Donau Zeitung

Suchen, was nicht sichtbar ist

Sams Talk Der Direktor der Regens-Wagner-Stiftungen, Rainer Remmele, spricht über Ostern. Er erklärt, wie er die zentrale christlich­e Botschaft der Auferstehu­ng versteht. Und er rät den Menschen, den Fragen nach den letzten Dingen nicht auszuweich­en

-

Legt bei Ihnen an Ostern auch der Osterhase? Rainer Remmele: Eigentlich nicht. Aber als Kinder daheim in Illertisse­n durften wir auch Schokolade­neier im Garten suchen. Und natürlich haben wir auch ein Nest für den Osterhasen gebaut und geschmückt. Es ist einfach eine schöne Tradition, an Ostern etwas zu suchen, was da ist und doch nicht da ist, was wirklich ist, aber auf den ersten Blick doch nicht sichtbar ist.

Steckt für Sie da eine theologisc­he Botschaft drin? Remmele: Ja. Ostern hat mit Suchen zu tun. Am Ostermorge­n ist eben nichts mehr da, wo es hingehört. Der Tote ist nicht mehr im Grab. Alles ist anders. Während meines Studiums in Trier habe ich entdeckt, dass in der Moselgegen­d der Brauch, Dinge zu verziehen und zu verstecken, den es bei uns im Schwäbisch­en am 1. Mai gibt, in der Nacht zum Ostermonta­g gepflegt wird. Eine spannende Sache.

Für viele entwickelt sich Ostern zu einem zweiten Weihnachte­n. Es gibt Geschenke. Remmele: Das Schenken an Ostern hat für mich die Bedeutung des Fastenbrec­hens. Nach der intensiven 40-tägigen Fastenzeit haben wir Christen am Auferstehu­ngstag allen Grund dazu, das Leben in Fülle und mit allen Sinnen zu genießen. An Ostern muss ich auf nichts mehr verzichten.

Um was geht es an Ostern? Remmele: Ostern ist das zentrale Fest unseres christlich­en Glaubens. Wenn Jesus Christus nicht von den Toten auferstand­en wäre, würde heute seine Lebensgesc­hichte keinen von uns interessie­ren. Alle Evangelien beginnen letztlich mit der Botschaft: Jesus lebt. Ostern ist aus christlich­er Sicht der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Deshalb feiern wir Woche für Woche, an jedem Sonntag, Ostern! Am Sonntag, dem ersten Tag der Woche, ist Jesus von den Toten auferstand­en. Dieser erste Tag prägt unsere Woche, unseren Alltag.

Selbst viele Christen scheinen nicht mehr an die Auferstehu­ng Christi zu glauben. Woran liegt das? Remmele: Ich glaube, viele Menschen haben aufgehört zu suchen. Viele Menschen gehen heute den Fragen nach den letzten Dingen aus dem Weg. Bei Kindern ist das noch anders. Sie fragen ständig nach dem „Warum?“. Warum stirbt ein Mensch? Warum geht es denn dem Opa zurzeit nicht gut? Warum müs- andere Kinder hungern? Warum? Warum? Warum? Viele Erwachsene fragen nicht mehr. Oder besser gesagt: Sie trauen sich nicht mehr zu Fragen aus Angst vor einer Antwort oder aus Angst vor keiner schnellen Antwort. Wer die Frage nach Tod und Sterben stellt, der stellt natürlich auch sein eigenes Leben und Sterben infrage. Und wer im christlich­en Glauben eine Antwort darauf findet, der stellt womöglich seinen Lebensstil infrage. Im Licht der Auferstehu­ng relativier­en sich Besitz, Geld und Macht. Im Licht der Auferstehu­ng muss ich auf dieser Welt nicht ewig leben. Ich brauche ja keine Angst vor dem Tod haben.

Sie können Zweifel an dem Glauben an die Auferstehu­ng verstehen? Remmele: Natürlich! Gerade die Jünger von Jesus brauchten ziemlich viel Zeit, bis sie begriffen haben, dass Christus von den Toten aufer- ist. Glaube und Zweifel gehören zusammen. Ich kann mir keinen Glauben ohne Zweifel vorstellen. So einfach geht glauben nicht. Glaube ist ein Geschenk. Glauben kann ich nicht machen. Und darin liegt ein Knackpunkt: Viele Menschen in unserer Gesellscha­ft sind Macher-Typen. Sie wollen lieber etwas machen, als sich etwas schenken lassen. Glaube ist jedoch das Geschenk aus der Beziehung mit Gott. Kein Mensch kann sich selber erlösen. Die Liebe Gottes löst mich hesen raus aus allen Sorgen und Nöten. Kein Mensch kann aus sich selbst leben, er ist immer auf das Du angewiesen. „Küssen kann man nicht allein“, so drückt es der Sänger Max Raabe in einem Lied aus. Gerade der Osterglaub­e entspringt der neuen Beziehung zum Auferstand­enen. Denken Sie nur, wie Jesus sich Maria von Magdala zu erkennen gibt, indem er sie mit ihrem Namen anspricht: Maria!

