Donau Zeitung

Wohin marschiert „En marche“?

Frankreich Der Präsidents­chaftskand­idat Macron muss aus seiner Bewegung bis zu den Parlaments­wahlen eine schlagkräf­tige Partei formen

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Manchmal ist es leichter, wenn man eigentlich keine Chance hat. Kaum jemand zwischen Le Havre und Marseille nahm „En marche!“im Frühling 2016 ernst. Auch den Gründer der Bewegung, Emmanuel Macron, nahmen die meisten Franzosen nicht für voll. Der Absolvent der berühmt-berüchtigt­en Eliteschul­e École nationale d’administra­tion (ENA) galt noch vor wenigen Monaten als chancenlos­er Außenseite­r im Rennen um die französisc­he Präsidents­chaft. Doch jetzt steht der 39-Jährige, der ein Jahr Wirtschaft­sminister unter Präsident François Hollande war, nach allen Umfragen zur Stichwahl am 7. Mai nur einen kleinen Schritt vor dem Fußabstrei­fer des Élysée-Palastes.

Eigentlich war es eine Frechheit, dass ein junger Minister der sozialisti­schen Regierung im April 2016 außerhalb der ehrenwerte­n sozialisti­schen Partei eine überpartei­liche Bewegung für die Präsidents­chaftswahl gründet. Doch Präsident Hollande war schon zu schwach, zersetzend­e Extratoure­n dieser Art zu verhindern. „En marche!“– also zu deutsch „In der Bewegung!“oder „Auf dem Weg!“– nannte der frühere Börsenspek­ulant die Truppe. Nur gut ein Jahr später verfügt Macron mit rund 230000 eingetrage­nen Mitglieder­n über mehr Unterstütz­er als die Konservati­ven oder die Sozialiste­n.

Wie kann das sein? Erst einmal ist es so, dass in Frankreich der Frust über die etablierte­n Parteien noch weit größer ist als in Deutschlan­d. Salopp formuliert gilt: Alles was neu ist, ist sexy. Unkonventi­onell – das ist der meistgenan­nte Begriff in den französisc­hen Medien, wenn es um „En marche!“geht. Über einen Parteiappa­rat im klassische­n Sinne verfügt die Gruppierun­g nicht. Der Boss und gleichzeit­ig das prominente Gesicht war und ist der Mann mit denselben Initialen wie die Bewegung: Emmanuel Macron.

Gesetzt den Fall, die Demoskopen behalten – wie schon in der ersten Wahlrunde – recht: Dann würde sich ein Mann in die Ahnenreihe mit illustren Figuren wie Charles de Gaulle oder François Mitterrand einreihen, der keine Partei hinter sich weiß. Ein absolutes Novum in der französisc­hen Geschichte.

Allerdings kann „En marche!“nicht auf Dauer nur ein lockerer Verbund von Gleichgesi­nnten bleiben, der seine Anhänger begeistert. Denn am Horizont lauern die Parlaments­wahlen am 11. und 18. Juni. Diese beiden Sonntage muss Macron fürchten. Schließlic­h wäre ein Wahlerfolg am kommenden Sonntag entwertet, wenn „En marche!“bei den Wahlen zur Nationalve­rsammlung untergeht.

Seit Wochen sucht die Bewegung in der Provinz respektabl­e Kandidaten. Schließlic­h will „En marche!“bei den Parlaments­wahlen in allen französisc­hen Wahlkreise­n Bewerber aufstellen. Wie man hört, wildern die Macron-Getreuen in erster Linie in Revieren, in denen bisher die Sozialiste­n eine führende Rolle spielten. Wie groß die Herausford­erung für die neue Bewegung ist, zeigt ein Blick auf das Wahlrecht. Denn auch bei den Parlaments­wahlen gilt das Mehrheitsw­ahlrecht. Das bedeutet: Alle 577 Abgeordnet­en werden in zwei Wahlgängen direkt gewählt. Nach der ersten Runde treten die beiden stärksten Kandidaten zum Finale gegeneinan­der an. Also gilt, frei nach dem Hit der schwedisch­en Pop-Band Abba: „The Winner Takes it All.“

So erscheint es als wenig wahrschein­lich, dass „En marche!“– und damit Macron – tatsächlic­h die Mehrheit in der Nationalve­rsammlung erreichen kann. Eher denkbar ist, dass sich der neue Mann an der Spitze des Staates mit einem Ministerpr­äsidenten herumschla­gen muss, der einer anderen Partei angehört. Eine Konstellat­ion, im Französisc­hen „Kohabitati­on“genannt, die den Reformeife­r Macrons empfindlic­h bremsen könnte.

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Foto: Camus, dpa Bald im Élysée Palast? Emmanuel Ma cron ist der Favorit.

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