Sündige Sparer
Haben Sie, liebe Leserin, lieber Leser, über Ostern kräftig Geld ausgegeben? Wenn Sie für den Festbraten, für Geschenke und für Urlaubstage Ihr Sparguthaben radikal abgeräumt haben, können Sie mit sich zufrieden sein. Dann sind Sie ein Mensch der neuen Zeit.
Denn aus der Mode gekommen ist längst der redliche Sparer. Immer mehr Banken und Sparkassen verurteilen ihn zur Zahlung von Strafzinsen.
Einst konnte der Kunde mit der Einzahlung stattlicher Beträge die Gesichter der Bankvorstände zum Strahlen bringen. Wer heute die Ersparnisse seines Lebens auf seinem Konto hortet, gerät in die Rolle eines Übeltäters, der bei einer Straftat ertappt wird. Schon bei der Einzahlung am Bankautomaten beschleicht den aufgeklärten Sparer ein Gefühl der Sündhaftigkeit. Er weiß ja, dass der korrekte Staatsbürger sein Geld nicht anhäufen, sondern ordnungsgemäß verjubeln soll. Nur der verstockte Sünder widersetzt sich den Forderungen der neuen Zeit und belastet mit seinem Guthaben die Hausbank. Dabei denkt er nicht an Mario Draghi, sondern an seine Eltern und seine Lehrer, die ihn immer wieder zu strikter Sparsamkeit angehalten haben.
Vielleicht hat der römische Geschichtsschreiber Livius diese groteske Entwicklung vorausgesehen, als er in seiner Schrift „Ab urbe condita“den Satz niederschrieb: „Am schlimmsten ist es, sich seiner Sparsamkeit schämen zu müssen.“