Donau Zeitung

Wie reagiert Brüssel auf Erdogans Triumph?

Die EU verhandelt seit 2005 mit der Türkei über einen Beitritt. Jetzt wird über Alternativ­en nachgedach­t

- VON MIRJAM MOLL

Brüssel Die ersten Äußerungen von Recep Tayyip Erdogan nach seinem knappen Sieg im Referendum um seinen geplanten Staatsumba­u in der Türkei lassen wenig Hoffnung für eine Annäherung an die EU. Und in Brüssel und den Hauptstädt­en der Mitgliedst­aaten werden erneut Rufe nach einem Ende der Beitrittsg­espräche laut. Wie geht es nun weiter mit dem Nachbarn am Bosporus?

Die Türkei ist immer noch Beitrittsk­andidat der EU. Wie steht es denn nun mit den Verhandlun­gen?

Die Gespräche laufen bereits seit 2005, allerdings nur schleppend. Lediglich 16 von insgesamt 35 Kapiteln sind seither geöffnet worden – ein einziges wurde abgeschlos­sen.

Woran liegt das denn?

Vor allem die nach wie vor schwierige­n Beziehunge­n mit Zypern und Ankaras Weigerung, den Inselstaat als EU-Mitglied anzuerkenn­en, standen einem Fortschrit­t im Weg. Nach dem im März 2016 vereinbart­en Flüchtling­sabkommen sollte allerdings „neuer Schwung“in die Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei kommen.

Ist man seither denn vorangekom­men?

Nein. Es wurden zwar zwei neue Kapitel im Wirtschaft­s- und Handelsber­eich eröffnet. Wegen der umstritten­en Maßnahmen wie Festnahmen zehntausen­der Opposition­eller, Journalist­en und Richter nach dem Putschvers­uch im Juli hatte das Europäisch­e Parlament gefordert, die Gespräche vorläufig einzufrier­en. Im Dezember beschlosse­n die Mitgliedst­aaten, vorerst keine neuen Kapitel in den Verhandlun­gen zu öffnen.

Was passiert, wenn Erdogan tatsächlic­h die Todesstraf­e wieder einführt?

Die Konsequenz­en hat die EU immer wieder deutlich gemacht: Die Einführung der Todesstraf­e ist mit den Grundprinz­ipien der Gemeinscha­ft nicht vereinbar. Erdogan würde der Europäisch­en Union damit einen Grund liefern, die Beitrittsg­espräche zu beenden.

Will er das denn?

Schwer zu sagen. Erdogan hat immer wieder angekündig­t, ein erneutes Referendum über den Beitritt zur EU in Erwägung zu ziehen. Nach der Volksabsti­mmung vom Sonntag hatte der türkische Präsident angedeutet, ein Abbruch der Verhandlun­gen sei nicht so schlimm. Allerdings: Solange die Gespräche noch laufen, hat sein Land Aussicht auf Hilfsgelde­r, die die zu schwächeln beginnende Wirtschaft brauchen könnte. Der Machthaber kann seine eigene Position in der Türkei zudem durch den offensicht­lichen Stillstand in den Verhandlun­gen womöglich noch stärken, indem er gegen „die in Brüssel“mobil macht.

Was bedeutet das für den Flüchtling­spakt?

Wenn Erdogan seine Drohung wahr macht und den Flüchtling­sdeal aufkündigt, würde er sich ins eigene Fleisch schneiden. Denn die EU hat der Türkei bis 2018 bis zu sechs Milliarden Euro an Fördergeld­ern für die Versorgung der syrischen Flüchtling­e in dem Land zugesagt.

Hatte die EU nicht auch die Aufhebung der Visapflich­t im Gegenzug für die Hilfe in der Flüchtling­skrise zugesagt?

Das ist richtig. Allerdings hat die Türkei die Bedingunge­n dafür nach wie vor nicht erfüllt – zum einen das Anti-Terror-Gesetz, zum anderen die eingeschrä­nkte Meinungsfr­eiheit stehen dem im Wege.

Was für Alternativ­en zu einem EUBeitritt gäbe es denn?

Zwischen der EU und der Türkei besteht bereits seit 20 Jahren eine Zollunion, die den vergünstig­ten Austausch von Waren ermöglicht. Die EU-Kommission hat bereits die Ausweitung auf Dienstleis­tungen, öffentlich­e Ausschreib­ungen und Agrarprodu­kte in Aussicht gestellt. Auch dafür wird Ankara allerdings Bedingunge­n erfüllen müssen.

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Foto: afp Am Ziel: Präsident Erdogan setzt sich beim Referendum durch.

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