Gehasst, gejagt, geliebt
Ratten In der Gunst der Menschen steht das Tier nicht besonders hoch. Es gilt als Überträger von Krankheiten und wird in Laboren als Versuchstier genutzt. Trotzdem hat es auch Fans. Über das Verhältnis zwischen Mensch und Ratte
Augsburg Die Ratte hat es nicht leicht. Huscht sie einem Menschen über den Weg, folgt oft ein lauter spitzer Schrei oder eine panische Flucht. Selbst wenn die Ratte gar nichts Böses im Sinn hatte, sonderlich beliebt ist sie nicht. Schuld daran ist nicht nur ihr für viele unvorteilhaftes Aussehen, sondern auch ihr Image als Überträger von Krankheiten. Für die Pest, die im Mittelalter in Europa grassierte und Millionen Menschen das Leben kostete, war der Rattenfloh, der im Fell des Nagers saß, der Hauptüberträger. Besonders gut lebt es sich mit diesem Ruf nicht. In Städten werden Ratten gejagt, in Wohnhäusern lauern Fallen oder Kammerjäger und viele der Nager finden sich in Labors wieder. Doch bei allem Negativen: Es gibt auch Ratten-Fans, die die Eigenschaften des Tiers schätzen.
Das Verhältnis zur Ratte bleibt zwiespältig. Drei Menschen sprechen über ihre Beziehung zu dem Nager.
Die Ratte als Schädling
Städte und Kommunen haben ein besonderes Auge auf die Tiere, denn: „Ratten sind Überträger verschiedener Infektionskrankheiten“, sagt Dirk Wurm, Leiter des Ordnungsreferats der Stadt Augsburg. Ihm zufolge sind Ratten „Nahrungsmittelschädlinge“, deren Gefahr darin besteht, dass sie Lebensmittel verunreinigen und Bakterien oder Viren übertragen können.
Laut Dirk Wurm nicht das einzige Risiko, das von ihnen ausgeht: „Werden Ratten versehentlich in die Enge getrieben, greifen sie gezielt an.“Das könne beispielsweise beim Öffnen einer Mülltonne, in der die Ratte gerade nach Nahrung sucht, passieren. Außerdem entstünden durch die Ratten „große wirtschaftliche Schäden“an Gebäuden oder eben durch das Anknabbern von Lebensmitteln, die anschließend weggeworfen werden müssen.
Deshalb geht die Stadt gegen die Tiere vor. Leichtfertig tue sie dies allerdings nicht, sagt Dirk Wurm. Aufgrund des Tierschutzgesetzes dürfen keinem Tier grundlos Schmerzen zugefügt werden. Außerdem ist es strafbar, ein Wirbeltier „ohne vernünftigen Grund zu töten“. Der Schutz vor übertragbaren Krankheiten gilt allerdings als solcher Grund. Vor jeder Rattenbekämpfung werde deshalb geprüft, ob es wirklich nötig ist, die Tiere zu töten. Eine Alternative dazu sei die „Vergrämung“der Ratten, also die Tiere dauerhaft von einem Ort fernzuhalten. Um Ratten töten zu dürfen, brauchen Schädlingsbekämpfer eine spezielle Erlaubnis.
In Augsburg kümmern sich das Tiefbauamt und das Gesundheits- amt um die Bekämpfung. Das Tiefbauamt geht im Kanalnetz gegen die Tiere vor und das Gesundheitsamt berät Grundstückseigentümer, die gerade von Ratten geplagt werden.
Damit es gar nicht erst so weit kommt, sollten Menschen in der Stadt keine Tauben füttern, weil das Futter auf den Wegen die Ratten geradezu einlädt, aus ihrem Versteck zu kommen. Bei Mülltonnen am Haus sollte zudem immer der Deckel geschlossen sein. Ratten sind gute Kletterer und können leicht in die Tonne kommen. Zudem lockt der Geruch aus den offenen Tonnen die Tiere an.
