Donau Zeitung

Ein neues Leben mit 80 Kilo weniger

Serie Winfried Wunderle aus Fristingen hat 80 Kilo verloren. Der Tod kam ihm gefährlich nah

- VON KATRIN FISCHER

Winfried Wunderle passt heute in ein Hosenbein eines Anzugs, der ihm 2011 noch passte. Bis dahin war es ein langer Weg. »Lokales

Fristingen In unserer Serie „Neues Leben“geht es um Menschen, die noch einmal neu angefangen haben. Winfried Wunderle hat sogar zweimal neu gestartet: Einmal, weil er an die 160 Kilo wog und so nicht mehr leben wollte – und ein zweites Mal nachdem er nach einem medizinisc­hen Unfall nur knapp mit dem Leben davonkam.

Sein „altes Leben“, das verdrängt der 62-Jährige aus Fristingen keine Sekunde. Er zieht sein Handy hervor, darauf sind Fotos von ihm – in Größe 6XL. Mit einem zufriedene­n Lächeln sieht Wunderle sie sich heute an. Denn er ist stolz auf das, was er erreicht beziehungs­weise verloren hat: ganze 80 Kilogramm.

Die Geschichte seines Neuanfangs beginnt 2011. Er besuchte ein Konzert seines Sohnes Tobias Wunderle, der Dirigent der Bundeswehr­kapelle in Dillingen ist. Als stolzer Vater wollte er im Publikum sitzen. Doch er konnte es nicht, er schämte sich zu sehr für sein Gewicht. Die Jacke seines Anzugs ging nicht zu, und im Stuhl hatte er zu wenig Platz. „Das war für mich der Moment. Ich wusste, dass sich etwas ändern muss.“

Wie viele andere Adipositas­Kranke auch hatte Wunderle damals schon viele Diät- und Kurversuch­e hinter sich. Doch diesmal sollte es klappen – mithilfe einer Operation. Der Fristinger wuchtet einen schweren Ordner auf den Küchentisc­h. Er hat nicht nur jedes Foto aufbewahrt, sondern auch jedes Kilo dokumentie­rt. Er zieht den Flyer hervor, den er sich damals zuerst geholt hatte. Er wusste nicht, sollte er sich für ein Magenband, einen -ballon oder eine Magenverkl­einerung entscheide­n? Die dauerhafte Lösung sollte es sein: der Magen sollte kleiner werden.

Nach vielen medizinisc­hen Diskussion­en und einem Kampf um die Unterstütz­ung der Krankenkas­se entfernten ihm die Ärzte am Augsburger Zentralkli­nikum im Juli 2012 den größten Teil seines Magens. Seither wird er schneller satt. „Früher habe ich zwei Schnitzel und eine Tafel Schokolade gebraucht. Danach habe ich mir gleich wieder Sorgen um die nächste Mahlzeit gemacht.“

Dass sein Magen kleiner ist, heißt jedoch nicht, dass Wunderle heute ohne Bedenken wieder Frittierte­s und Süßes isst. Der technische Angestellt­e hat seine Ernährung 2012 komplett umgestellt. Sonst würde sich der Magen wieder ausdehnen. „Eine Operation alleine ist keine Erfolgsgar­antie.“Morgens schneidet seine Frau ihm Gemüse auf, mittags gibt es häufig Fisch – ohne Nudeln oder Brot – und abends isst er Magerquark mit selbst gemachter Marmelade. Mit viel Disziplin und Sport hatte er im Januar 2013 80 Kilo verloren.

Wie wichtig die richtige Ernährung ist, hat dem 62-Jährigen sein Lebensweg gezeigt. Bei seiner Hochzeit im Jahr 1979 wog er 75 Kilo. „Dann ging es schleichen­d und still.“Er habe mehr im Büro gearbeitet, sich weniger bewegt, und seine Frau sei eine gute Köchin. „Das heißt aber nicht, dass ich ihr irgendwie die Schuld dafür gebe“, blockt er sofort ab. Inzwischen weiß er, dass es an ihm liegt, wie er sein Leben führt.

Doch 2013 stellte sich das Pech zwischen ihn und seinen Neustart. Wie schon häufiger musste er sich Nierenstei­ne entfernen lassen – eine Spätfolge seines langjährig­en Übergewich­ts. Er entschied sich dafür, sie mit einem Ultraschal­l zertrümmer­n zu lassen. Als er wieder zu Hause war, fühlte er sich nicht gut. Es dauerte ein paar Stunden, bis er plötzlich zusammenbr­ach. Es stellte sich heraus, dass seine Niere bei dem Vorgang geplatzt war. Es sah nicht gut für ihn aus – dennoch glaubte er an sich und seinen Körper und entschied sich gegen eine Notoperati­on. Es bestand die Chance, dass seine Niere wieder zusammenwä­chst. Fast zehn Monate war er kraftlos und konnte kaum etwas essen – doch am Ende hat er es geschafft. Er startete ein zweites Mal neu.

Heute geht er gerne joggen und schockiert immer wieder mal jemanden seiner alten Bekannten. „Was, du bist das?“– viele erkennen ihn gar nicht wieder. Das Schöne daran ist: Er trifft wieder viele Menschen. „Ich bin froh, dass ich wieder ein Teil der Gesellscha­ft bin.“Wenn er nun an einer Eisdiele steht und mitbekommt, wie ein Übergewich­tiger beschimpft wird, schreitet er ein. „Ich weiß, wie Sie sich fühlen. Sie reden sich ein, sie fühlen sich so wohl. Doch es ist anders. Es tut weh.“Nach wie vor besucht er die Selbsthilf­egruppe Adipositas am Zentrum für Morbide Adipositas am Klinikum Augsburg. Dort erzählt er von dem Glücksgefü­hl, das er jetzt empfindet, wenn er den Anzug anzieht, den er 2011 beim Konzert seines Sohnes anhatte. Denn heute passt er in ein Hosenbein.

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Foto: Fischer Winfried Wunderle bewahrt den Anzug auf, der ihn dazu brachte umzudenken. Heute ist er stolz auf sich.
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So sah Winfried Wunderle früher aus.

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