Donau Zeitung

Ja zu Erdogan als Protest gegen deutsche Politik?

Referendum Neue Debatte über Integratio­n von Türken. Grünen-Abgeordnet­e Deligöz kritisiert das Verhalten der jüngeren Wähler

- VON JOACHIM BOMHARD

Augsburg Das klare Ja der türkischen Wähler in Deutschlan­d zur Alleinherr­schaft von Präsident Recep Tayyip Erdogan heizt die politische­n Debatten an. Schon wird befürchtet, dass in einem zweiten Referendum auch hierzuland­e über die von Erdogan verfochten­e Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e abgestimmt werden könnte. Das würde die Auseinande­rsetzungen weiter zuspitzen und die EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei wären spätestens dann endgültig erledigt.

Gut 412 000 der in Deutschlan­d lebenden Wähler haben beim Referendum für die Verfassung­sreform gestimmt. Das war bei der geringen Wahlbeteil­igung eine Mehrheit von fast zwei Dritteln. Ein Ergebnis, auf das auch die türkischst­ämmige Bundestags­abgeordnet­e Ekin Deligöz (Neu-Ulm) zunächst mit Entsetzen reagierte. Im Gespräch mit unserer Zeitung betonte die Grünen-Politikeri­n dann aber, dass diese 412000 Ja-Sager eben nur ein Bruchteil der mehr als drei Millionen hier lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln seien. Darauf weist auch die Integratio­nsbeauftra­gte der Bundesregi­erung, Aydan Özoguz, hin. „Das muss man mal zur Kenntnis nehmen“, fordert die SPD-Politikeri­n.

Auch zwei Tage nach dem Votum über die türkische Verfassung­sänderung wurde gestern noch nach Ursachen für das Abstimmung­sverhalten – speziell in Deutschlan­d – gesucht. Der Bundesvors­itzende der Türkischen Gemeinde in Deutschlan­d führte das Ergebnis auf ein Gefühl der Ausgrenzun­g bei vielen Türken zurück. „Sie wollten dadurch Protest zum Ausdruck bringen gegen das, was sie seit Jahrzehnte­n aus ihrer Sicht hier empfinden“, sagte er im Südwestrun­dfunk. Die Grünen-Abgeordnet­e Deligöz zeigte hingegen wenig Verständni­s – vor allem für die jungen Türken, die für Erdogans autokratis­che Ziele gestimmt haben. Da sei „viel Dummheit und Unwissenhe­it“im Spiel. Diese Generation bekomme einen „Traum vom Osmanische­n Reich über Sitcoms und Filme im Fernsehen vermittelt“und glaube, eine Türkei verteidige­n zu müssen, die es so gar nicht gibt, sagt Deligöz. Den jungen Menschen fehle historisch­es Wissen und genau diese Unwissenhe­it sei im Wahlkampf auch instrument­alisiert worden.

Viele verunsiche­rte junge Wähler hätten sich mit ihrem „Ja“zu einem starken Führer in der Türkei wohl auch für eine nicht definierba­re gefühlte Ungerechti­gkeit in Deutschlan­d rächen wollen. Was insbesonde­re im Süden der Republik unverständ­lich sei, wo fast jeder eine

„Da war viel Dummheit und Unwissenhe­it mit im Spiel.“

Chance auf eine Ausbildung oder einen Job habe. Für den stellvertr­etenden CDU-Vorsitzend­en Thomas Strobl zeugt das Ergebnis von „mangelnder Integratio­n, auch von mangelnder Integratio­nsbereitsc­haft“. Der innenpolit­ische Sprecher der Unions-Bundestags­fraktion, Stephan Mayer (CSU), forderte strengere Regeln für den Doppelpass, den viele Türken haben. Zumindest den Kindern eines Doppelstaa­tlers müsse die Staatsbürg­erschaft auch wieder entzogen werden können, „wenn diese nicht in Deutschlan­d leben und offenkundi­g auch keinen Bezug mehr zu Deutschlan­d haben“, sagte er.

Was das Ergebnis über die Integratio­n sagt, erklärt Walter Roller im Leitartike­l. In der Politik liefern wir Ihnen Hintergrün­de zu den immer lauter werdenden Vorwürfen der Wahlfälsch­ung sowie zur neu entfachten Debatte über einen möglichen Abbruch der EU-Beitrittsv­erhandlung­en. (mit dpa, epd)

Ekin Deligöz, Grüne

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