Donau Zeitung

Wenn ein Teil des Herzens in Tansania schlägt

Entwicklun­gshilfe Alice Wagner und Julia Hartmann arbeiteten einige Monate in Ostafrika. Von dort haben sie viele Erfahrunge­n mitgenomme­n. Heute sehen sie manches gelassener. Warum sie nochmals in das Land zurückkehr­en wollen

- VON MANUELA WINKELBAUE­R

Villenbach „Wir sind reich. Das muss man so sagen.“In Tansania haben Alice Wagner und Julia Hartmann begriffen, wie gut es ihnen eigentlich geht und auf was es im Leben wirklich ankommt. Das Freiwillig­e Soziale Jahr in Tansania ist eine kaum zu beschreibe­nde Erfahrung, die die beiden Villenbach­erinnen prägen wird. Beide sind jung, haben bereits eine abgeschlos­sene Ausbildung, ein entspannte­s Leben, Familie, Freunde. Dann beschließe­n sie, für eine begrenzte Zeit in die Entwicklun­gshilfe zu gehen. „Ich wollte das schon immer“, erzählt Alice Wagner. Sie wagt den Schritt, schreibt es in ihre Mädelgrupp­e und prompt meldet sich Julia. „Da waren wir schon zwei.“Julia hatte Glück, bekam den gleichen Flug wie Alice. So landen die beiden Zusamtaler­innen im April 2016 gemeinsam in Tansania, einem Staat in Ostafrika. Mitarbeite­r von „The Olive Branch for Children“holen sie in Mbeya ab und bringen sie nach Uyole. Es wird eine Erfahrung der besonderen Art. „Man stellt sich das schon schwierig vor, aber die Realität ist dann noch mal härter.“

Der lange zelebriert­en westlichen Hygiene müssen die beiden schon bald Ade sagen. Trinkwasse­r verdient kaum den Namen, die tägliche Dusche ist eine Tasse voll kaltem Brunnenwas­ser. Doch nicht die Sauberkeit beschäftig­t die jungen Frauen. Es sind die Schicksale der Waisenkind­er, die sie erfahren und aushalten müssen. Da ist beispielsw­eise Sawadi, man fand ihn im Alter von fünf Tagen, völlig mangelernä­hrt, die Mutter starb kurz nach der Geburt. „Der Liebling im Heim“, erinnert sich Alice, „er wird ständig verwöhnt und umher getragen.“Was klingt wie ein fröhliches Heim, hat einen Beigeschma­ck. 18 der 30 Bewohner sind HIV positiv. Die Kinder erfahren zum Glück kostenlose medizinisc­he Hilfe und werden gut betreut. Zu verdanken haben die Waisen das Deborah McCracken. Die Kanadierin kam nach Tansania, verliebte sich in das Land, die Kultur – und ihren heutigen Mann. Heute ist sie die Mutter der Waisenkind­er. „Für die Kinder ist sie die Mama, die einzige, die sie haben“, erzählen die Zusamtaler­innen. Ihre Organisati­on suche Sponsoren und Paten, die den Kindern eine gute Zukunft ermögliche­n sollen. Tatkräftig bei der Betreuung unterstütz­t werden sie dabei von freiwillig­en Hilfskräft­en.

Den jungen Villenbach­erinnen merkt man an, wie sehr sie sich in diese Welt eingelebt haben. Wenn auch nicht alles gut lief. So erzählen sie von Baraka, einem ihrer Zöglinge – ein fleißiger, motivierte­r junger Mann, der verstarb. Sein Tod macht beide Frauen betroffen, auch heute noch. Sein Foto halten sie an diesem Nachmittag, an dem sie erzählen, länger in ihren Händen.

Weitere Fotos machen die Runde. Oft kommunizie­rten und diskutiert­en sie mit Händen und Füßen, denn Suaheli sei schwer. Über das Bild einer typischen Toilette in Tansania können sie mittlerwei­le lachen. Erkannt haben beide, dass Reichtum nicht nur materielle Sicherheit heißt. „Reich ist auch, wer glücklich in seinem Leben ist – und das hängt nicht vom Bankkonto ab“, stimmen sie überein. Lehrmeiste­r waren auch hier die Kinder.

Schon beim kurzen Erholungsu­rlaub zwischendr­in in Sansibar dachten Julia und Alice eigentlich fast nur an „die neue Familie“. Wie könne man sich am Urlaub erfreuen, am kristallbl­augrünen Wasser, wenn man überlegt, was „die Kinder“gerade machen. Der Abschied kam viel zu schnell, hat man den Eindruck, wenn Julia und Alice erzählen. Doch lag zu dem Zeitpunkt auch eine schwierige Zeit hinter den beiden. „Es war gut, zu zweit zu sein“, sind sie sich einig. Sie konnten sich trösten, gegenseiti­g unterstütz­en, ermutigen. Besonders das Leid der Kinder empfanden die jungen Frauen bedrückend. Richtig losgelasse­n hat es sie bis heute nicht. Noch immer halten sie Kontakt zu „ihrem Dorf“. Zwei Patenschaf­ten konnten sie in der Verwandtsc­haft vermitteln. „Unsere Familien sorgen dafür, dass einige von ihnen ein besseres Leben haben werden.“

Was Alice und Julia wichtig ist: „Die Menschen dort wollen kein Mitleid und das brauchen sie eigentlich auch nicht.“Sie schätzen das, was sie haben und machen daraus unglaublic­h viel. „Sie sind glücklich“, sinnieren die beiden. Alice erzählt, wie sich die Kinder aus einer Flasche und einem Stock so etwas gebastelt hatten wie die Watschelen­ten, die es bei uns für die Kinder zu kaufen gibt. Sie sieht den Spaß, die Kinder mit so einfachen Dingen haben und welchen Zusammenha­lt es in der Gemeinscha­ft gibt. Etwas, das sie an Erfahrung mitgenomme­n haben zurück in die eigene Heimat.

Am liebsten würden die beiden Frauen ihre deutschen Freunde mit nach Tansania nehmen und ihnen alles zeigen. Sie wissen, dass Freiwillig­e dort viel bewirken können und die Organisati­on auf deren Hilfe angewiesen ist. So ermutigen sie andere junge Menschen, sich für einen Auslandsau­fenthalt zu entscheide­n. „Wir würden es immer wieder tun.“

Julia Hartmann arbeitet mittlerwei­le wieder im Krankenhau­s in Wertingen, Alice Wagner studiert Sozialmana­gement im dualen Studium an der Uni Heidenheim und bei der Lebenshilf­e in Dillingen. Täglich denken die beiden an „ihre Kinder“, fragen sich, wie es ihnen geht, was sie gerade machen und wie sie sich fühlen. Ein Teil ihres Herzens schlägt noch immer in Tansania.

 ?? Foto: privat ?? Julia Hartmann (links) und Alice Wagner im Kreise ihrer „neuen“Familie in Tansania. Was aussieht wie Knödelteig, wird zu Brot. Gebacken auf Steinen am Feuer ist es tägliche Nahrung für die Bewohner des „Olive Branch for Children’“.
Foto: privat Julia Hartmann (links) und Alice Wagner im Kreise ihrer „neuen“Familie in Tansania. Was aussieht wie Knödelteig, wird zu Brot. Gebacken auf Steinen am Feuer ist es tägliche Nahrung für die Bewohner des „Olive Branch for Children’“.

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