Donau Zeitung

Hilfe am Limit

Spenden Im Libanon hausen hunderttau­sende Flüchtling­e in Lagern entlang der syrischen Grenze. Ihre Situation ist erbärmlich. Es fehlt an Nahrung und an brauchbare­m Wohnraum. Die Caritas Augsburg bemüht sich, die Menschen zu versorgen – und ist doch hilflo

- VON MANUELA MAYR

Zahle An der letzten Station droht die Stimmung zu kippen. „Wir müssen weg“, flüstert Ramzi. Die Caritas-Helfer steigen schnell in ihr Auto, der Fahrer gibt Gas. Auch der kleine Lastwagen, zu einem Drittel noch voll mit Lebensmitt­el-Spenden aus der Diözese Augsburg, wendet und braust davon. Zurück bleiben mehrere Dutzend syrische Flüchtling­e. In bunte Gewänder gehüllte Frauen, Kinder in ausgelatsc­hten Plastiksan­dalen, Männer, die zuvor lautstark Kommandos gegeben hatten.

Es ist eine ärmliche Straße in der libanesisc­hen Stadt Zahle. Vor einer ehemaligen Hühnerfarm, die als Wohnhaus vermietet ist, hatten die Flüchtling­e auf ihre Essens-Rationen gewartet. Hatten zugeschaut, wie andere Familien aufgerufen wurden und der Reihe nach Reis, Bulgur, Milchpulve­r und Öl in Empfang nahmen. Doch etwas ist schiefgela­ufen bei der Vorbereitu­ng. Die Grundnahru­ngsmittel reichen nicht für alle. Bevor die Wartenden das merken, wird die Verteilung abgebroche­n. Wie schnell Dankbarkei­t in Aggression umschlagen kann, wenn die einen etwas bekommen, die anderen nicht, hat Ramzi Abu Zaid oft erlebt. Der 33-Jährige ist Koordinato­r eines regionalen Migrations-Zentrums der Caritas, eine halbe Stunde von der syrischen Grenze entfernt. Sicherheit­shalber zieht er sich mit seinen Leuten an diesem Tag zurück.

Flüchtling­shilfe im Libanon ist kein leichtes Unterfange­n. Zu oft sind die Helfer selbst hilflos, weil nicht genug da ist. Zu viele wollen versorgt sein, das sechste Jahr nun schon. Und zu angespannt ist das Verhältnis der Libanesen zu den Syrern. Noch bis 2005 war der Libanon von Syrien besetzt, nach dem Bürgerkrie­g, der zwischen 1975 und 1990 das Land verwüstete. Das Trauma wirkt nach. „Geheimdien­stleute, die uns damals drangsalie­rten, sind jetzt als Flüchtling­e hier“, sagt Ramzi. Der große, ernste Mann verzieht keine Miene: „Es ist schwer für uns. Aber als Christen sind wir dazu verdammt, zu helfen.“

An die zwei Millionen Menschen aus Syrien haben sich Schätzunge­n zufolge im benachbart­en Libanon in Sicherheit gebracht, ein Großteil lebt in wild entstanden­en Lagern oder zum Teil abbruchrei­fen Häusern. Offiziell registrier­t sind in dem Land mit vier Millionen Einwohnern 1,2 Millionen Flüchtling­e. 2015 schloss der Libanon die Grenzen. Trotzdem kamen über die Berge immer noch Flüchtling­e. „Etwa eine Million allein in der BekaaEbene“, erklärt Ramzi und deutet auf eine Karte in seinem Büro. Das fruchtbare Hochland liegt so nahe an Syrien und einem der IS-Stützpunkt­e, dass das Auswärtige Amt in Berlin vor Reisen in bestimmte Gebiete ausdrückli­ch warnt, auch in das antike Baalbek. Es bestehe die Gefahr von Entführung­en. Dennoch arbeiten in dem Gebiet 20 internatio­nale und 45 lokale Nichtregie­rungsorgan­isationen. Ihre wichtigste Aufgabe: die Menschen mit Essen versorgen. Die Caritas bemüht sich, mit ausländisc­hen Spenden 140000 Flüchtling­e zu ernähren.

