Ein kleiner Auffahrunfall und seine großen Folgen
Prozess Der 70-Jährige lebt am Existenzminimum. Vor Gericht kämpft er um jeden Euro. Und um seine Mobilität
Dillingen Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit, dann ist es passiert. Eine Situation, wie sie der 70-Jährige erlebt hat, haben viele Autofahrer schon gehabt. Er ist auf der B 16 bei Lauingen unterwegs, als der Wagen vor ihm plötzlich stark abbremst. Der Mann kann nicht schnell genug reagieren, es kommt zu einem Auffahrunfall. Die Fahrerin und ihre beiden Kinder werden dabei leicht verletzt, erleiden Schleudertraumas. Weil er zuvor beim Zwischenstopp bei einem Bekannten ein Bier getrunken und 0,32 Promille im Blut hat, wird der Unfall nicht als Ordnungswidrigkeit behandelt, sondern von der Staatsanwaltschaft als fahrlässige Körperverletzung in drei Fällen eingestuft. Geregelt wird das Ganze zunächst ohne öffentlichen Prozess, per Strafbefehl. Doch der geht davon aus, dass der Rentner viel mehr Geld zur Verfügung hat, als wirklich der Fall ist.
So legt der Mann Einspruch ein. Denn tatsächlich, sagt er in der Verhandlung vor Amtsrichter Patrick Hecken, habe er nach einem Leben voller Arbeit als Selbstständiger nur eine Rente von 68 Euro im Monat. Weil das nicht zum Leben reicht, verdient er sich mit einer Nebentätigkeit noch etwas dazu. Was er dadurch einnimmt, ist unterschiedlich. Etwa 100 Euro im Monat werden es sein. Doch dafür ist er auf den Führerschein angewiesen. Und da liegt der nächste Knackpunkt. Denn der Strafbefehl beinhaltete auch einen Monat Fahrverbot. „Ich muss dazuverdienen, das ist mein Brot“, argumentiert der Mann vor Gericht und führt an, dass er sich in 52 Jahren im Straßenverkehr nie etwas habe zuschulden kommen lassen. Sein Verkehrsregister ist tatsächlich blütenrein. Und das, obwohl der Mann, wie er selbst sagt, täglich etwa 100 Kilometer mit dem Auto unterwegs ist. „Das ist schon ungewöhnlich“, sagt Richter Patrick Hecken. Trotzdem könne er ihn nicht anders behandeln, als es das Gesetz vorsieht. Und der Strafbefehl bewege sich in der Zahl der Tagessätze wie auch bei der Dauer des Fahrverbots bereits am untersten Rand. Doch der 70-Jährige kämpft weiter. Auch, weil er nach einer Operation derzeit an Krücken geht. „Ich kann momentan nicht laufen. Ich brauche mein Auto jeden Tag, ich bin alleine, habe niemanden, der sich um mich kümmern könnte“, sagt er. Richter Patrick Hecken hat Verständnis für seine Situation. Trotzdem, sagt er, stelle sich schon die Frage, ob es denn so gut sei, Auto zu fahren, wenn man nicht gut zu Fuß sei. Er verurteilt den 70-Jährigen schließlich wegen fahrlässiger Körperverletzung in drei Fällen zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je zehn Euro. Die kann er in Raten abbezahlen. Das Fahrverbot von einem Monat aber bleibt bestehen. Allerdings gesteht Richter Hecken dem Mann eine Frist von vier Monaten bis zu dessen Beginn zu. Damit hat er noch etwas Zeit, um im wahrsten Sinne des Wortes wieder auf die Beine zu kommen.