Österreichs Vizekanzler Mitterlehner gibt auf
Hintergrund Die Querschüsse aus seiner eigenen Partei haben den ÖVP-Parteichef zermürbt. Kanzler Kern (SPÖ) spricht sich trotz der Regierungskrise gegen Neuwahlen aus. Jetzt könnte der Weg für den jungen Außenminister Kurz frei sein
Wien Am Ende wurde es ihm dann doch zu viel: Nach Intrigen, Turbulenzen und vielen Nadelstichen aus den eigenen Reihen ist der Chef der konservativen ÖVP und österreichische Vizekanzler, Reinhold Mitterlehner, gestern von allen Ämtern zurückgetreten. Jetzt könnte der Weg für den ÖVP-Jungstar und Außenminister Sebastian Kurz frei sein. Doch der 30-Jährige knüpft seine Kandidatur als Parteivorsitzender an Bedingungen. Am Wochenende soll der ÖVP-Vorstand entscheiden.
Gerade zweieinhalb Jahre hatte der 61-jährige Mitterlehner es im Amt des ÖVP-Chefs ausgehalten. Er ist damit der vierte Parteivorsitzende innerhalb von zehn Jahren, der das Handtuch wirft. „Ich finde, es ist genug“, sagte er in seiner Erklärung zum Rücktritt.
Während Mitterlehner sich als Mann des Ausgleichs für einen Erfolg der rot-schwarzen Regierungskoalition einsetzte, torpedierten sowohl der Innenminister Wolfgang Sobotka als auch das Umfeld von Außenminister Sebastian Kurz, die „Kurz-Partie“genannt, eine effiziente Arbeit. Zuletzt warf Innenminister Wolfgang Sobotka Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) „Versagen als Kanzler“vor. Dem Vernehmen nach versuchte Mitterlehner, Sobotka deshalb abzusetzen. Doch dabei ließen ihn die ÖVPLandeschefs im Stich. Hinzu kommt: Sobotka hatte zuvor Innenministerin Johanna Mikl-Leitner auch ohne Zustimmung Mitterlehners abgelöst.
Die starken Eigeninteressen der verschiedenen Parteigliederungen dürften auch das Hauptproblem für den schwarzen Hoffnungsträger Sebastian Kurz werden. Mehrfach erklärte er, er stehe jetzt für den Parteivorsitz nicht zur Verfügung. Aus seiner Umgebung wird seit Monaten gestreut, dass Kurz eine Änderung der Parteistatuten verlange, die dem Parteichef mehr Kompetenzen einräume. Momentan haben Landeschefs und die sogenannten Bünde – also Wirtschaftsbund, Bauernbund, Arbeitnehmer, Junge, Senioren und Frauen – bei den Konservativen das Sagen.
Mitterlehner sagte gestern, er sei „kein Platzhalter, der auf Abruf, bis jemand Zeitpunkt, Struktur und Konditionen festlegt, hier agiert“. Er wies darauf hin, dass zwischen ihm, Kurz und dem Parteivorstand seit langem vereinbart sei, dass Kurz die ÖVP in die nächste Wahl führen werde. Er kritisierte auch die SPÖ und deren Chef Christian Kern, mit dem er sich grundsätzlich gut versteht. Er habe keinen Sinn mehr darin gesehen, zwischen den Inszenierungen von „Kerns Plan A“, den Gegenreaktionen und wechselseitigen Provokationen „in der Mitte übrig zu bleiben“. Die ÖVP hatte Kern vorgeworfen, sich zu inszenieren, als sei er im Dauer-Wahlkampf. Tatsächlich jagt eine öffentlichkeitswirksame Aktion die nächste. Dabei geht es auch unsauber zu. So verglich Kerns erwachsener Sohn Niklas Kurz auf Twitter zuletzt mit dem Diktator Idi Amin. In Umfragen liegt die SPÖ derzeit vor der ÖVP, die höchste Zustimmung hat allerdings nach wie vor die rechtspopulistische FPÖ.
Kern bot der ÖVP gestern eine „Reformpartnerschaft für Österreich“bis zum regulären Wahltermin im Herbst 2018 an. Die SPÖ will sich auf keinen Fall zum Aufkündigen der Koalition provozieren lassen. Bekanntlich mögen Wähler das nicht. Kurz dagegen will sich nicht bis zum Wahltermin als Vizekanzler unter Kern verschleißen lassen. Denn das könnte seine Wahlchancen verschlechtern. Es gibt aber gute Gründe für Kurz, jetzt den ÖVP-Vorsitz zu übernehmen: Der Zeitpunkt für innerparteiliche Reformen ist nicht schlecht. Schließlich werden am Freitag zwei „Silberrücken“– der langgediente Landeschef von Oberösterreich, Josef Pühringer, und sein niederösterreichischer Amtskollege Erwin Pröll – in den Ruhestand verabschiedet.