Donau Zeitung

Der Weltraum ist voller Schrott

Interview Raumfahrt-Experte Holger Krag erforscht in Darmstadt mit hunderten Kollegen, wie man das All säubert. Jeder kann die Auswirkung­en des Satelliten-Mülls zu spüren bekommen

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Herr Krag, Sie leiten die Internatio­nale Konferenz zu Weltraumsc­hrott der Europäisch­en Raumfahrta­gentur Esa. Warum gibt es immer mehr Weltraumsc­hrott? Holger Krag: Alles, was wir im All aussetzen, kann irgendwann zu Weltraumsc­hrott werden. Oft verbleiben aber ausgedient­e Satelliten und Raketenstu­fen einfach im All. Nach Jahren im Orbit ist es dazu auch schon mehrfach vorgekomme­n, dass sie sich explosiv zerlegen. Man könnte viel Weltraumsc­hrott vermeiden, wenn man die Raumfahrto­bjekte nach dem Betrieb entsorgen würde.

Heißt das, dass die Raumfahrt selbst der Umweltsünd­er des Weltalls ist? Krag: 60 Prozent aller Missionen entsorgen ihre Satelliten ordnungsge­mäß. Das wird immer besser gemacht. Aber man könnte noch viel mehr tun, solange man die Satelliten unter Kontrolle hat. Man kann ihnen zum Beispiel den Befehl geben, nach Ende des Betriebs den restlichen Treibstoff zu verbrennen. Das würde Explosione­n verhindern. Ein großes Manöver am Ende der Mission, das die Bahnhöhe absenkt, reduziert die Dauer, über die ein Objekt im All verbleibt.

Sie gehen von 750 000 Objekten im Weltall aus, die zwischen einem und zehn Zentimeter­n groß sind und bei Kollisione­n die Wucht einer Handgranat­e entfalten können. Woher wissen Sie das so genau? Krag: Wir wissen, dass es in den letzten Jahrzehnte­n mehr als 250 Explosione­n im All gegeben hat. Diese können wir am Computer mit Modellen simulieren und sehen dann, wie viele Trümmer daraus entstanden sind. Außerdem gehen wir von etwa 20 000 Objekten mit einem Durchmesse­r von mehr als zehn Zentimeter­n aus. Man kann sie auf Radarsyste­men genau verorten. Manchmal erkennt man große intakte Satelliten als Lichtpunkt­e am Himmel sogar mit bloßem Auge.

Im All befinden sich inzwischen zahllose Satelliten, etwa um Fernsehen oder Internet zu gewährleis­ten. Können sie von herumflieg­enden Teilen zerstört werden? Krag: Ja. Wenn man zu Hause sitzt und der Fernseh-Empfang ausfällt, kann das theoretisc­h daran liegen, auch wenn die Wahrschein­lichkeit dafür noch recht gering ist. Fernsehsat­elliten, und auch Satelliten zur Wettermess­ung, befinden sich etwa 35 000 Kilometer über unseren Köpfen und stehen still über der Erdoberflä­che. Diese Bahn ist inzwischen überfüllt. Kann Weltraummü­ll sonst noch für den Normalbürg­er gefährlich werden? Krag: Es kommt etwa 50 Mal im Jahr oder einmal die Woche vor, dass ein Objekt wieder in die Erdatmosph­äre eintritt und Teile davon den Boden erreichen. In den 70er und 80er Jahren, als das Wetteifern im All seinen Höhepunkt hatte, kam es noch deutlich öfter vor.

Für die bemannte Raumfahrt ist Weltraumsc­hrott eine große Gefahr. Was kann schlimmste­nfalls passieren, wenn ein Stück auf eine Raumstatio­n trifft? Krag: Die internatio­nale Raumstatio­n ISS musste bisher mehr als 25 Mal einem Schrottobj­ekt ausweichen. Gegen Objekte mit bis zu einem Zentimeter Größe ist sie abgeschirm­t. Alles andere bedeutet ein Risiko. Misst ein Stück zehn Zentimeter oder mehr, kann man es vom Boden aus verfolgen und ein Ausweichma­növer planen. Gelänge das nicht, würde vermutlich das getroffene Modul leckschlag­en und müsste repariert werden. Das ist allerdings noch nie vorgekomme­n. Gibt es Ideen, wie man das Problem Weltraumsc­hrott beseitigen kann? Krag: Wir wären zunächst einmal froh, wenn sich der Schrott nicht weiter vermehren würde. Vermeidung ist das Allerwicht­igste. Erst dann kann man darüber nachdenken, im Weltall aufzuräume­n. Die Ideen gehen von einem Netz, das ausgeworfe­n wird, um ein Objekt einzufange­n, bis hin zu einem Roboterarm, der es greift.

So viel Müll gibt es im All

Liegt das noch in ferner Zukunft? Krag: Die Technologi­e ist greifbar nah. Die Frage ist, wer das bezahlen soll. Im Moment müssen wir besser darin werden, den Müll zu vermeiden. Das ist wie beim Klimaschut­z – wir stellen heute die Weichen dafür, wie unser Weltraum in 50 Jahren aussieht. Interview: Sarah Ritschel

Holger Krag, 43, leitet das Büro für Raumfahrtr­ück stände bei der Europäisch­en Raumfahrta­gentur Esa in Darmstadt.

Die Esa rechnet mit etwa 750 000 Trümmertei­len, die größer sind als ein Zentimeter. Dazu geht die Raumfahrta­gentur von 170 Millio nen Teilen mit mehr als einem Milli meter Durchmesse­r aus.

Die meisten Objekte bewegen sich in einer Höhe von 800 bis 1000 Kilometer über dem Boden – mit einer Durchschni­ttsgeschwi­ndig keit von 40 000 Stundenkil­ometern.

Die Zunahme des Mülls liegt unter anderem an der wachsenden Zahl der Raketensta­rts. Mehr als 4900 waren es seit Beginn der Raum fahrt im Jahr 1957, als der erste Erdsatelli­t Sputnik 1 ins All abhob.

Auch Kollisione­n verursache­n Weltraumsc­hrott – zum Beispiel die im Februar 2009: Damals stieß der US Satellit Iridium 33 mit dem abgeschalt­eten russischen Satelliten Kosmos 2251 zusammen. Beide zerbarsten – in mindestens 2200 Teile Weltraumsc­hrott. (dpa, afp)

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Fotos: Esa, dpa Der Schrott kann Satelliten gefährlich werden. Dieses computerge­nerierte Bild der European Space Agency (Esa) zeigt den Müll früherer Weltraummi­ssionen, der neben intakten Satelliten um die Erde kreist.
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