Leben retten übers Telefon
Medizin Wer als Laie Erste Hilfe leistet, befindet sich in einer Ausnahmesituation. Die Wiederbelebung in den ersten Minuten kann Leben retten. Die Integrierte Leitstelle unterstützt Ersthelfer telefonisch
Landkreis Ausmalen möchte man es sich nicht. Wie es sein muss, wenn die Frau neben einem auf dem Sofa sitzt, zusammen mit dem erst wenige Monate alten Kind, und plötzlich zusammenbricht, Kammerflimmern hat, auf dem Weg ins Krankenhaus mehrfach mit einem Defibrillator geschockt werden muss. Oder wie es sein muss, einen Schrei aus dem Badezimmer zu hören und seine Tochter leblos in der Badewanne zu finden, die dort mit einem Handy telefoniert und einen Stromschlag erlitten hatte.
Es sind nur zwei der Fälle, auf die Dr. Renate Demharter nun bei der Verbandsversammlung des Zweckverbandes für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung Augsburg hinwies. Zwei Fälle, die noch einmal glimpflich ausgingen. Beide Frauen, die 42-jährige Mutter eines wenige Monate alten Kindes und die Teenagerin, deren Handy in die Badewanne gefallen war, trugen keine dauerhaften Schäden davon. Dass es so kam, lag auch daran, dass Angehörige sie direkt wiederbelebten und dabei telefonisch Anweisungen eines Mitarbeiters der Integrierten Leitstelle in Augsburg erhielten, bis der Rettungsdienst eintraf.
Ganz ungewöhnlich ist diese Situation nicht; seit Jahren schon haben Mitarbeiter der Leitstelle immer mal wieder einzelne Anrufer bei der Wiederbelebung angeleitet, berichtet Demharter, eine von zwei Ärztlichen Leitern beim Zweckverband. Seit 2013 wurde diese telefonische Anleitung zum Standard. Bei einem Verdacht auf Herz-KreislaufStillstand müssen die Mitarbeiter der Leitstelle ihre Anleitung anbieten. Die Mitarbeiter der Leitstelle, die nicht nur für Augsburg, sondern auch für die Landkreise AichachFriedberg, Augsburg, Dillingen und Donau-Ries zuständig ist, werden speziell geschult und geben die telefonischen Anweisungen nach einem Algorithmus, einer Standardvorgehensweise. Sie unterstützen die Ersthelfer vor Ort, geben gezielt Auskunft, motivieren. Es gebe Leute, sagt Demharter, die Erste Hilfe leisten wollten, sich aber nicht trauten. Durch den Anruf trauten sich viele nun.
Dabei geht es nicht darum, die Arbeit des geschulten Personals zu ersetzen, sondern die Zeit zu überbrücken, bis es vor Ort ist. Zwölf Minuten beträgt die sogenannte Hilfsfrist im Freistaat. Das heißt, dass ein Rettungswagen innerhalb dieser Zeitspanne nach dem Notruf sein muss. Wie hilfreich direkte Wiederbelebungsmaßnahmen sein können, machte Notfallmedizinerin Demharter an Zahlen deutlich: Die Chancen, einen Herz-Kreislauf-Stillstand zu überleben, sinke um sieben bis zehn Prozent pro Minute. Mit unmittelbarer Reanimation würden die Überlebenschancen der Betroffenen verdoppelt. In zwölf Prozent der Fälle der vergangenen beiden Jahre, in denen ein Mitarbeiter der Leitstelle bei der Wiederbelebung angeleitet hat, überlebten die Patienten ohne Folgeschäden. In internationalen Studiengebieten liege diese Zahl zwischen neun und 17 Prozent, berichtet Demharter, man befinde sich also etwa im Mittelfeld. Insgesamt sei die Überlebensrate von Patienten mit Herz-Kreislauf-Stillstand gestiegen, auch wenn die genauen Auswertungen noch ausstehen.
2015 und 2016 gab es bei der Integrierten Leitstelle insgesamt 58 Fälle von Telefonreanimationen, 2017 bislang neun. Eine Mund-zuMundoder Mund-zu-Nase-Beatmung sei in den ersten Minuten nicht nötig, sagte Demharter. In den ersten zehn Minuten sei der Sauereingetroffen stoffgehalt im Blut noch ausreichend; Laien, die Erste Hilfe leisteten, sollten sich daher bis zum Eintreffen der Rettungskräfte auf eine Herzdruckmassage mit 100 bis 120 Kompressionen pro Minute konzentrieren. Eine Herausforderung bei der Telefonreanimation sei die Sprachbarriere, sagt Demharter. Anrufer also, die kein Deutsch sprechen. „Wir arbeiten an der Telefonreanimation in Englisch.“O
Info Die Integrierte Leitstelle ist im Notfall über die Nummer 112 erreich bar.