Die Ratte als Haustier
Den Ekel vor Ratten empfinden längst nicht alle Menschen, vor allem bei Jüngeren stellt die Tierpflegerin Martin vom Augsburger Tierheim fest, dass sie interessiert an den Nagern sind. „Es sind eher die Älteren, die sagen, dass die Ratte eklig sei.“
Dabei seien die Tiere, die zu Hause gehalten werden, nicht vergleichbar mit den Ratten in der Wildnis, sagt Martin. Denn in der Regel sind es Farbratten, die sich in heimischen Käfigen tummeln. Martin selbst hatte auch schon Ratten als Haustiere. An ihnen schätzt sie vor allem deren Intelligenz: „Man kann mit ihnen kleine Kunststücke eintrainieren. Sie sind sehr lernbegierig.“Außerdem seien es sehr zutrauliche Tiere – wenn sie richtig behandelt werden. „Dann klettern sie auch gerne mal auf den Arm oder die Schulter.“
Wegen ihrer Eigenschaften empfiehlt Martin die Ratte als Haustier vor allem älteren Kindern. Bei jüngeren Kindern erlebte das Tier im Jahr 2007 einen regelrechten Boom. Damals erschien der Disney-Film „Ratatouille“in den Kinos. Er handelte von der Feinschmecker-Ratte Rémy, die einem unbegabten Küchengehilfen dabei hilft, Koch zu werden. Die Auswirkungen des Films waren auch im Augsburger Tierheim zu spüren, wie Martin erzählt: „Das war abartig. Wir haben sehr viele Tiere abgegeben, aber auch viele wieder bekommen.“Das Problem: Viele von ihnen waren trächtig, weshalb sich die Zahl der Ratten stark erhöhte. Mittlerweile sei das Interesse an den Ratten aber „eingeschlafen“.
Bei der Haltung der Tiere gibt es ein paar Dinge zu beachten. Zwar sind die Tiere auch nachtaktiv, oft werden sie aber schon nachmittags munter. Weil sich Ratten stark vermehren, sollten keine Tiere mit unterschiedlichem Geschlecht zusammen gehalten werden. Also nur Weibchen mit anderen Weibchen und Männchen mit Männchen. Außerdem sind Ratten sehr soziale Tiere. Deshalb sollten sie nicht allein in den Käfigen leben. Dieses Sozialverhalten zeigt sich laut Martin daran, dass Ratten gemeinsam schlafen, sich gegenseitig putzen, aber auch eifersüchtig aufeinander sein können – vor allem wenn es ums Essen geht.
Die Ratte als Versuchstier
Dass die Ratte ein sehr geselliges Tier ist, hat auch Andreas Wortmann schon festgestellt. Er ist Tierschutzbeauftragter der Universität Ulm und kommissarischer Leiter des Tierforschungszentrums der Uni. Das kümmert sich darum, dass der Tierschutz bei Versuchstieren eingehalten wird.
Laut der Versuchstierstatistik des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft waren die Ratten nach den Mäusen die Tiere, die 2015 am häufigsten für Tierversuche herhalten mussten. Auch in Ulm wird an Ratten geforscht. Allerdings seien es nicht sehr viele: „In der akademischen Forschung ist die Ratte nicht das zentrale Tier.“Das ist die Maus, die vor allem für Genversuche von Wissenschaftlern verwendet wird. Dafür seien die Ratten in der industriellen Forschung beliebt, sagt Wortmann. An der Uni Ulm werde vor allem an den Organzellen der Nager geforscht. Die Organe werden den toten Tieren entnommen.
Andreas Wortmann arbeitet in einem Berufsfeld, das häufig in der Kritik steht. Besonders, wenn es um Tierversuche an Haustieren geht. Bei diesen Tieren mit „Kuschelfaktor“, wie es Wortmann nennt, gibt es oft einen gesellschaftlichen Aufschrei. Bei den Ratten sei das aber nicht so. „Die Ratte hat eben einen gewissen Ruf.“
Zum Verhängnis wird der Ratte dieser Ruf allerdings nicht – gesetzlich zumindest. Tierversuche werden, ähnlich wie die Schädlingsbekämpfung, vom Tierschutzgesetz geregelt. Vor dem sind alle Tiere gleich, egal ob es um Katzen, Affen oder eben um Ratten geht. Andreas Wortmann kümmert sich darum, dass die Tiere artgerecht gehalten und behandelt werden. „Da gibt es teils strengere Vorschriften als bei der Haltung zu Hause“, sagt er. Deshalb haben die Tiere an der Uni Ulm viel Platz in ihren Käfigen, die Mitarbeiter werden extra geschult, wie sie mit den Tieren umgehen müssen und alleine lebt laut Wortmann keine der Ratten. „Ratten allein zu halten ist Tierquälerei.“Selbst bei Versuchen sollen sie nicht alleine sein.
Andreas Wortmann gefallen die soziale Ader der Nagetiere und ihre Intelligenz: „Sie sind sehr lernfähig und bilden sich genauso gerne fort wie wir. Ich mag Ratten gerne.“