Lasst alles raus!
Erziehung Im Lauinger Kindergarten St. Martin hängt jetzt ein Boxsack. Der kommt bei Kindern und Eltern gut an
Lauingen Für ein Kind, das noch in den Kindergarten geht, kann Arbnor schon ziemlich kräftig zuschlagen. Mit der linken Hand, im Boxhandschuh zur Faust geballt, haut er fest auf den Boxsack. Dieser schwingt von ihm weg, derweil holt Arbnor mit dem rechten Arm aus und schlägt den Sack noch einmal kräftig zurück. Wenn die Kinder des St.-Martin-Kinderhauses in den Bewegungsraum dürfen, sind sie begeistert. Denn am neuen Boxsack ist alles erlaubt.
Kinder und zuschlagen? Für wen das so gar nicht zusammenpasst, der wird in Lauingen eines Besseren belehrt. „So können die Kinder ihre überschüssige Energie loswerden“, sagt Leiterin Petra Gerhardt. Und davon hat nicht nur Arbnor jede Menge. Auch Scarlett, Johanna und die anderen Kinder aus der blauen Gruppe hauen der Reihe nach auf den Boxsack. Lukas kennt das schon, er habe zu Hause auch einen, erzählt er.
Die Idee zum neuen Sportgerät kam aus dem Elternbeirat. Gerhardt ging anschließend auf die Experten vom Studio Rayong in Lauingen zu. „Für Kinder braucht man einen weicheren Boxsack, sodass die Gelenke nicht so stark belastet werden“, weiß Studiobesitzer Roland Steinle. Er hat den passenden ausgesucht und dem Kindergarten gespendet.
Steinle freut sich, wenn sich Kinder schon früh mit Kampf und Selbstverteidigung auseinandersetzen. So könne man Eltern und Kinder damit vertraut machen, dass Kampfsport eine Sportart ist – wie Fußball auch.
Wie beim Fußball auch gibt es Regeln, die der Boxtrainer und die Erzieherin den Kleinen gezeigt haben. Zum Beispiel dürfen maximal zwei Kinder an den Boxsack, alle anderen müssen Abstand halten.
Wenn der Sack zu sehr ins Schwingen gekommen ist, wissen die Kinder auch, wie sie ihn sicher zum Stoppen bringen. Johanna breitet ihre Arme aus und schließt sie um den Sack, als er in ihre Richtung schwingt. Als sie mit Boxen dran ist, hält sie den Arm gerade. So belastet sie das Handgelenk nicht zu sehr, erklärt Trainer Roland Steinle.
Eine Regel gibt es nicht: Niemand muss sich beherrschen, wenn es ums Zuschlagen geht. „Die Kinder dürfen auch übertreiben, dazu ist er ja da“, sagt Gerhardt. Die Sozialpädagogin Sara Rebele-Fayala sagt dazu: „Auch bei Kindern können sich Aggressionen stauen. Es ist gut, sie umzulenken, wenn ein Kind sauer ist.“
Um der überschüssigen Energie der Kinder früh eine Struktur zu geben, besuchen Steinle und Rebe- le-Fayala zusammen Schulen in der Region. Sie wollen Kinder und Jugendliche mit Kampftechniken und Selbstverteidigung vertraut machen. Zum Programm gehören Theorieeinheiten und praktische Kurse.
Entscheidet sich ein Kind dafür, eine Kampfsportart richtig zu lernen, gibt es in Lauingen Kurse für Kinder ab vier Jahren. Doch für alle unter zwölf Jahren gelten Regeln, die das Internationale Olympische Komitee (IOC) vorgibt. Roland Steinle ist Vorsitzender beim Muay Thai Bund Bayern und war daher an vielen Diskussionen beteiligt. Die wichtigsten Regeln sind: „Schläge am Kopf sind nicht erlaubt, und es ist wichtig, dass die Trainer speziell für Kinder ausgebildet worden sind. Es geht auch darum, den Drang zum Gewinnen, den viele Kinder stark haben, etwas auszubremsen.“
Ums Gewinnen geht es im Lauinger Kindergarten nicht. Hier steht der Spaß im Vordergrund. „Das hat mit richtigem Kämpfen wenig zu tun, für die Kinder ist es einfach toll, dass sie etwas ganz Neues machen dürfen, was sie sonst nur aus dem Fernsehen kennen“, sagt Petra Gerhardt. Weil der Andrang im Bewegungsraum oft groß ist, gibt es demnächst noch ein paar kleinere Boxhandschuhe – Steinle denkt sogar darüber nach, noch einen weiteren Boxsack aufzuhängen. Die Kinder würde es freuen. „Toll“, rufen sie.
Kinder haben einen starken Drang zu gewinnen