Zweifeln Sie selbst gelegentli­ch? Remmele: Je mehr ich mich mit dem Glauben beschäftig­e, desto mehr Raum öffnet sich auch für Zweifel. Im Alltag bin ich von so vielen Lebenssitu­ationen berührt, die mich immer wieder fragen und klagen lassen: Warum? Warum nur? Warum, Gott? Ich hoffe, diese Fragen eines Tages Gott selbst stellen zu dürfen. Ich erwarte von ihm eine Antwort. Wir müssen uns grundsätzl­ich davor hüten, billige Antstanden worten auf Fragen zu geben, die letztlich nur Gott allein beantworte­n kann.

Wie kann man die Osterbotsc­haft verstehen? Remmele: Die Evangelien erzählen, wie Jesus nach seiner Auferstehu­ng den Jüngern begegnet ist. Er trat ihnen nicht als Superstar gegenüber, er trug die Wundmale. Er war für sie gegenwärti­g, und doch war alles anders. Wie auf dem Weg nach Emmaus war es immer diese Begegnung mit Jesus, die die Menschen verwandelt hat. Jesus ist plötzlich mit auf dem Weg. Jesus hört zu. Jesus stellt Fragen und verweist auf die Schrift. Jesus lässt sich nicht lange bitten und setzt sich mit an den Tisch. Jesus bricht das Brot, und auf einmal fällt es wie Schuppen von den Augen: Jesus lebt! Und dann aber entzieht sich Jesus wieder den Jüngern. Als Auferstand­ener hat er seinen Platz bei Gott. Für den Verstand ist doch die Rede von der Auferstehu­ng völliger Unsinn. Remmele: Warum denn? Die ganze Schöpfung ist auf Leben angelegt, auf ein Leben, das sich entwickelt, das wächst und das reift. Am Anfang steht das Wort Gottes – „Es werde.“Alles Lebendige drängt zum Leben. Das ist bio-logisch. Auferstehu­ng und Ostern sind die letzte Konsequenz des göttlichen Plans für das Leben. Schwierig wird das Ganze, wenn ich Gott misstraue. Will Gott wirklich, dass ich lebe? Ist der Tod am Ende doch stärker und mächtiger als Gott? Diese Fragen erschütter­n das gesunde Urvertraue­n, das Kindern innewohnt. Erst durch das Misstrauen bekommt der Tod Bedeutung und Macht. Wer Gott vertraut, der sieht im Tod eben nur eine Tür, durch die ich gehen darf, weil Gott sie mir öffnet und weil Gott mich mit offenen Armen erwartet.

Sie haben heute Namenstag. Ist der heilige Rainer für sie wichtig? Remmele: Der heilige Rainer ist „nur“ein Seliger. Über sein Leben ist nicht viel überliefer­t. Der Heilige, der mich besonders begeistert, ist Papst Johannes XXIII. Seine Person hat mich von Jugend an fasziniert. Nur ein Punkt: Eigentlich sind der Lebensweg und die Karriere von Angelo Roncalli verkorkst. Als päpstliche­r Botschafte­r bekommt er Aufgaben anvertraut, die scheinbar sinnlos und wertlos sind. Überall aber, wo er wirkt, lebt er mit ganzer Kraft entschiede­n den Geist des Evangelium­s. Obwohl er auf den ersten Blick alles andere als Karriere macht, verbittert er nicht. Alles, was er tut, tut er aus Liebe, in Liebe. Am Ende fügten sich aber alle seine Lebensstat­ionen, alle seine Wege und vermeintli­chen Irrwege zu einem großen, sinnvollen und wunderbare­n Mosaik. Gott schreibt gerade auch auf krummen Zeilen.

Warum können immer weniger Menschen etwas mit der Kirche anfangen? Remmele: Das ist zuallerers­t eine Frage an die Christen selbst. Sind wir da, wenn Menschen Fragen stellen? Stehen wir ihnen in ihren Nöten zur Seite? Sind wir dort, wo die Menschen heute leben? An der Werkbank, an der Theke, im Laden, auf Facebook? Wir Christen leiden oft selbst unter einer Sprachlosi­gkeit. Wir müssen den Nächsten fragen, was ihn bewegt, und für ihn da sein. Interview: Berthold Veh

„Glauben kann ich nicht machen. Und darin liegt ein Knackpunkt: Viele Menschen in unserer Gesellscha­ft sind Macher Typen. Sie wollen lieber etwas machen, als sich etwas schenken lassen.“

Rainer Remmele

Rainer Remmele stammt aus Il lertissen. Vor fünf Jahren wurde der heute 55 Jährige Direktor der Re gens Wagner Stiftungen. In dem großen Behinderte­nwerk mit 14 Zen tren betreuen etwa 6500 Mitar beiter rund 8500 Menschen mit Han dicap.

 ?? Foto: Berthold Veh ?? Auf der Suche nach dem Ostergehei­mnis: Direktor Rainer Remmele vor dem Gemälde von Schwester Animata Probst, das im Foyer der Dillinger Christköni­gskirche zu sehen ist. Es zeigt Leben im Licht von Ostern.
Foto: Berthold Veh Auf der Suche nach dem Ostergehei­mnis: Direktor Rainer Remmele vor dem Gemälde von Schwester Animata Probst, das im Foyer der Dillinger Christköni­gskirche zu sehen ist. Es zeigt Leben im Licht von Ostern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany