Ein neues Leben mit 80 Kilo weniger
Serie Winfried Wunderle aus Fristingen hat 80 Kilo verloren. Der Tod kam ihm gefährlich nah
Winfried Wunderle passt heute in ein Hosenbein eines Anzugs, der ihm 2011 noch passte. Bis dahin war es ein langer Weg. »Lokales
Fristingen In unserer Serie „Neues Leben“geht es um Menschen, die noch einmal neu angefangen haben. Winfried Wunderle hat sogar zweimal neu gestartet: Einmal, weil er an die 160 Kilo wog und so nicht mehr leben wollte – und ein zweites Mal nachdem er nach einem medizinischen Unfall nur knapp mit dem Leben davonkam.
Sein „altes Leben“, das verdrängt der 62-Jährige aus Fristingen keine Sekunde. Er zieht sein Handy hervor, darauf sind Fotos von ihm – in Größe 6XL. Mit einem zufriedenen Lächeln sieht Wunderle sie sich heute an. Denn er ist stolz auf das, was er erreicht beziehungsweise verloren hat: ganze 80 Kilogramm.
Die Geschichte seines Neuanfangs beginnt 2011. Er besuchte ein Konzert seines Sohnes Tobias Wunderle, der Dirigent der Bundeswehrkapelle in Dillingen ist. Als stolzer Vater wollte er im Publikum sitzen. Doch er konnte es nicht, er schämte sich zu sehr für sein Gewicht. Die Jacke seines Anzugs ging nicht zu, und im Stuhl hatte er zu wenig Platz. „Das war für mich der Moment. Ich wusste, dass sich etwas ändern muss.“
Wie viele andere AdipositasKranke auch hatte Wunderle damals schon viele Diät- und Kurversuche hinter sich. Doch diesmal sollte es klappen – mithilfe einer Operation. Der Fristinger wuchtet einen schweren Ordner auf den Küchentisch. Er hat nicht nur jedes Foto aufbewahrt, sondern auch jedes Kilo dokumentiert. Er zieht den Flyer hervor, den er sich damals zuerst geholt hatte. Er wusste nicht, sollte er sich für ein Magenband, einen -ballon oder eine Magenverkleinerung entscheiden? Die dauerhafte Lösung sollte es sein: der Magen sollte kleiner werden.
Nach vielen medizinischen Diskussionen und einem Kampf um die Unterstützung der Krankenkasse entfernten ihm die Ärzte am Augsburger Zentralklinikum im Juli 2012 den größten Teil seines Magens. Seither wird er schneller satt. „Früher habe ich zwei Schnitzel und eine Tafel Schokolade gebraucht. Danach habe ich mir gleich wieder Sorgen um die nächste Mahlzeit gemacht.“
Dass sein Magen kleiner ist, heißt jedoch nicht, dass Wunderle heute ohne Bedenken wieder Frittiertes und Süßes isst. Der technische Angestellte hat seine Ernährung 2012 komplett umgestellt. Sonst würde sich der Magen wieder ausdehnen. „Eine Operation alleine ist keine Erfolgsgarantie.“Morgens schneidet seine Frau ihm Gemüse auf, mittags gibt es häufig Fisch – ohne Nudeln oder Brot – und abends isst er Magerquark mit selbst gemachter Marmelade. Mit viel Disziplin und Sport hatte er im Januar 2013 80 Kilo verloren.
Wie wichtig die richtige Ernährung ist, hat dem 62-Jährigen sein Lebensweg gezeigt. Bei seiner Hochzeit im Jahr 1979 wog er 75 Kilo. „Dann ging es schleichend und still.“Er habe mehr im Büro gearbeitet, sich weniger bewegt, und seine Frau sei eine gute Köchin. „Das heißt aber nicht, dass ich ihr irgendwie die Schuld dafür gebe“, blockt er sofort ab. Inzwischen weiß er, dass es an ihm liegt, wie er sein Leben führt.
Doch 2013 stellte sich das Pech zwischen ihn und seinen Neustart. Wie schon häufiger musste er sich Nierensteine entfernen lassen – eine Spätfolge seines langjährigen Übergewichts. Er entschied sich dafür, sie mit einem Ultraschall zertrümmern zu lassen. Als er wieder zu Hause war, fühlte er sich nicht gut. Es dauerte ein paar Stunden, bis er plötzlich zusammenbrach. Es stellte sich heraus, dass seine Niere bei dem Vorgang geplatzt war. Es sah nicht gut für ihn aus – dennoch glaubte er an sich und seinen Körper und entschied sich gegen eine Notoperation. Es bestand die Chance, dass seine Niere wieder zusammenwächst. Fast zehn Monate war er kraftlos und konnte kaum etwas essen – doch am Ende hat er es geschafft. Er startete ein zweites Mal neu.
Heute geht er gerne joggen und schockiert immer wieder mal jemanden seiner alten Bekannten. „Was, du bist das?“– viele erkennen ihn gar nicht wieder. Das Schöne daran ist: Er trifft wieder viele Menschen. „Ich bin froh, dass ich wieder ein Teil der Gesellschaft bin.“Wenn er nun an einer Eisdiele steht und mitbekommt, wie ein Übergewichtiger beschimpft wird, schreitet er ein. „Ich weiß, wie Sie sich fühlen. Sie reden sich ein, sie fühlen sich so wohl. Doch es ist anders. Es tut weh.“Nach wie vor besucht er die Selbsthilfegruppe Adipositas am Zentrum für Morbide Adipositas am Klinikum Augsburg. Dort erzählt er von dem Glücksgefühl, das er jetzt empfindet, wenn er den Anzug anzieht, den er 2011 beim Konzert seines Sohnes anhatte. Denn heute passt er in ein Hosenbein.