Rehkitze vor Mähbalken schützen
Interview Jagdverbands-Präsident Jürgen Vocke über Chancen, Risiken und Neuheiten rund um das Thema Grünland. Wie Wildtiere von einer extensiven Bewirtschaftung profitieren könnten
Herr Vocke, am Freitag findet in Hopfen am See das Grünlandsymposium statt. Als Veranstalter hätte man eher Vertreter der Landwirtschaft vermutet. Warum ist das Thema auch für den Jagdverband wichtig? Jürgen Vocke: Spricht man landläufig von Lebensraumgestaltung für Wildtiere, Vögel und Insekten, so denken wir meist an Blühflächen auf dem Acker. Der Lebensraum Grünland wird oftmals außer Acht gelassen. Dabei ist Grünland, das etwa ein Drittel der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Bayern umfasst, von mindestens ebenso großer Bedeutung. Dauergrünland bietet das ganze Jahr über Nahrung und Lebensraum für Nutztiere in Form von Beweidung, Heu und Grassilage, aber auch für Wildtiere.
Gibt es neue Ansätze, die bei der Veranstaltung vorgestellt werden? Vocke: Ein neuer Weg ist zum Beispiel die Anlage sogenannter begrünter Abflussmulden. Bereits 2,5 Prozent der landwirtschaftlichen Flur wären ausreichend, um den Abfluss von Wasser wesentlich zu reduzieren. Diese begrünten Abflussmulden wirken effektiver als Gewässerrandstreifen und haben Vorteile: Sie vernetzen verschiedene Naturräume und machen dadurch Tierwanderungen möglich. Sie bieten Rückzugsraum in der landwirtschaftlichen Flur und schaffen Vielfalt. Untersuchungen zeigen, dass trotz des sehr geringen Flächenumfangs zum Beispiel die Zahl der Tierarten nach Anlage von begrünten Abflussmulden stark zunimmt.
Welche Chancen bietet die extensive Grünlandbewirtschaftung? Vocke: Extensive Grünlandnutzung ist eine echte Chance für Wildtiere. Wird erst ab Mitte Juni gemäht, also nach der Hauptsetzzeit der Rehkitze, die typischerweise von der Rehgeiß im Grünland „versteckt“werden, und auch nach der Brutzeit von Bodenbrütern, so ist dies ein großer Vorteil. Durch einen späten ersten Schnitt kommen die Gräser auch zum Blühen, die Artenvielfalt und somit das Nahrungsangebot im Grünland nimmt zu. Darüber freuen sich nicht nur die Wildtiere, son- dern auch die Insekten. Im Bayerischen Vertragsnaturschutzprogramm und auch im Bayerischen Kulturlandschaftsprogramm werden für den Bereich Grünland – zum Beispiel für späte Schnittzeitpunkte oder Verzicht auf Düngung – verschiedene Förderungen angeboten.
Welche Folgen hat eine intensive Grünlandnutzung auf der einen Seite für Wild und auf der anderen Seite für Nutztiere? Vocke: Intensive Düngung, insbesondere Stickstoff, und häufiges Mähen fördern das Wachstum von Gras, mindern jedoch das der Kräuter und führen somit zur Artenverarmung. Die Artenvielfalt der Pflanzen wiederum fördert die Artenvielfalt der Tiere. Ohne Blüten gibt es keine Insekten und ohne Insekten fehlt den Bodenbrütern wie beispielsweise dem Rebhuhn eine wichtige Nahrungsgrundlage. Anders verhält es sich bei den Nutztieren. Junger Grünlandaufwuchs enthält mehr Eiweiß. Werden Milchkühe mit eiweißreichem Gras gefüttert, steigert dies die Milchleistung. Bei der Mahd von Grünland sind oft Kitze in Gefahr. Gibt es wildtierfreundliche Ernte-Technologien? Vocke: Erntetechnik kann mit Sensoren ausgestattet sein, die Wildtiere erkennen. Im Grünland ist diese Anwendung jedoch nicht praktikabel. Die Grünlandmahd erfolgt oftmals überbetrieblich und unter hohem Zeitdruck. Der Trend: Die Maschinen werden breiter und schneller. Ein vielversprechender Lösungsansatz ist etwa die Kitzrettung aus der Luft, bei der ein kleines Flugobjekt mit Infrarotkamera die zu mähende Fläche abfliegt. Entscheidend ist jedoch, dass den Herstellern von Landmaschinen, den Landwirten, den Verbänden und Naturnutzern die Verantwortung bei der Grünlandmahd bewusst ist.
Interview: Katharina Müller
Jürgen Vocke ist Präsident des Bayerischen Jagdver bandes. Außerdem ist Vocke ehemaliger Abgeord neter des Bayerischen Landtages.