Zu Hause in zwei Welten
Hilfe Das Ärztepaar Iris und Josua Roos aus Unterglauheim verbringt mit seinen Kindern ein Jahr in Südafrika und erlebt dort einen ganz anderen Alltag als in Deutschland. Manche Schicksale stimmen zutiefst traurig
Unterglauheim Das ganze Jahr warme Temperaturen, immer in kurzen Sachen rausgehen können, eine traumhafte Landschaft, die geprägt ist von einer unglaublichen Artenvielfalt in Flora und Fauna, Elefantensafaris und Ranger-Romantik auf weiten Steppen, traumhafte Strände. Das sind die Bilder, die man beim Stichwort Südafrika sofort im Kopf hat. Das Land am Kap ist das touristisch meistbereiste Land des afrikanischen Kontinents und lockt viel Europäer zu luxuriösen Reisen ebenso wie zu naturnahen Trips in die Natur. Wie schön muss es erst sein, dort zu leben …
Wie sich das anfühlt, erproben gerade Dr. Iris und Dr. Josua Roos mit ihren beiden Söhnen Josua und Samuel. Das Ärztepaar aus Unterglauheim hat im Dezember beziehungsweise Januar (der Vater war schon sechs Wochen früher vorausgeflogen) für ein Jahr die deutsche Heimat verlassen und lebt und arbeitet nun in Upington am südlichen Rand der Kalahari-Wüste. Mit Urlaub, Nichtstun und luxuriösem Reisen hat das allerdings wenig zu tun. Chirurg Josua Roos ist in Brits, Südafrika, geboren und aufgewachsen, sein Medizinstudium absolvierte er an den Universitäten in Pretoria und Kapstadt. Nun leistet er in Upington seinen „Community Service“– in Südafrika eine Art Gegenleistung für das kostenlose Studium.
Im Moment baut er die chirurgische Abteilung des staatlichen „Dr. Harry Surtie Hospital“in Upington auf und lernt einen ganz anderen Klinikalltag kennen, als er ihn etwa von seiner Arbeit im Donauwörther Krankenhaus kennt. Wie das Paar berichtet, ist das Krankenhaus im Vergleich zu anderen Krankenhäusern medizinisch sehr gut ausgestattet. Allerdings wird diese Ausstattung bisher kaum genutzt, weil einfach keine Ärzte da sind, vor allem keine Spezialisten. Josua Roos operiert zum Beispiel Patienten, bei denen vor über einem Jahr Darmkrebs diagnostiziert wurde, jedoch im staatlichen System einfach kein Arzt verfügbar war, der die nötige Operation hätte durchführen können. Unterm Strich ist das Krankenhaus mit seinen 327 Betten zuständig für mehr als 250 000 Menschen in der Region Northern Cape.
Wenn man aus einem medizinisch top versorgten Land wie Deutschland kommt, ist das nur schwer zu akzeptieren, erzählt Iris Roos: „Beinahe täglich erlebt man hier zutiefst traurige Schicksale, die einem nahegehen, wenn man weiß, dass vielleicht ein kleiner Eingriff zum Beispiel ein Kind hätte retten können. Die Fälle, die wir hier behandeln, sind ganz andere als in Deutschland: viele Kinder mit Blinddarmentzündungen, häusliche Gewalt, Hundebissverletzungen, HIV und die Folgen – das Spektrum ist sehr breit“, sagt sie. Hinzu komme, dass die Patienten hier relativ spät zum Arzt gehen und die Krankheiten somit bereits sehr fortgeschritten sind. Das Gesundheitssystem sehe keine Vorsorgen vor wie bei uns. Josua Roos’ Arbeit hier sei oft eigentlich nur der Versuch, Schlimmstes zu verhindern oder zu verzögern. „Die Patienten sind wirklich sehr krank“, sagt Iris Roos. Sie unterstützt ihren Mann im Krankenhaus, wo sie kann. „Die tägliche Arbeit dort ist eine echte Herausforderung, vor allem, weil man mit allem ziemlich alleine ist. Inzwischen ist es auch völlig normal, dass Josua 24 Stunden, rund um die Uhr zu Einsätzen gerufen wird. Das Leid ist so groß, aber wir tun unser Bestes und haben auch schon viel dazugelernt in den vergangenen Monaten!“
Es ist elf Jahre her, dass Iris Roos, damals noch Heider, zu einem Praxissemester nach Kapstadt ging. Sie arbeitete dort am Lehrkrankenhaus der Universität Kapstadt, dem renommierten Groote Schuur Hospital, das vor allem durch die weltweit erste Herztransplantation im Jahr 1967 bekannt wurde. Dort lernte sie ihren jetzigen Ehemann Josua Roos kennen, der als angehender Arzt ebenfalls an der Klinik tätig war. Aus dem Praxissemester von Iris Roos wurden drei Jahre in Südafrika, in denen sie Land und Leute näher kennen- und lieben lernte. Als
Eine einmalige Erfahrung
sich die Geburt von Sohn Josua ankündigte, entschieden sich Iris und Josua Roos gemeinsam, nach Deutschland zu gehen und sich am Heimatort von Iris in Unterglauheim niederzulassen.
Schnell fanden beide eine Anstellung in Deutschland und konnten ihre Ausbildung zum Facharzt beenden. Josua Roos wurde Facharzt für Viszeralchirurgie am Klinikum Donauwörth, Iris Roos hat sich zunächst für die Fachrichtung Allgemeinmedizin entschieden und inzwischen auch die Zusatzausbildung zur Diabetologin absolviert. Seit mehreren Jahren arbeitet sie in der Dillinger Gemeinschaftspraxis für Innere Medizin, Gastroenterologie, Kardiologie, Diabetologie und Ernährungsmedizin „Die Internisten“in Dillingen. Ihre Chefs Dr. KarlHeinz Kastner, Dr. Alexander König und Dr. Johannes Dietz und die Kollegen vom Praxisteam haben die junge Ärztin nun für ein Dreivierteljahr freigestellt, damit sie diesen Traum, mit der Familie im Heimatland ihres Mannes zu leben, verwirklichen kann.
Für Iris Roos keine Selbstverständlichkeit: „Ich bin meinen Chefs und dem ganzen Team wirklich sehr dankbar, dass sie mir das ermöglichen. Für meinen Mann und mich und ganz besonders für unsere Kinder ist das eine einmalige Erfahrung. Meine beiden Söhne können so in beiden Ländern das Gefühl von Heimat entwickeln!“
Die beiden Länder könnten in vielerlei Hinsicht nicht unterschiedlicher sein. Der Alltag in Südafrika sieht so ganz anders aus als in Unterglauheim. Doch die ganze Familie hat sich erstaunlich schnell und gut eingelebt.
Die beiden Jungs, Josua und Samuel, besuchten bisher die Grundschule Blindheim in der zweiten beziehungsweise ersten Klasse. So gut sie sich in ihrer neuen Schule in Upington zurechtfinden – beide sprechen fließend ihre „Vatersprache“Afrikaans und inzwischen auch sehr gut Englisch –, so sind es doch die Schulfreunde, die Großeltern zu Hause und das soziale Umfeld, das sie in der Ferne am meisten vermissen. Zum Glück helfen InternetBild-Telefonie, WhatsApp und E-Mail über so manches Heimweh hinweg. Und die beiden Lehrerinnen Heike Brückner und Julia Schmid und die Mitschüler in der Grundschule Blindheim schreiben fleißig Nachrichten und freuen sich schon riesig, wenn die Jungs zum neuen Schuljahr wieder zurückkommen und sicher so einiges zu erzählen haben.