. Strukturen, die ihr Halt geben.
Nicht selten wurde Christinas Mutter von der Schule angerufen, weil es wieder einmal Schwierigkeiten mit ihrer Tochter gab. „Sie konnte nicht differenzieren, hat allen klipp und klar, völlig unverblümt ihre Meinung gesagt, ohne dabei diplomatisch vorzugehen. Auch hat sie anderen Kindern immer alles aufgedrückt, hat ständig geredet und war ziemlich oberlehrerhaft.“So bekam Christina von ihrer Umwelt den Stempel aufgedrückt: Sonderling.
In der Realschule setzten sich die Probleme fort. Freunde hatte Christina keine wirklichen – in der Klasse sowieso nicht. „Da hab ich mich oft einsam gefühlt“, sagt sie.
Der Durchbruch kam im Februar 2011. Ester Bender hatte inzwischen auf Basis der Symptome viel im Internet recherchiert. Ein Fragebogen, der zu 90 Prozent Christinas Verhaltensauffälligkeiten bestätigte, lenkte erstmals den Verdacht in Richtung Autismus. In der Neuburger Kinderund Jugendpsychiatrie gab es dann die Diagnose, die all das erklärte: Christina leidet unter dem AspergerSyndrom, einer Form von Autismus.
„Einerseits waren wir geschockt, andererseits erleichtert“, erinnert sich Ester Bender. „Wir hatten nun endlich Gewissheit.“Lange haben Ester und Knut Bender mit sich gehadert, einen Schwerbehinderten- ausweis für ihre Tochter zu beantragen. „Wer will schon wahrhaben, dass sein Kind behindert ist?“Letztlich haben sie sich dazu durchgerungen, weil Christina damit bessere Chancen in Ausbildung und Beruf hat. Und dieser Weg war und ist tatsächlich bis heute steinig, begleitet von Niederlagen und Brüchen.
Dabei waren erste Erfolge schon bald da. Christina absolvierte am Josephinum in Augsburg ein Sozialkompetenztraining, das ihr vermittelte, wie man sich in welchen Situationen „normal“verhält. Das schlaue Mädchen hat Regeln schnell verstanden und schon bald bei Familienfesten mit ihren neu erworbenen SmallTalk-Kenntnissen geglänzt. Händeschütteln, Blickkontakt in Gesprächen, gängige Gesprächsthemen ... all das war vorher ja nicht möglich gewesen. „Wie reagiere ich in welcher Situation?“, das hat sie fortan trainiert, um Defizite auszugleichen.
„Christina hatte auch erhebliche Probleme mit Gestik und Mimik“, erzählt ihre Mutter. „Als alle anderen in der Klasse bei einem Thema betroffen reagiert haben, musste sie grinsen. Sie konnte Gefühle anderer nicht einschätzen und verhielt sich nicht situationsgerecht.“Ihr Vater erinnert sich: „Wir haben ihr die Mundwinkel nach oben gezogen, um ihr zu zeigen, was ein Lächeln ist.“
Ihren Entwicklungsprozess haben neben den Eltern auch Pädagogen, Psychologen und andere Betreuer mit begleitet. Etwa in der Integrativen Wirtschaftsschule in München, die sie nach der mittleren Reife besucht hat. Dort war sie auch im Internat und hat einen ersten Abnabelungsprozess von daheim erlebt. Der zweite Prozess findet jetzt statt, seit sie im Betreuten Wohnen der Regens-Wagner-Stiftung in Schrobenhausen lebt. In einer Zweier-Wohngemeinschaft kann sie unter Anleitung eines Begleiters Eigenständigkeit erproben. Sie ist stolz und glücklich, das (fast normale) Leben einer jungen Frau zu führen, wie es auch Gleichaltrige tun. Dazu gehören auch der Führerschein, den sie im dritten Anlauf geschafft hat, ein eigenes Auto und ihr Freund.
Was sie sich jetzt noch wünscht, ist nach – bislang erfolgloser beruflicher Orientierung – ein Ausbildungsplatz. Sie hofft, dass ihr derzeitiges Praktikum in der Stadtverwaltung Pfaffenhofen der Weg in diese Zukunft ist.
Christina sieht glücklich aus, wenn sie sagt: „Ich finde, mein Leben hat sich rasant entwickelt. Und ich mich auch ...“