Donau Zeitung

Merkel knöpft sich Erdogan vor

Kanzlerin verschärft den Ton im Fall Yücel

- VON SUSANNE GÜSTEN

Berlin/Istanbul Angela Merkel wirkt angriffsbe­reit wie selten. Die Kanzlerin nimmt sich am Donnerstag im Bundestag überrasche­nd die Türkei vor. Lange hat sie sich mit scharfer Kritik an dem türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan und dessen autokratis­chem Machtanspr­uch zurückgeha­lten. Im Sinne der Beziehunge­n zwischen Ankara, Berlin und Brüssel und wohl auch im Sinne des Flüchtling­spakts. Aus Sicht von Abgeordnet­en im Bundestag hat sie oft zu weich reagiert. Nicht so am Donnerstag.

„Es ist, um das unmissvers­tändlich zu sagen, mit einem Rechtsstaa­t nicht vereinbar, wenn eine Exekutive, in diesem Fall die türkische Exekutive, Vorverurte­ilungen vornimmt, wie das etwa mit Deniz Yücel öffentlich geschehen ist.“Gegen den deutsch-türkischen Welt-Korrespond­enten wurde Ende Februar Haftbefehl erlassen. Yücel, der kritisch über die türkische Regierung berichtet hatte, werden Terrorprop­aganda und Volksverhe­tzung vorgeworfe­n. Über Wochen war deutschen Diplomaten verwehrt worden, ihn im Gefängnis zu besuchen.

Lange galt es im Kanzleramt als nützlicher, sich hinter den Kulissen und nicht öffentlich für Yücel einzusetze­n – aus diplomatis­chen Gründen. Auch zum umstritten­en Referendum, bei dem Mitte April 51,4 Prozent der wahlberech­tigten Türken für ein Präsidials­ystem (das Erdogan mehr Macht verleiht) gestimmt haben, hatte sich Merkel noch nicht selbst öffentlich geäußert. Nun hat sie ihre Zurückhalt­ung aufgegeben.

Der Fall Yücel „mit einem Rechtsstaa­t nicht vereinbar“? Das ist für Merkels Verhältnis­se ein scharfes Wort gegen einen Staatschef, zu dem sie den Draht nicht verlieren will. Trotz aller Zweifel an einem korrekten Ablauf des Referendum­s warnt sie vor dem endgültige­n Bruch mit Ankara. Die Türkei müsste ihrer Ansicht nach nicht Mitglied der Europäisch­en Union werden – aber Partner bleiben.

In der Türkei festigt Erdogan derweil seine Machtposit­ion. Bei erneuten Razzien wurden mehr als 9000 Polizeibea­mte unter dem Verdacht der Mitgliedsc­haft in der Bewegung des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen vom Dienst suspendier­t. Die Säuberungs­welle in der Polizei hatte bereits nach dem Putschvers­uch im vergangene­n Juli begonnen.

Lange Zeit galt die türkische Polizei als Machtbasis der Gülen-Anhänger, die in den vergangene­n Jahren zunächst mit der Regierungs­partei AKP zusammenar­beiteten, sich dann aber mit dem ErdoganLag­er überwarfen. Seit Juli sind fast 150000 Menschen aus dem Staatsdien­st entlassen worden, darunter viele Polizisten, Richter und Staatsanwä­lte. Mehrere zehntausen­d Verdächtig­e sitzen in Untersuchu­ngshaft.

Inzwischen berief die ErdoganPar­tei AKP für den 21. Mai einen Sonderpart­eitag ein. Dann soll der Staatschef, der nach bisherigem Recht kein Parteiamt bekleiden durfte, offiziell zum Parteivors­itzenden gewählt werden. (mit dpa)

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Foto: Kappeler, dpa Kanzlerin Merkel hat den Ton gegenüber Erdogan verschärft.

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