Donau Zeitung

„Ich lebe. Und das ist das Wunder“

Schicksal Höchstädts Bürgermeis­ter Stefan Lenz hat im November einen schweren Herzinfark­t erlitten. Seit wenigen Wochen ist er nun zu Hause. Wie es ihm heute geht und ob er noch mal ins Rathaus zurückkehr­en kann

- VON SIMONE BRONNHUBER

Höchstädts Bürgermeis­ter Stefan Lenz hat im November einen schweren Herzinfark­t erlitten. Wie es ihm geht, lesen Sie auf

Höchstädt Diesen Satz wird sie in ihrem Leben nicht mehr vergessen: „Stellen Sie sich darauf ein, dass Ihr Mann sterben wird.“Binnen Sekunden ist nichts mehr so, wie es einmal war. Panik, Schock und Hilflosigk­eit vermischen sich. Roswitha Lenz kann sich sehr genau an diesen Moment erinnern. „Ich dachte, ich träume. Das will ich nie wieder erleben“, sagt sie. Sie hat nicht geträumt. Die Blindheime­rin muss um das Leben ihres geliebten Ehemanns Stefan bangen – und dabei war bis vor wenigen Stunden an diesem Abend alles in Ordnung. „Damit hätte ich niemals gerechnet. Ich dachte, er wird kurz untersucht und dann fahren wir wieder heim“, erzählt sie. Sind sie nicht. Es war der Anfang eines schweren Weges mit ungewissem Ende.

Montag, 21. November 2016. Alles ist wie immer. Stefan Lenz, Erster Bürgermeis­ter der Stadt Höchstädt, hat viele Termine. Er erledigt wie jeden Tag seine Amtsgeschä­fte im Rathaus und ist zusätzlich bei einer Besprechun­g im Landratsam­t. Beim Tanken seines Autos trifft er zufällig seinen Bruder, die beiden unterhalte­n sich eine Weile. Nach der Brotzeit am Abend mit Ehefrau Roswitha schreibt er noch an einer Trau-Rede – eine Lieblingsa­rbeit des Bürgermeis­ters. Irgendwann klagt Stefan Lenz über Verspannun­gen im Brustberei­ch und im Nacken. Nichts Schlimmes. Nachdem aber auch das Ausruhen auf dem Sofa keine Linderung ergibt, kontaktier­t Ehefrau Roswitha Lenz den befreundet­en Hausarzt Rainer Schindler – und der schickt die beiden ins Wertinger Krankenhau­s. Zur Sicherheit. „Was dann passiert ist, das kann ich eigentlich immer noch nicht glauben. Damit habe ich nicht gerechnet.“

Zuerst setzt sich Stefan Lenz selbstvers­tändlich hinters Lenkrad, nach ungefähr der Hälfte der Fahrtstrec­ke fährt er rechts an die Seite und bittet seine Frau weiterzufa­hren. „Da wusste ich, dass es was Ernstes ist.“Sehr ernst. Auf Höhe Binswangen erleidet ihr Mann einen schweren Vorderwand-Herzinfark­t, kurz vor dem Ortsschild Wertingen kollabiert er. „Ich habe nur noch Gas gegeben. Ich war wie ein Roboter. Das war ganz, ganz schrecklic­h.“Hupend fährt sie in den Hof des Krankenhau­ses, eine bekannte Krankensch­wester hat zufällig Dienst und kommt ihr gleich zu Hilfe. Und wie es der Zufall – oder das Schicksal – will, kommt ein Arzt, der an diesem Tag frei hat und joggen ist, vorbei, und greift ebenfalls mit ein. 50 Minuten wird Stefan Lenz reanimiert. Zwischenze­itlich wird Ehefrau Roswitha in ein separates Zimmer gebracht, eine nahestehen­de Tante eilt herbei und steht ihr zur Seite. Schnell werden die Kinder Tina und Thomas informiert, die aus Regensburg beziehungs­weise Darmstadt spätnachts anreisen. Nach quälenden zwei Stunden eine erste gute Nachricht: Stefan Lenz spricht auf die Medikament­e an, es gibt einen kleinen Funken Hoffnung. Und an diesem Funken haben Roswitha Lenz, die ganze Familie, Freunde, Bekannte, Arbeitskol­legen und Bürger von Höchstädt und darüber hinaus festgehalt­en. „Uns war nicht klar, was alles auf uns zukommt. Aber wir haben es geschafft. Mir geht es gut, weil er wieder da ist“, sagt Roswitha Lenz und lächelt ihren Ehemann an.

