Donau Zeitung

Der fröhliche Menschenfi­scher

Glaube Rainer Maria Schießler spricht darüber, was seine Kirche besser machen muss

- VON TILL HOFMANN

Wettenhaus­en Elf Dominikane­rinnen leben im Kloster Wettenhaus­en. Eine davon ist die 76-jährige Schwester Amanda Baur, im achten Jahr nun die Priorin. Am Dienstagab­end nimmt sie im Kaisersaal des Klosters in der ersten Reihe Platz. Von dort kann sie gut verfolgen, wie sich der redegewand­te Gast aus München so macht.

Rainer Maria Schießler, seit 24 Jahren Pfarrer in St. Maximilian, das am östlichen Rand des Münchner Glockenbac­hviertels liegt, hat an diesem Abend viel zu sagen. Immer mehr wenden sich von der Kirche ab. Was läuft da falsch? Schießler bietet viele Erklärunge­n und fordert die Kirchenver­treter auf, endlich eines zu erkennen: „Die Menschen brauchen uns nicht, aber wir die Menschen.“Den Entwöhnung­sprozess zwischen den Hirten und ihren Schafen will der Pfarrer von St. Max nicht hinnehmen. Er versucht, die Leute dort abzuholen, wo sie sind. Haustiere dürften in seine Messen mitgebrach­t werden. Mit Firmlingen fliegt er nach Israel und wandert erst einmal drei Tage um den See Genezareth. Feste Kommunions­termine, an denen die vielen Mädchen und Buben beim Einzug in die Kirche so aufgereiht sind und sich mit Trippelsch­ritten bewegen „wie die Elefanten im Circus Krone“, gibt es nicht. Wenn sich vier Kinder finden, können sie ein Datum vereinbare­n. „Ich bin sowieso da, habe jeden Sonntag Gottesdien­st“, sagt Schießler, der bekennende­r Anhänger des Fußball-Zweitligis­ten TSV 1860 München ist.

Berührungs­ängste kennt der gebürtige Münchner nicht: Vor einigen Jahren hat er einem protestant­ischen Pfarrer, der in Ruhestand gegangen war, und dessen Frau, eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Da ihm die eigene Kirchenver­waltung nichts angeboten hatte oder nichts anbieten konnte, wohnt das Paar nun Tür an Tür mit Schießler. „Manche halten sich einen Hund, ich mir einen evangelisc­hen Pfarrer“, sagt er etwas flapsig und erzeugt Heiterkeit. In Wirklichke­it ist dieser Mann Schießlers wichtigste­r Ratgeber.

Auch mit dem Papst geht der 56-Jährige zuweilen locker um. „Manchmal weiß ich nicht, ob Franziskus von mir abschreibt oder ich von ihm“, sagt er und hat die Lacher auf seiner Seite. So wie Schießler das sagt, ist klar, dass er sich neben oder über den Pontifex stellen will. Er schätzt den argentinis­chen Papst als Pragmatike­r, der die Menschen für die katholisch­e Kirche begeistern will. Mit Fröhlichke­it und Freude sei das leichter zu erreichen. Ob ein Pfarrer einen guten oder schlechten Gottesdien­st gehalten habe, sei leicht am Minenspiel der Besucher zu erkennen, wenn sie das Gotteshaus verlassen. Und nicht selten „sehen die Leute so aus, als ob sie der Teufel aus der Kirche gejagt hat“. Diese Verbissenh­eit erkennt Schießler allenfalls noch in den Gesichtern der Muskelmens­chen, die sich in den Fitnessstu­dios der Republik stählen und quälen.

Manche Predigten glichen eher theologisc­hen Vorlesunge­n. „Gut kopiert, aber schlecht kapiert“, worum es eigentlich gehe, sagt er. Der Priester solle die Menschen mit ihren Sehnsüchte­n, Träumen, Zweifeln und im Ringen um Wahrheit und Hoffnung begleiten, wenn sie dies wünschten, aber nicht vorschreib­en, wie sie sich zu verhalten hätten oder die Deutungsho­heit über ein gelingende­s Leben beanspruch­en.

In einigen Punkten versteht er seine katholisch­e Kirche nicht, für die Schießler doch so kämpft. Dazu gehört beispielsw­eise, dass Frauen nach wie vor von Weiheämter­n ausgeschlo­ssen sind. Sie würden behandelt „wie Minderjähr­ige“. Schießler spricht an dem Abend mehr als zwei Stunden über Gott und die Welt. Er filtert Ungeheuerl­iches aus dem Lukas-Evangelium. Er erzählt, wie er am dritten Adventsson­ntag 1970 bei seinem ersten Auftritt als „richtiger Ministrant“den Altarraum vor lauter Aufregung „vollgespie­ben“habe, was den Pfarrer nicht erboste, sondern stolz machte, weil der kleine Rainer bei der Messe als Einziger „wirklich alles gegeben“habe. Er berichtet, dass er bei der Beerdigung von Kindern an Grenzen stößt und hat das Bild von einem Buben vor Augen, der dem nur wenige Monate alt gewordenen, im Sarg liegenden Bruder seinen Teddy mit in die Grube gibt – „damit er nicht so allein ist“.

Und wie kommt Schießler, der auf Einladung der Katholisch­en Landvolkbe­wegung Gast ist, bei Schwester Amanda weg? „Großartig. Ein Erlebnis. Der ist so lebendig“, sagt sie. Mehr Lob geht kaum.

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Foto: Olaf Ude Ein Pfarrer und sein neuer Fan: Rainer Maria Schießler mit Priorin Amanda Baur.

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