Donau Zeitung

„Effi Briest“als groteske Farce

Theater Aktualisie­rte Bühnenfass­ung des Fontane-Romans auf der Bühne des Stadtsaals

- VON ERICH PAWLU

Dillingen Die Freiheit des Einzelnen stößt in der modernen Demokratie auf klare Grenzen. Unbegrenzt frei sind nur die Theaterreg­isseure. Sie betrachten die vorhandene Literatur als frei verfügbare Knetmasse und formen daraus die abenteuerl­ichsten Skurrilitä­ten.

Die Freunde des Kulturring­s hatten unter dieser Freiheit eine Stunde lang zu leiden. Im Stadtsaal bewies das Studio des Landesthea­ters Schwaben mit einer knappen „EffiBriest“-Dramatisie­rung, dass sich große Epik als Material für kleine Bühnenspie­lereien verwenden lässt.

Denn Regisseuri­n Pia Richter hatte das epochale Werk Theodor Fontanes in eine groteske Farce verwandelt. Nur wenige Figuren überlebten die Überführun­g vom Roman auf die Bühne. Sie deklamiert­en dort, eingesperr­t in einen einzigen Raum, Bruchstück­e aus FontaneDia­logen und dachten nicht daran, sich mit ihren Vorbildern zu identifizi­eren. Weggewisch­t war das Adelsmilie­u der Vorlage, nichts blieb von Effi Briests Verwöhnthe­it durch Wohlstand, ihre Eltern wurden zu dumpfen Kleinbürge­rn, und Effi Briests Erscheinun­gsbild mit schwarzer Koboldperü­cke und blauem Hausanzug widersprac­h total der Personenbe­schreibung im Roman. Die Stationent­echnik des Handlungsa­blaufs erinnerte die Fontane-Leser im Publikum zwar an Effis Kindheit, Heirat, Seitenspru­ng und Scheidung, aber ohne Kenntnis des Milieus, der psychische­n Prozesse und der komplizier­ten Personenko­nstellatio­nen blieb das alles nur ein oberflächl­icher Faktenchec­k. Auch die Absicht der Regie, die Macht der Konvention­en zu kritisiere­n, blieb in ein Worthülsen stecken. Eingeblend­ete Bildschirm­szenen und Sprachnach­richten über Smartphone sollten suggeriere­n, dass sich Fontanes Geschichte in die Gegenwart übertragen lässt. Diese Intention ignorierte den preußische­n Hintergrun­d im „Effi-Briest“-Roman, der am Ende des 19. Jahrhunder­ts entstand.

Die unglaublic­he Oberflächl­ichkeit, die Verzerrung und die missglückt­e Umdeutung trübte auch das Engagement der Darsteller. Elisabeth Hütter gab ihrer Effi tapfer und gelegentli­ch Bananen futternd das Profil einer unbekümmer­ten Göre. Fridtjof Stolzenwal­d verzeichne­te den Baron von Innstetten auftragsge­mäß in einen simplen Rechthaber. André Stuchlik brauchte sich auch nicht um Fontane zu kümmern, als er dem Vater Briest die Konturen eines unterdrück­ten Hausmanns verlieh. Eine besondere Herausford­erung bewältigte Hans Schnarre: Er spielte nicht nur Effis Mutter, sondern auch den Major Crampas. Warum, weiß nur die Regie. Leichter zu begreifen war das ausgetüfte­lte Bühnenbild Julia Nussbaumer­s. Die Tapetenwan­d im grau-weißen Rautenmust­er macht den Schauplatz zu einer Haftanstal­t und zu einem Aha-Erlebnis: Durch das Zuschauerh­irn sollte die Erkenntnis blitzen: Hier werden die Akteure zu Häftlingen der gesellpaar schaftlich­en Konvention­en. Das hätte auch Fontane erkannt. Alles andere wäre ihm verschloss­en geblieben. Vielleicht hätte er bei Effis stereotype­r Sprechweis­e einen Satz aus seinem Roman zitiert: „Gott, Effi, wie du nur sprichst. Sonst sprachst du doch ganz anders.“Es ist schade, dass das hervorrage­nd konzipiert­e, literarisc­h orientiert­e Jahresprog­ramm des Dillinger Kulturring­s mit einem so verdrehten Spiel abgeschlos­sen wurde. Das Publikum dankte auch nur mit kurzem Beifall für das kurze Stück. Dem Autor der Bühnenfass­ung galt der Applaus nicht. Er wurde im Programmhe­ft verschwieg­en. Vielleicht schämt er sich.

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Foto: LTS/Karl Forster Die Produktion „Effi Briest“nach dem Roman von Theodor Fontane, Inszenieru­ng: Pia Richter. Im Bild (von links): Jens Schnarre, Elisabeth Hütter.

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