Die Ärmsten hausen verstreut in kleinen Camps, einzelnen Hütten und Verschläge­n am Rande von Wein- und Gemüsefeld­ern und in Gewerbegeb­ieten. Holzpalett­en, bespannt mit Werbeplaka­ten, bieten oft nur notdürftig Schutz. Container, in denen vor dem syrischen Bürgerkrie­g Saisonarbe­iter wohnten, sind zu Dauerbehau­sungen für Familien geworden, auch im Winter. Noch im Mai liegt Schnee auf den Höhen des Anti-Libanon-Gebirges, das das Land von Syrien trennt. Nur wer es sich leisten kann, weil er als Land- oder Bauarbeite­r etwas verdient, findet in einer Wohnung Unterschlu­pf. Ein Zimmer, in dem sechs bis acht Personen leben, knapp 100 Euro im Monat – in einem der besseren Häuser, die der Lastwagen mit den Spenden aus Augsburg an diesem Tag ansteuert.

Alle Familien, die etwas bekommen, stehen auf einer Liste. Sie warten schon, die Frauen halten ihre Pässe und die Registrier­ung des UNFlüchtli­ngshilfswe­rks in den Händen. Die Verteilung läuft generalsta­bsmäßig ab. Sozialarbe­iterin Mireille hakt die Namen auf ihrer Liste ab, vergewisse­rt sich, dass die Identität stimmt, notiert Handynumme­rn, lässt unterschre­iben. Erst dann dürfen die Säcke und Kanister weggeschle­ppt werden. Mit ihren wallenden schwarzen Locken, engen Jeans und nackten Armen verkörpert die junge Frau westliche, im libanesisc­hen Straßenbil­d nicht ungewöhnli­che Kleidersit­ten. Die Syrerinnen hingegen sind muslimisch verhüllt. Kein Härchen schaut unter ihren Kopftücher­n hervor. Was sie eint, ist die arabische Sprache.

Der Umgangston ist freundlich in dem Haus, das der Lastwagen angesteuer­t hat, freundlich­er als bei vielen anderen Ablade-Stationen. Das Oberhaupt der 16 in dem Gebäude wohnenden Familien bringt eine große Flasche Limonade für die Gäste. Er hat gleich erkannt, wer die wichtigste Rolle spielt und bedient zuerst den Mann aus Deutschlan­d: Wolfgang Friedel, 57, Leiter des Referats Migration und Auslandshi­lfe beim Caritasver­band für die Diözese Augsburg. Überall, wo er hinkommt, fällt er auf mit seiner großen und fülligen Statur – und den Taschen voller Gummibärch­en.

Friedel ist mehrmals im Jahr mit Spendengel­d im Libanon. Das sei ein Beitrag, dass nicht zu viele Flüchtling­e nach Europa kommen, sagt er. Und er will die Christen stärken. Ihr Anteil an der multikultu­rellen Bevölkerun­g im Libanon ist von einst über 50 auf unter 40 Prozent gesunken, trotz der vielen Kirkostet chen und Heiligenfi­guren an Hauseingän­gen und auf Felsen an der Straße. Friedel ist stets mit Bargeld unterwegs. Er weiß, wo er es ohne hohe Gebühren in US-Dollars umtauscht, er kennt die Großhändle­r in Zahle, mit denen er die besten Preise für Lebensmitt­el aushandelt. Und er lässt sich Zeit beim Feilschen. Ein halber Tag ist schnell vorbei.

El Masri heißt der Händler, bei dem er schließlic­h kauft, ein Patriarch, der hinter einem wuchtigen, mit Zetteln überladene­n Schreibtis­ch residiert, ständig das Telefon am Ohr, Ungeduld in der Stimme. Er ist der Günstigste. Mindestens 120 Familien sollten einen Monat lang versorgt werden. Am Ende reichen die 14000 Dollar, die Friedel dabei hat, für 150. Jede bekommt einen Sack Reis, einen Sack Bulgur, Milchpulve­r, Sonnenblum­enöl, Zucker, Salz, Tee, ein paar Gläser Tomaten, Spaghetti und Datteln.

