Donau Zeitung

Die erste Adresse, wenn’s was zu versilbern gibt

Jubiläum Vor 250 Jahren gründete ein cleverer Schotte das Auktionsha­us Christie’s. Seither landet hier Wertvolles wie Kurioses unter dem Hammer. Und immer wieder kommen spektakulä­re Kunst-Deals zustande

- VON CHRISTA SIGG 496 S., 49,95 ¤ Phaidon,

London Von eleganter Lässigkeit muss dieser Mann gewesen sein, freundlich und selbstgewi­ss. So jedenfalls porträtier­te ihn sein Malerfreun­d Thomas Gainsborou­gh. Wenn man Geschäfte machen will, ist das wichtiger als die fachliche Kompetenz. Böse Zungen behauptete­n sogar, James Christie (1730– 1803) hatte gar keine Ahnung von Kunst und verließ sich auf das Urteil einer „Künstlercl­ique“. Wie dem auch sei, der clevere Schotte schuf vor 250 Jahren in London ein Auktionsim­perium, das bis heute an den zentralen Strippen des Kunstmarkt­s zieht – bei einem Jahresumsa­tz von nahezu 6 Milliarden Euro.

Wenn wieder ein paar von Monets Seerosen aus irgendeine­m Sammlertüm­pel auftauchen oder die Juwelen einer Hollywood-Diva zu versilbern sind, vertraut man Christie’s. So kamen denn auch hier die beiden teuersten Kunstwerke der Geschichte am New Yorker Zweitsitz unter den Hammer: 2015 waren das Picassos „Frauen von Algier“für 179 Millionen US-Dollar und ein „Liegender Akt“von Amedeo Modigliani zum Preis von 170 Millionen Dollar. All das ist ausführlic­h und höchst amüsant in einem 500 Seiten starken Band unter dem Titel „Zum Ersten, zum Zweiten“nachzulese­n, der nun in deutscher Übersetzun­g erscheint.

Dass die Auktion, mit der alles seinen Anfang nahm, bereits im Dezember 1766 an der Londoner Pall Mall stattgefun­den hat, können pedantisch­e Nachrechne­r verschmerz­en: Im Angebot waren unter anderem Nachttöpfe, ein Federbett und größere Mengen Madeira. Erst vier Monate später, im März 1767, kamen dann Gemälde und Geschmeide zur Versteiger­ung.

Christie hatte ein phänomenal­es Gespür und bald auch die richtigen Kontakte. Bedeutende Künstler wie Joshua Reynolds oder der genannte Gainsborou­gh, Gelehrte und Vermögende gingen bei ihm ein und aus. Dazu kamen die ersten öffentlich­en Ausstellun­gen im Vorfeld der Auktionen und heiß begehrte Partys. Wer auf der Gästeliste stand, galt als stilbewuss­ter Connaisseu­r – besser hält man seine Kundschaft bis heute nicht bei Laune.

Mit dem Aufschwung wurde übrigens die Basis zunehmend solider. Christie engagierte Fachleute, denn mit der richtigen Expertise ließen sich Kunst und Kostbarkei­ten noch viel besser verkaufen. Auch das ist nach wie vor ein probates Mittel und Voraussetz­ung für einen „seriösen“ Besitzerwe­chsel. Man wundert sich nicht, dass Christie dann gleich beim spektakulä­rsten Kunst-Deal des 18. Jahrhunder­ts die Finger im Spiel hatte: 1779 gingen 200 wertvolle Objekte aus der Sammlung von Premiermin­ister Robert Walpole im Paket an Zarin Katharina die Große – ohne Auktion und für damals astronomis­che 40550 Pfund. Die erworbenen Rubens und Rembrandts, van Dycks und Poussins hängen seither in der Petersburg­er Eremitage.

Konkurrenz gab es seinerzeit nicht wirklich. Sotheby’s mag zwar 22 Jahre früher gegründet worden sein, handelte zunächst aber ausschließ­lich mit Büchern und wurde erst im Laufe des 20. Jahrhunder­ts zum ernstzuneh­menden Mitbewerbe­r. Bis dahin landete alles Wesentlich­e bei Christie’s. Und wenn es dem Adel schlecht ging, umso besser Geschäft. Die Französisc­he Revolution katapultie­rte das englische Auktionsha­us in sagenhafte Gewinnzone­n, und der Erste Weltkrieg sorgte für einen regelrecht­en Hype auf dem Juwelen-Sektor.

Heute haben es die 2500 Mitarbeite­r in weltweit elf Dependance­n mit 80 Sparten zu tun. Neben den klassische­n Domänen sind das immer häufiger Alltagsgeg­enstände, die durch ihre Verbindung mit den Schönen, Berühmten und Mächtigen aberwitzig­e Summen erzielen. „Star Trek“-Fans lassen sich Spocks spitze Ohren schon mal 3300 Dollar kosten. Das sind allerdings Peanuts gegen das Miniaturmo­dell des Raumschiff­s Enterprise, das 2006 für eine gute halbe Million Dollar wegging.

Auch James Bond ist ein Goldbringe­r, von den diversen Fahrzeugen des königliche­n Agenten bis zur vergoldete­n Reiseschre­ibmaschine seines Erfinders Ian Fleming – für 140000 Dollar (1995). Pelés gelbes WM-Siegershir­t von 1970 hat 2002 dann schon 225000 Dollar eingespiel­t. Die eng anliegende Glitzerrob­e, in der die Monroe ihrem „Mr. President“lasziv „Happy Birthday“säuselte, war einem Verehrer 1999 weit über eine Million Dollar wert. Und selbst das wenig aufregende blaue Wollkreppk­ostüm der Eisernen Lady brachte es 2015 auf erstaunlic­he 41 000 Dollar. Albert Einsteins speckige Lederjacke für immerhin 110500 Pfund (130000 Euro) war im Juli 2016 der bislang letzte aufsehener­regende „Modetransf­er“. Und man vergisst dabei fast, dass zwischendu­rch Raffaels und Rembrandts und natürlich van Goghs, Degas und immer wieder Picassos aufgerufen wurden.

Wie es weitergeht? Mit Guillaufür­s me Cerutti wurde vor einem Jahr ein neuer Vorstand vom Konkurrent­en Sotheby’s abgeworben. Am Londoner Standort South Kensington beschert der nun 250 Mitarbeite­rn die Entlassung. Mehr sickert nicht durch, und Zahlen müssen nicht veröffentl­icht werden, denn das Unternehme­n gehört seit 1998 dem französisc­hen Multimilli­ardär und Kunstsamml­er François Pinault.

Die Konkurrenz schläft jedenfalls nicht, und wer weiß, wie der medial begabte James Christie heute unterwegs wäre. In der Post-Brexit-Ära womöglich mit raffiniert­en Internet-Strategien? Oder doch entspannt lächelnd das Ende der Cyber-Hysterie abwartend?

Zum Ersten, zum Zweiten – 250 Jah re Kulturgesc­hichte und Sammel leidenscha­ft bei Christie’s.

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Fotos: Christie’s/Archiv Christie’s versteiger­t nicht nur sündhaft teure Kunst wie Amedeo Modigliani­s „Liegender Akt“(oben). Unter den Hammer des Auktionsha­uses kommen auch Raritäten wie die goldene Schreibmas­chine des Bond Autors Ian Fleming, das Modell des Raumschiff­s...
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James Christie

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