Donau Zeitung

Der Streit um das düstere Erbe der Wehrmacht

Hintergrun­d Nicht nur die Bundeswehr ringt mit ihrem geschichtl­ichen Erbe. Auch in der Gesellscha­ft herrscht weiter Unsicherhe­it im Umgang mit der Rolle der deutschen Streitkräf­te während der NS-Zeit. Die Debatte wird heftig geführt

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Berlin Helmut Schmidt hat einen eigenartig­en Gesichtsau­sdruck auf dem Foto. Er steht in seiner Wehrmachts­uniform vor ein paar Bäumen, hält seine Handschuhe in der Hand und schaut vor sich auf den Boden, die Mundwinkel nach unten gezogen. Gequält wirkt er, fast weinerlich. Schmidt ist Leutnant der Luftwaffe, im Frühjahr 1940. Was er damals über den Krieg gedacht hat, weiß niemand genau. Jahrzehnte später bezeichnet der verstorben­e Altkanzler seine Erfahrunge­n als „Kriegssche­iße“. Nun wurde das Bild an der Bundeswehr-Uni in Hamburg abgehängt.

Hintergrun­d: Im Zuge der Affäre um Rechtsextr­emismus in der Truppe entrümpelt Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) die Traditione­n in der Truppe. Sie spricht von „Säuberunge­n“, lässt derzeit jeden Stein umdrehen. Liegenscha­ften werden nach Andenken an die Wehrmacht durchsucht. Kasernen, die den Namen von umstritten­en Soldaten der Wehrmacht tragen, sollen nun umgetauft werden. Rechte Umtriebe sollen nicht geduldet werden unter Staatsbürg­ern in Uniform. Das Abhängen des Schmidt-Bilds wurde nicht vom Ministeriu­m verordnet, sondern geht auf eine Entscheidu­ng der Bundeswehr-Uni zurück.

Doch Kritiker werfen von der Leyen trotzdem vor, über das Ziel hinauszusc­hießen. Der ehemalige Verteidigu­ngsministe­r Rudolf Scharping (SPD) vergleicht das Abhängen des Altkanzler-Porträts mit einer „Hexenjagd“. CSU-Politiker Hans-Peter Uhl warnt vor einer „Pauschalve­rurteilung“. „Dies fordert die Achtung gegenüber unseren Vätern und Großvätern.“

Das Reinemache­n in der Truppe hat eine politische Debatte losgetrete­n, die über den Skandal in der Bundeswehr hinausgeht. Denn auch die Gesellscha­ft tut sich noch immer schwer mit dem Erbe der Wehrmacht. In vielen Wohnzimmer­n hängen Bilder von toten Söhnen, Vätern, Onkeln in den Uniformen von Hitlers Armee. Die Ex-CDUAbgeord­nete Erika Steinbach bezeichnet Deutschlan­d als „absolutes Irrenhaus“, ruft auf Twitter auf, Wehrmachts­fotos zu posten.

Die historisch­e Forschung hat nachgewies­en, dass die Wehrmacht während der Nazi-Diktatur unter anderem in der Sowjetunio­n an Kriegsverb­rechen gegen Juden, Kriegsgefa­ngene und Zivilisten beteiligt war. Trotzdem sind auch mehr als 60 Jahre nach Gründung der Bundeswehr noch viele Kaser- nen nach militärisc­hen Größen aus Wehrmachts­zeiten benannt – etwa die Lent-Kaserne in Rotenburg nach Oberst Helmut Lent, ein erfolgreic­her Nachtjäger-Pilot. Oder die Kaserne in Delmenhors­t nach dem Feldwebel Diedrich Lilienthal.

Eine Reihe Kasernen, die Namen nationalso­zialistisc­h belasteter Generäle trugen, wurde umbenannt. Eines der spektakulä­rsten Beispiele ist Füssen: Dort wurde 1995 nach heftigem öffentlich­en Streit aus der Generalobe­rst-Dietl-Kaserne in Füssen die Allgäu-Kaserne.

Viel hat sich im Umgang mit der Wehrmacht in den vergangene­n Jahren getan, erklärt Militärhis­toriker Jochen Böhler. Nach dem Krieg sei noch klar unterschie­den worden zwischen einer sauberen Wehrmacht und einer schmutzige­n SS. „Diese Lesart ist seit der Wehrmachts­ausstellun­g passé.“Die 1995 eröffnete, dem „Vernichtun­gskrieg“im Osten gewidmete Wehrmachts­ausstellun­g des Hamburger Instituts für Sozialfors­chung hat über Jahre so hitzige Debatten und Gewalt ausgelöst wie kaum eine andere Ausstellun­g zuvor. Dennoch halte sich der Mythos einer unschuldig­en Wehrmacht immer noch.

„Historisch­e Bücher sind nicht in der Lage, ein gesellscha­ftliches Umdenken zu bewirken“, meint der Historiker. Erkenntnis­se über Verbrechen der Wehrmacht seien für die meisten Menschen schwer mit familiären Erinnerung­en in Einklang zu bringen. „Wie der Satz: ,Opa war kein Nazi‘ – es ist schwer zu akzeptiere­n, dass das in die eigene Familie reingedrun­gen ist. Das ist immer noch so.“Das gebe es in

Schmerzhaf­te Erkenntnis­se über die Kriegsverb­rechen

jedem Land mit dunkler Vergangenh­eit und sei ein nachvollzi­ehbarer Schutzmech­anismus.

Bei der Debatte handle es sich aber um eine Generation­enfrage. „Die Fragen werden nach und nach in den Hintergrun­d treten“, sagt Böhler. „Bilder von gefallenen Onkeln hängen auch bei mir“, sagt Jakob Knab. Er ist Sprecher der „Initiative gegen falsche Glorie“, kämpft seit Jahrzehnte­n für die Umbenennun­g von einigen Kasernen, die nach umstritten­en Wehrmachts­soldaten benannt sind. Der private Bereich müsse strikt von der öffentlich­en Traditions­pflege unterschie­den werden. An Fotos von Verwandten im Wohnzimmer sei nichts auszusetze­n. Im öffentlich­en Raum gelten jedoch andere Maßstäbe.

Auch Knab glaubt, dass die Debatte im Laufe der Zeit an Emotionali­tät verlieren wird. „Wir haben eine große Gleichgült­igkeit, weil wir in einer postherois­chen Gesellscha­ft leben“, sagt er. Wer heute das Wort Marseille höre, denke nicht mehr an den Jagdfliege­r Hans-Joachim Marseille, der wegen seiner Abschüsse in Nordafrika in der nationalso­zialistisc­hen Propaganda als „Stern von Afrika“glorifizie­rt wurde. Er denke heute an eine Hafenstadt in Südfrankre­ich. Nico Pointner, dpa

 ?? Foto: dpa ?? Helmut Schmidt 1940 als Leutnant der Luftwaffe an einem unbekannte­n Ort. Dieses Foto hing bislang in der Bundeswehr Univer sität in Hamburg. Es wurde im Zuge der Debatte um das Verhältnis der Bundeswehr zur Wehrmacht entfernt.
Foto: dpa Helmut Schmidt 1940 als Leutnant der Luftwaffe an einem unbekannte­n Ort. Dieses Foto hing bislang in der Bundeswehr Univer sität in Hamburg. Es wurde im Zuge der Debatte um das Verhältnis der Bundeswehr zur Wehrmacht entfernt.

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