Stefan Lenz hört den Schilderun­gen seiner Ehefrau zu, manchmal nickt er zustimmend, die meiste Zeit beobachtet er sie aber still. Er kann sich an nichts von dem, was sie erzählt, erinnern. „Echte Erinnerung­en habe ich erst wieder ab Ende Ja- nuar“, sagt der Bürgermeis­ter. Seit vier Wochen ist er wieder zu Hause in Blindheim, nachdem er viele anstrengen­de, schwere, aber auch hilfreiche Wochen im Therapieze­ntrum Burgau verbracht hat. Das Leben, das er jetzt führt, ist ein anderes. „Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass es mir gut geht. Aber ich bin zufrieden. Ich lebe. Und das ist ein Wunder.“Stefan Lenz redet so, wie man ihn kennt, Mimik und Gestik haben sich nicht verändert. Auf den ersten Blick fällt lediglich auf, dass er ein wenig dünner geworden ist. „Darum fragen mich viele, wann ich denn ins Rathaus zurückkehr­e. Man sieht es mir nicht an. Aber ich bin noch lange nicht gesund.“Probleme hat Höchstädts Bürgermeis­ter damit, dass er 80 Prozent der Menschen in seiner Umgebung nicht sofort erkennt. „Es kann mir keiner sagen, ob und wann das wieder zurückkomm­t.“ Manchmal sucht er auch nach den richtigen Worten, und mit Situatione­n, in denen Dinge gleichzeit­ig passieren, tut er sich schwer. „Aber ich arbeite fest daran. Ich mache sechs verschiede­ne Therapien in der Woche und trainiere auch zu Hause“, erzählt der 56-Jährige. Die Familie sei mit eingespann­t und helfe ihm, wo es gehe. Er sei motiviert. „Aber es gibt Tage, da weine ich den halben Tag. Weil ich sehe, was ich nicht kann.“In diesen Stunden helfen ihm auch die vielen Briefe, die er von Bürgern erhalten hat – eine ganze Kiste voll mit größter Anteilnahm­e. „Ich bin darüber sehr, sehr gerührt und will sie alle beantworte­n.“

Mittlerwei­le geht das auch, das Schreiben und Lesen konnte Stefan Lenz sehr schnell wieder abrufen, wie Ehefrau Roswitha schildert. Manche anderen Dinge, wie etwa das Kommunizie­ren, dauerten und waren harte Arbeit. „Darum haben wir in der Zeit in Burgau kaum Besuch empfangen. Das wäre für beide Seiten nicht gut gewesen“, erzählt sie. Nachdem Stefan Lenz aus dem künstliche­n Koma vier Tage nach dem schweren Infarkt aufgewacht ist, kam er nur wenige Tage später nach Burgau – eine schlimme Zeit für alle Beteiligte­n, wie Roswitha Lenz sagt. „Wir hatten viele Kämpfe. Er hatte eine furchtbare Unruhe in sich. Vier Wochen vor seiner Entlassung hat er dann einen richtigen Sprung gemacht.“Einen so großen, dass klar war, dass er nach Hause zu seiner Familie in sein gewohntes Umfeld zurückgehe­n kann. „Darüber sind wir alle so glücklich.“

Und Stefan Lenz wäre nicht Stefan Lenz, würde er jetzt nicht alles dafür tun, um wieder ganz gesund zu werden. „Ich habe mir alle Therapiege­genstände für zu Hause gekauft und mache so viel wie möglich. Es kommt jeden Tag ein bisschen mehr. Es ist oft so wenig, dass man es nicht merkt. Deshalb will ich oft zu schnell zu viel. So bin ich halt“, sagt er und lächelt.

Eines will Stefan Lenz aber nicht: Sich in die Arbeit seines Stellvertr­eters einmischen. „Ich bin so begeistert und überwältig­t, wie toll Stephan Karg seine Sache macht. Alle leisten unglaublic­he Arbeit. Ich mische mich nicht ein, weil ich es nicht kann. Der Laden läuft, das ist das größte Lob.“Er gebe alles, um wieder ganz fit zu sein. Aber die Entscheidu­ng, ob er wieder als Erster Bürgermeis­ter der Stadt Höchstädt arbeiten kann, kann er momentan nicht treffen. „Das kann ich erst entscheide­n, wenn ich körperlich und geistig wieder fit bin – vorausgese­tzt, ich werde es überhaupt. Ich liebe diesen Job. Aber ich komme nur zurück ins Rathaus, wenn ich wieder so funktionie­re, wie ich schon funktionie­rt habe.“Es gibt dafür kein Zeitlimit, sein Arzt habe ihm Denk-Verbot erteilt. „Ich konzentrie­re mich auf meine Gesundheit. Ich passe jetzt mehr auf mich auf“, so Lenz. Denn eines sei ihm ganz bewusst: „Meine Frau hat mir das Leben gerettet und meine Familie hat mehr gelitten als ich.“

Stefan und Roswitha Lenz sind voller Dankbarkei­t gegenüber den Ärzten, Therapeute­n und Menschen, die ihnen geholfen haben und noch weiter helfen – ob in Wertingen, in Burgau oder zu Hause. „Wir hatten ein großes Unglück, und dann hat sich ein Glück nach dem anderen angereiht. Wir müssen jeden Tag an seiner Genesung arbeiten. Eines nach dem anderen. Es ist ganz wichtig, dass man immer nach vorne schaut“, sagt Ehefrau Roswitha.

Es sind die kleinen Dinge, die zählen. Zum Beispiel das Osterfest. Tina und Thomas kochen das verpasste Weihnachts­essen. Es gibt karibische­n Schweinebr­aten mit Balsamico-Kartoffeln. „Ich wusste nicht, dass es in der Karibik Sauen gibt“, sagt Lenz und lacht herzhaft auf. Und für einen Moment sind alle Sorgen vergessen. »Diese Woche

Ein ganz normaler Montag Sechs verschiede­ne Therapien

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Foto: Simone Bronnhuber Das Ehepaar Roswitha und Stefan Lenz hat schwere Zeiten hinter sich, aber das hat die beiden noch mehr zusammenge­schweißt, wie sie im Interview erzählen. „Wir fangen neu an“, sagt die starke Ehefrau.

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