Muss Altmaier jetzt zurücktreten?
Parteien Liberale nennen neue Rolle des Kanzleramtschefs als CDU-Wahlkämpfer verfassungswidrig
Berlin Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat schon 40 Jahre auf dem Buckel. Doch an Aktualität hat es nichts verloren. Am 2. März 1977 hatten die Karlsruher Hüter der Verfassung eine strikte Trennung von Regierungsarbeit und Wahlkampf angemahnt. Es sei Staatsorganen „von Verfassung wegen versagt, sich in amtlicher Funktion im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren“, urteilten sie. Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit werde verletzt, „wenn Staatsorgane als solche parteiergreifend zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern in den Wahlkampf einwirken“.
In dem Urteil von 1977 ging es primär um die Wahlwerbung. So urteilten die Richter, dass sich die Regierung im Wahlkampf mit Broschüren, Leistungsberichten oder Erfolgsberichten zurückhalten müsse. Aber gilt diese vom Verfassungsgericht geforderte Zurückhaltung auch für die Mitglieder der Regierung?
Ja, meint die FDP, und übt massive Kritik an der Entscheidung, dass Kanzleramtsminister Peter Altmaier eine zentrale Rolle bei der Erarbeitung des CDU-Wahlprogramms spielt und dafür ein eigenes Büro im Adenauer-Haus erhält. Die Liberalen fordern gar seinen Rücktritt als Chef der Regierungszentrale. „Wenn der Kanzleramtschef Wahlkampfmanager der CDU wird, muss er sein Regierungsamt aufgeben“, sagt der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki. „Denn die Verquickung von Regierungsamt und parteipolitischer Betätigung, insbesondere in Wahlkampfzeiten, ist eklatant verfassungswidrig.“
Auch beim Koalitionspartner SPD gibt es massive Bedenken mit Blick auf die neue Rolle Altmaiers, der eigentlich als Kanzleramtsminister für die Koordinierung der Unionsund SPDgeführten Ministerien zuständig ist. So ist es unter anderem seine Aufgabe, bei der Vorbereitung der Kabinettssitzungen eine moderierende, ausgleichende Funktion einzunehmen und die unterschiedlichen Interessen zu einer gemeinsamen Position der Bundesregierung zusammenzuführen. Diese Aufgabe sei unvereinbar mit seinem neuen Job als Wahlkämpfer, heißt es in der SPD. „Das ist eine unzulässige Verquickung von Partei- und Regierungsarbeit“, monierte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. „Es passt nicht zusammen, Koordinator der ganzen Koalition zu sein und gleichzeitig die Wahlkampfattacken auf den Koalitionspartner vorzubereiten.“ Und auch SPD-Generalsekretärin Katharina Barley nannte es „hochproblematisch, wenn Wahlkampf und zentrale Regierungskoordination miteinander vermengt werden“. In der CDU müsse die Anspannung wohl sehr groß sein, „wenn sich jetzt selbst Frau Merkel über gängige politische Spielregeln hinwegsetzt“. Die CDU wies diese Vorwürfe als unbegründet zurück. Peter Tauber bleibe in seiner Eigenschaft als Generalsekretär auch der Wahlkampfmanager der Partei, Altmaiers Aufgabe sei es lediglich, das Wahlprogramm zu erarbeiten und die Vorstellungen der CDU mit denen der bayerischen Schwesterpartei CSU zusammenzuführen, während Tauber weiterhin für die Planung und Organisation des Wahlkampfes zuständig sei.
Rückendeckung erhält die CDU auch vom Politikwissenschaftler Nils Diederich von der Freien Universität Berlin. Altmaiers Engagement sei weder rechtlich noch moralisch zu beanstanden, sagte der Parteienforscher. „Er ist in seiner Eigenschaft als Parteimitglied auch Mitglied der Regierung – insofern ist das völlig legitim.“Wichtig sei nur, dass das Ministerbüro nicht als Parteizentrale genutzt werde. „Man muss die beiden Rollen, die man ausführt, sachlich voneinander trennen.“Auch Angela Merkel könne jederzeit das CDU-Programm schreiben, „wenn sie Lust hätte“, sagt Diederich. „Das wäre auch legitim, obwohl sie Bundeskanzlerin ist.“Lediglich der Bundespräsident sei verpflichtet, über den Parteien zu stehen.