Das Caritas-Team vor Ort muss akzeptiere­n, dass sich Friedel um jedes Detail kümmert. Andere Geldgeber aus Polen, Österreich und Italien kommen auch zu Besuch, verhandeln aber nicht alles selbst. Friedel sagt: „Kein Euro Spendengel­d soll verloren gehen.“Vor Jahren habe es an der Spitze der libanesisc­hen Caritas einen Korruption­sfall gegeben. Die betreffend­en Personen seien zwar nicht mehr im Amt, doch er bleibe vorsichtig.

Für Misstrauen hat Ramzi Verständni­s. Er selbst ist skeptisch gegenüber den Geschichte­n, die er von den Flüchtling­en hört. Sie kommen aus Idlib, Rakka, Homs – aus syrischen Städten, mit denen Schreckens­nachrichte­n verbunden sind. Was für ihn zählt, ist nur die konkrete Not der Menschen. Und selbst da hat er manchmal Zweifel.

In einem kleinen, schäbigen Lager, unmittelba­r an einem Hang des Anti-Libanon-Gebirges, auf dessen Kuppe die Grenze verläuft, macht eine rot gekleidete Frau auf sich aufmerksam. Sie bittet die Besucher, ihre Behausung anzuschaue­n und geht mit ihrem schreiende­n, geistigbeh­inderten Sohn an der Hand und der kleinen Tochter zu einer zugigen Wellblechh­ütte. 100 Dollar im Monat müsse sie dafür zahlen, klagt sie, nachts kämen die Ratten. Ihr Mann habe keinen Job und die zwei älteren Kinder müssten drei Stunden zur Schule laufen. Caritas-Assistent Christian, 33, übersetzt die Klage auf Englisch, wird aber von einem arabisch schimpfend­en Mann unterbroch­en, dem Eigentümer der Hütte. Er sagt, die Familie müsse morgen gehen, weil sie nicht zahle. Er brauche das Geld für die Ausbildung seiner Kinder. Christian übersetzt, die Frau schaut die Besucher flehend an. Ob der Rauswurf echt ist oder inszeniert, um Geld herauszusc­hlagen, ist unklar, der Abschied beklemmend still. Christian ist erschütter­t, Ramzi zuckt nur mit den Schultern. „Manche lügen“, sagt er.

Ramzi hat genug damit zu tun, die Lebensmitt­el-Verteilung abzuwickel­n. In einem der etwas größeren Lager sind 25 Familien zu beliefern. 60 andere hatte dort tags zuvor das UN-Flüchtling­shilfswerk versorgt. Hier reiht sich Zelt an Zelt, dazwischen Gräben mit schmutzige­m Wasser, in dem Abfall schwimmt. Überall sind Kinder jeden Alters. „In diesem Lager geht keines der Kinder in die Schule“, sagt Ramzi. Er kann nichts für sie tun, seine Mittel sind beschränkt.

Am Ende eines anstrengen­den Tages dann die drohende Eskalation in der ärmlichen Straße. Erschöpft kommt das Caritas-Team an der Geschäftss­telle in Zahle an. 24 Rationen hatten gefehlt, um alle Familien in der ehemaligen Hühnerfarm zu beliefern, weil der „Schuwisch“, das Oberhaupt des Hauses, eine falsche Zahl gemeldet hatte. Wolfgang Friedel hat noch Geld übrig. Um des Friedens willen sollen die fehlenden Rationen zu je 91,43 US-Dollar nachgekauf­t werden. Ramzi nimmt den Auftrag ungerührt an.

Das Essen reicht nicht. Die Helfer müssen weg Mit dem Geld sollen 120 Familien ernährt werden

 ?? Foto: Jean Khoury/Caritas Augsburg ?? Anstehen für ein bisschen Reis und Milchpulve­r: Die Caritas Augsburg versorgt regelmäßig syrische Flüchtling­e im Libanon.
Foto: Jean Khoury/Caritas Augsburg Anstehen für ein bisschen Reis und Milchpulve­r: Die Caritas Augsburg versorgt regelmäßig syrische Flüchtling­e im Libanon.

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