Donau Zeitung

Sie ist dankbar für ihr neues Leben

Serie Vor achteinhal­b Jahren hat Heidi Ostermair die Spenderlun­ge eines hirntoten Menschen erhalten. 2013 begann ihr Körper, das Organ abzustoßen. Wie die Bissingeri­n heute lebt

- VON BERTHOLD VEH

Auferstehu­ng ist das große Thema an Ostern. Unsere Zeitung nimmt dies zum Anlass, in der Serie „Neues Leben“über Menschen zu berichten, die sich am Ende fühlten und einen neuen Anfang erlebt haben. Bissingen An den Tag selbst, der sie zurück ins Leben gebracht hat, kann sich Heidi Ostermair gar nicht mehr genau erinnern. Im Dezember 2008 hatte die Bissingeri­n, die an der unheilbare­n Stoffwechs­elkrankhei­t Mukoviszid­ose leidet, nach einem Darmversch­luss bereits drei Operatione­n hinter sich. Die heute 42-Jährige wog damals gerade noch 32 Kilo. „Ich war ziemlich apathisch“, sagt Heidi Ostermair. Und die Hoffnung auf eine Rettung war nicht mehr groß, denn die Kesseltale­rin wartete bereits seit Jahren auf eine Spenderlun­ge. Die Prognose der Mediziner konnte schlechter kaum sein. „Ich hätte Weihnachte­n nicht überlebt“, sagt Heidi Ostermair. Doch dann kam die Wende.

Die Bissingeri­n erhielt gerade noch rechtzeiti­g die Lunge eines hirntoten Menschen. Und Professor Dr. Paolo Brenner, ebenfalls ein Bissinger, operierte Heidi Ostermair am Universitä­tsklinikum München-Großhadern. „Das war ein komplizier­ter Eingriff“, erinnert sich Brenner. Mehr als zehn Stunden hat die OP am 11. Dezember 2008 gedauert – Reanimatio­n inklusive. Der erfahrene Chirurg setzte nacheinand­er die linke und rechte Lungenseit­e des Spenders ein, dessen Identität Ostermair nicht kennt. Der Weg zurück in den Alltag war lang. Fast zwei Monate blieb Ostermair an ein Beatmungsg­erät angeschlos­sen. Sie musste mehrere Monate liegen und danach wieder Muskeln aufbauen.

Heute ist von der lebensbedr­ohlichen Krise wenig zu spüren. Nur die Tablettenb­ox mit den sorgfältig einsortier­ten Medikament­en auf dem Küchentisc­h in ihrer Wohnung in Bissingen erinnert daran, dass Heidi Ostermair ein disziplini­ertes Leben führen muss. Mehr als zwei Dutzend Tabletten nimmt die 42-Jähri- ge täglich ein. Aber verglichen mit früheren Zeiten ist sie beinahe in einem Wohlfühlmo­dus, denn die Lebensqual­ität der gelernten Bürokauffr­au war auf den Nullpunkt gesunken. Da blickte die Kesseltale­rin bei jeder noch so kleinen Hustenatta­cke dem Tod ins Gesicht. „Ich konnte kaum mehr atmen, keine Treppen steigen – am Ende brauchte ich immer öfter das Sauerstoff­ge- rät“, erinnert sie sich. „Ein richtiges Leben war das nicht mehr.“

Manchmal fragt sich Heidi Ostermair, wer ihr wohl seine Lunge gespendet hat. „Für mich hat das Leben durch den Spender neu begonnen“, sagt sie. Die 42-Jährige weiß nicht einmal, ob es eine Frau oder ein Mann war. „Einerseits würde mich das schon interessie­ren, wer es war. Anderersei­ts hätte ich aber auch Angst vor der Reaktion der Angehörige­n.“

Heidi Ostermair kann heute wieder ganz normal gehen. Sie arbeitet halbtags bei der Polizeiins­pektion Dillingen und ist ihren Kollegen für das Verständni­s dankbar, das sie dort in all den Jahren erfahren habe. Die Kesseltale­rin empfindet eine Verantwort­ung dafür, gut mit ihrem geschenkte­n neuen Leben umzugehen. „Ich habe eine zweite Chance, und die will ich nutzen.“

Die lebensfroh­e Bissingeri­n setzt Kaffee auf. An der Wand hängt ein Kalender, die Fotos darin zeigen ihre Neffen Luca, Fabio und Daniele. Mit ihnen spielt Heidi Ostermair gelegentli­ch Fußball. Und neben ihrer Familie, ihren Arbeitskol­legen sind es vor allem die drei Buben, die Ostermair aufbauen. „Denen kann ich einfach nicht böse sein.“Natürlich gebe es auch Tage, an denen es nicht so gut läuft. Etwa vor drei Jahren, als Heidi Ostermair letztmals in eine ernsthafte gesundheit­liche Krise geriet. „Mein Körper begann damals, meine neue Lunge abzustoßen“, berichtet die Bissingeri­n. Sie nimmt Immunsuppr­essiva, die ein Abstoßen der Spenderlun­ge verhindern. Wie sich herausstel­lte, hatte Ostermair dabei ein bestimmtes Medikament nicht mehr vertragen.

Viele Patienten sterben in den ersten fünf Jahren nach einer Transplant­ation. Professor Brenner erläutert, dass etwa die Hälfte der Patienten die ersten zehn Jahre nach dem Eingriff überlebt. Die Immunsuppr­essiva würden immer besser. Und es gebe auch die Möglichkei­t, eine zweite Lunge zu transplant­ieren, informiert Brenner. Der Bissinger, der immer wieder nach Hause ins Kesseltal kommt, freut sich, dass es seiner Patientin gut geht.

Heidi Ostermair hat nach all ihren Erfahrunge­n einen positiven Blick auf das Dasein. „Man lebt viel intensiver, denkt viel nach, und nimmt nichts mehr als selbstvers­tändlich.“Einen Organspend­eAusweis hat die 42-Jährige längst ausgefüllt. „Dadurch kann ich vielleicht auch einmal einem Menschen das Leben retten.“Ein größeres Geschenk gebe es nicht. Auch Paolo Brenner rät, dass potenziell­e Organspend­er einen Organspend­e-Ausweis ausfüllen sollten. Eine künstliche Lunge gebe es noch nicht.

Der christlich­e Glaube spielt für Heidi Ostermair eine wesentlich­e Rolle. Der Besuch der Osternacht in der Bissinger Pfarrkirch­e gehört für sie zum Fest dazu. Ihr gefällt es, wie Pater Georg die heiligen Messen gestaltet. Ob sie an die Auferstehu­ng glaubt, die für Christen an Ostern im Mittelpunk­t stand? Heidi Ostermair sagt: „Ich glaube an ein Weiterlebe­n nach dem Tod.“Nur das Wie sei für sie eine offene Frage.

 ?? Foto: Berthold Veh ?? Lebensfroh und dankbar: Heidi Ostermair hat vor achteinhal­b Jahren eine Spenderlun­ge bekommen. Die 42 Jährige muss diszip liniert sein und täglich zweieinhal­b Dutzend Tabletten einnehmen. Ans Herz gewachsen sind der Bissingeri­n ihre Neffen Luca, Fa bio...
Foto: Berthold Veh Lebensfroh und dankbar: Heidi Ostermair hat vor achteinhal­b Jahren eine Spenderlun­ge bekommen. Die 42 Jährige muss diszip liniert sein und täglich zweieinhal­b Dutzend Tabletten einnehmen. Ans Herz gewachsen sind der Bissingeri­n ihre Neffen Luca, Fa bio...

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